Finanzen

Zehn Prozent Inflation? Das war nur der Anfang!

Lesezeit: 6 min
15.10.2022 09:14  Aktualisiert: 15.10.2022 09:14
Die Staaten und Brüssel verteilen eifrig Geldgeschenke. Doch das wird die Bevölkerung noch teuer bezahlen. Die künstliche Geldschwemme ohne jeden realen Unterbau produziert nur weitere Inflationsschübe – und das ist erst der Anfang.
Zehn Prozent Inflation? Das war nur der Anfang!
Die Flut künstlicher Gelder, sie sich über die Bevölkerung in der Corona-Krise ergossen hat, rächt sich nun und bildet einen wesentlichen Treiber der Inflation (Foto: iStock.com/photoschmidt)

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Die Regierungen treiben die Inflation immer weiter in die Höhe. Halt. Der Satz kann doch nicht stimmen. Gerade eben haben die deutschen Staatenlenker ein 200-Milliarden-Programm gegen die Explosion der Preise beschlossen. Die österreichischen Kollegen waren auch nicht faul und haben gleich 28,5 Milliarden auf die Reise zu den Bürgerinnen und Bürgern geschickt. Das ist sogar relativ mehr als in Deutschland, weil man üblicherweise im Verhältnis 1:10 rechnet. Ähnliches gilt für alle anderen Länder. Und die EU-Kommission will nicht zurückstehen und macht 90 Milliarden locker. Es gibt also Geld ohne Ende. Wieso also die einleitende Feststellung, all diese Wohltaten würden die Inflation nicht bekämpfen, sondern sogar anheizen?

Die Geschenke der Regierungen muss die Bevölkerung teuer bezahlen

Ganz einfach, weil es sich um Geld handelt, das niemand in der Vergangenheit verdient hat, und auch nicht um Geld, das jemand in der Zukunft verdienen wird. Es ist also Geld, dem kein Gegenwert gegenübersteht und folglich unweigerlich zur Geldentwertung beiträgt. Die künstliche Geldschwemme ohne jeden realen Unterbau produziert nur weitere Inflationsschübe. Die Politiker mögen sich heute einen Applaus für die vermeintliche Entlastung abholen, sie können sich schon jetzt auf die Prügel einstellen, die sie morgen für die weiteren Preissteigerungen bekommen werden.

Dabei hätten sie aus den Erfahrungen der vergangenen zweieinhalb Jahre schon die entsprechenden Lehren ziehen können. Die Flut künstlicher Gelder, die sich über die Bevölkerung in der Corona-Krise ergossen hat, rächt sich nun und bildet einen wesentlichen Treiber der Inflation. Vielfach wird der hohe Gaspreis im Gefolge der Auseinandersetzungen mit Russland rund um den Ukraine-Krieg als einzige Ursache des aktuellen Übels genannt. Diese Argumentation greift zu kurz. Wir zahlen jetzt über die hohen Preise die Geldverteilung während der Lockdowns zurück. Es ist also abwegig, eine weitere Geldschöpfungsaktion durchzuführen.

Inflation kann man nicht bekämpfen; man muss sie aussitzen

Auch die Dimension ist unverständlich. Da wird nicht etwa den Ärmsten geholfen, die von dem plötzlichen Preisschock überfordert sind. Da wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Wenn man davon ausgeht, dass die Inflation im gesamten Jahr zehn Prozent betragen wird, dann bedeuten zehn Prozent Wertverlust angesichts der deutschen Wirtschaftsleistung von 3.800 Milliarden Euro einen Verlust im Ausmaß von 380 Milliarden Euro. Und allein 200 Milliarden werden einfach gedruckt oder, um der modernen Realität zu entsprechen, in Computern programmiert.

Dabei muss – besser – müsste man Inflation als Zeichen zur Kenntnis nehmen, dass der Geldwert nicht mehr der Realität entspricht. Das heißt, unangenehmerweise, auf Deutsch übersetzt, man muss die Inflation „aussitzen“, wie es in der Sprache der Reiter heißt. Die Inflation ist zu akzeptieren, dann wird das Gleichgewicht zwischen Wirtschaftsleistung und Preisniveau wiederhergestellt und die Inflationsrate findet zu dem üblichen Niveau zurück. Versucht man diesen ohne Zweifel schmerzhaften Prozess durch eine als „Teuerungsabgeltung“ umschriebene Geldproduktion zu vermeiden, dann dauert der Prozess länger und ist mit weit größeren Schmerzen, also noch höheren Preisen verbunden.

