Politik

Brasilien: Lula Favorit vor Präsidentschaftswahlen

Bei den am Sonntag stattfindenden Wahlen in Brasilien sind Lebenshaltungskosten und Präsident Jair Bolsonaros Pandemiepolitik die wichtigen Themen. Bolsonaros Herausforderer, Ex-Präsident Luiz Lula da Silva, ist der Favorit.
01.10.2022 07:57
Lesezeit: 2 min

Die Furcht vor einer Rückkehr des Hungers scheint eines der wichtigen Themen bei der Präsidentschaftswahl in Brasilien am Sonntag zu sein. Die Lebenshaltungskosten sind stark angestiegen und die Folgen der Pandemie gefährden die Versorgung mit Lebensmitteln in einem Ausmaß, das vor einem Jahrzehnt unvorstellbar erschien. Jeder dritte Brasilianer gab laut Reuters an, dass er zuletzt Schwierigkeiten hatte, seine Familie zu versorgen. Der konservative Amtsinhaber Jair Bolsonaro hat zwar ein Programm aufgelegt, um für Abhilfe zu sorgen. Dennoch liegt er in Umfragen deutlich hinter seinem Vorgänger und Herausforderer Luiz Ignacio Lula da Silva.

Lula führt in den Umfragen mit 10-15 Prozent vor Bolsonaro

Jüngsten Umfragen zufolge liegt der Vorsprung von Lula zwischen zehn und 15 Prozent; in einigen Erhebungen kommt er sogar auf eine absolute Mehrheit und könnte damit das Rennen bereits im ersten Wahlgang für sich entscheiden. Vor allem die ärmere Schicht sprach sich zuletzt für Lula aus, der in seiner Präsidentschaft in den Jahren 2003 bis 2010 extremer Armut und Hunger den Kampf angesagt hatte. Das jüngste Hilfspaket Bolsonaros habe nicht den Effekt, den die Regierung sich erhofft habe, sagte Felipe Nunes vom Forschungsinstitut Quaest Pesquisa e Consultoria. „Das Programm wurde von den Menschen als Wahlkampf-Manöver gesehen, und sie lehnen einen derartigen Trick ab.“

Bolsonaro selbst zeigte sich zuletzt irritiert darüber, welche Bedeutung das Thema im brasilianischen Wahlkampf hat. „Hunger in Brasilien? Es gibt ihn nicht in dem Ausmaß, in dem darüber berichtet wird“, sagte er im August. Und sein Wirtschaftsminister Paulo Guedes sagte zu einer Studie, wonach 33 Millionen der insgesamt rund 217 Millionen Brasilianer von Hunger bedroht seien: „Das ist eine Lüge. Das stimmt nicht. Das sind nicht die Zahlen.“

In Rio de Janeiro berichtet die Sozialhilfeempfängerin Carla Feliciano, dass sie ihr Gemüse aus den Abfallcontainern des Wochenmarktes holt. Ihr Leben sei seit der Pandemie sehr schwierig geworden: „Es ist kein Unterschied, ob man Sozialhilfe erhält oder nicht, ich werde für Lula stimmen.“ Doch auch bei Geschäftsleuten versucht Lula zu punkten. Er versprach, ausländische Investitionen ins Land zu holen und sprach sich für den Schutz des Amazonas-Regenwaldes aus. Unter Bolsonaros Regierung hat sich der Waldverlust deutlich beschleunigt. Lulas Rückkehr ist möglich, weil der Oberste Gerichtshof 2019 ein Urteil gegen ihn wegen Korruption aufgehoben hatte und Lula nach 580 Tagen aus dem Gefängnis entlassen wurde.

Bolsonaros Pandemiepolitik in der Kritik

Doch der Hunger ist nicht das einzige Thema, das die Wähler Bolsonaro vorwerfen. Auch der Umgang mit der Corona-Pandemie dürfte ihm Stimmen kosten. Wie sein politisches Vorbild, der ehemalige US-Präsident Donald Trump, unterschätzte Bolsonaro das Virus und sprach von einer „kleinen Erkältung“. Er zeigte wenig Mitgefühl mit den fast 700.000 Brasilianern, die seit Ausbruch der Pandemie ums Leben kamen. Insbesondere Frauen - 2018 noch eine wichtige Unterstützergruppe von Bolsonaro - haben ihm deswegen den Rücken gekehrt.

Entscheidend für den Wahlausgang dürfte nach Einschätzung von Experten die Wahlbeteiligung werden. Sollten insbesondere die ärmeren Brasilianer, die Lula nahestehen, der Abstimmung fernbleiben, dürfte es zu einer Stichwahl am 30. Oktober kommen. „Lula hat eine echte Chance, gleich in der ersten Runde zu gewinnen, aber die Wahlbeteiligung ist eine große Herausforderung für seine Arbeitspartei und ihre Verbündeten“, sagte Andre Cesar von der Beratungsgesellschaft Hold Assessoria Legislativa. Der große Vorsprung Lulas in den Umfragen könnte einige Wähler denken lassen, dass es auf ihre Stimme nicht mehr ankommt. In Brasilien besteht eine Wahlpflicht, allerdings werden kaum Strafen verhängt, wenn man einer Abstimmung fernbleibt. Bei der jüngsten Abstimmung 2020 gingen 23 Prozent nicht zur Wahl.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen: Buffett kauft Google, Bitcoin stürzt ab - beginnt jetzt der große Marktumbruch?
17.11.2025

Die Märkte taumeln und die Nvidia-Aktie wird in wenigen Tagen zum Brennpunkt der globalen Finanzwelt. Kleinanleger überraschen die Wall...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Kurs aktuell: Absturz unter 93.500 Dollar verunsichert Anleger – geht der Krypto-Crash weiter?
17.11.2025

Der Bitcoin erlebt turbulente Tage: Kursabstürze, Liquiditätsstress und widersprüchliche Analystenstimmen prägen die Lage. Während...

DWN
Panorama
Panorama Globale Anti-Tabak-Strategien unter Druck: WHO-Konferenz warnt vor Rückschritten
17.11.2025

Eine weltweite Initiative zur Eindämmung von Tabak- und Nikotinprodukten steht vor Herausforderungen: Trotz internationaler Abkommen setzt...

DWN
Finanzen
Finanzen Wachstum unter EU-Durchschnitt: Deutsche Wirtschaft 2026 mit vorsichtiger Erholung
17.11.2025

Die deutsche Wirtschaft startet 2026 voraussichtlich wieder durch, bleibt aber hinter dem europäischen Durchschnitt zurück. Laut der...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Reiche besucht Golfstaaten: Investitionen, Erdgas und Partnerschaften im Fokus
17.11.2025

Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche reist mit einer Wirtschaftsdelegation in die Golfregion, um die bilaterale Zusammenarbeit zu...

DWN
Finanzen
Finanzen EZB-Vize warnt: KI-Hype könnte Börsenkorrektur auslösen
17.11.2025

EZB-Vizepräsident Luis de Guindos schlägt Alarm: Der aktuelle Boom rund um Künstliche Intelligenz und hoch bewertete US-Tech-Aktien...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Kinderarmut in Deutschland steigt – jedes siebte Kind ist armutsgefährdet
17.11.2025

Im vergangenen Jahr waren in Deutschland 2,2 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren armutsgefährdet – das entspricht rund 15...

DWN
Politik
Politik Ein diplomatischer Sturm zwischen Japan und China. Grund: Taiwan
17.11.2025

Japans neue Premierministerin Sanae Takaichi stellt klar: Ein chinesischer Angriff auf Taiwan wäre ein direkter Angriff auf Japans...