Die wirksamste Waffe gegen die Inflation ist die Inflation selbst

Die Volksbeglückung über den Teuerungsausgleich schwächt auch die stärkste Waffe gegen die Inflation, nämlich die Inflation selbst. Hohe Preise haben den heilsamen Effekt, dass die Konsumenten auf die Bremse steigen und den Anbietern prompt zeigen, dass sie auf ihren Waren sitzen bleiben und ihre Dienstleistungen nicht angenommen werden. Sehr rasch wird dann wieder mit niedrigeren Preisen um die Kunden gebuhlt. Wenn allerdings Vater Staat den Verbrauchern und den Unternehmern Geld in die Tasche steckt, damit sie die hohen Preise bezahlen können, dann wird der angesprochene, heilsame Effekt einer Konsumbremse nicht oder nicht in vollem Umfang zustande kommen.

Die Lust und Freude am Arbeiten ist keine allgemeine Erscheinung

Die Geldgeschenke der öffentlichen Hände, die neuen wie die schon reichlich bestehenden, haben einen weiteren, negativen Effekt. Letztlich muss niemand unbedingt arbeiten, um überleben zu können. Irgendein Förderungstopf findet sich immer, der direkt oder indirekt die Existenz sichert. Und wenn tatsächlich Not ausbrechen sollte, so treibt man schon eine Arbeit auf, die das Überleben bis zum Erhalt der nächsten Förderung sichert. Die vielfach geäußerte Verwunderung, wieso denn für so viele offene Stellen keine Interessenten gefunden werden, ist leicht aufgeklärt. Wenn man auch ohne zu arbeiten, den Lebensunterhalt finanzieren kann, wird der Eifer, eine reguläre Arbeit anzunehmen, bei vielen nicht sehr groß sein. Eine Volkswirtschaft kann aber nicht allein von jenen getragen werden, die aus Lust und Freude am Schaffen die Betriebe in Gang halten.

Ein wenig beachtetes Paradoxon: Wer nicht arbeiten muss, wird kaum je erfahren, ob eine angebotene Tätigkeit interessant oder öde ist. Von außen kann man nicht beurteilen, wie die Praxis aussieht. Viele Jobs werden als langweilig eingestuft, obwohl sie spannend sind, andere werden mit der Aura des Besonderen umgeben und bieten nur Enttäuschungen.

Brisanter Zusammenhang zwischen Förderungen und Krediten

Noch ein wenig beachtetes Paradoxon: Übersehen wird der Zusammenhang zwischen der Verteilung von öffentlichen Förderungen und der Vergabe von Krediten. Die staatlichen Segnungen muss man nicht zurückzahlen oder, anders ausgedrückt, für das Geld vom Staat muss man keine Leistung erbringen. Kredite können in der Folge nur aus erwirtschafteten Erträgen, also aus Beiträgen zur Volkswirtschaft bedient werden. Auf diese Art ist sichergestellt, dass nur Geld in Umlauf gebracht wird, dem eine tatsächliche Leistung gegenübersteht. Die Praxis zeigt, dass bei Krediten an Privathaushalte und Unternehmen mit überschaubaren Summen keine bedrohlichen Ausfälle zu verzeichnen sind, da die Schuldner überwiegend sehr diszipliniert sind und die Banken die Kredite auch genau betreuen.

Auch Staaten sind nicht unbegrenzt kreditwürdig

Die staatliche, schuldenfinanzierte Geldverteilung hat nicht nur Nachteile. Als positiver Effekt für die Volkswirtschaft ist die Finanzierung von Konsum- und Investitionsausgaben zu nennen, die naturgemäß den Anbietern von Produkten und Dienstleistungen zugutekommen. Dieser ohne Zweifel relevante Faktor ist aber aktuell kritisch zu sehen, vor allem, wenn man mit den staatlichen Geldgeschenken die Teuerung abzugelten versucht.

Zudem kann man nicht immer und überall einfach die Notenpresse anwerfen, um eine Volkswirtschaft in Gang zu bringen. Das mussten in den vergangenen Tagen die neue britische Premierministerin Liz Truss und ihr – mittlerweile gefeurte – Finanzminister Kwasi Kwarteng zur Kenntnis nehmen. Sie wollen mit einer großen Steuersenkung die Wirtschaft entlasten und sind bereit, die Maßnahmen mit Schulden zu finanzieren. Diese durchaus bewährten Maßnahmen werden allerdings von den Anlegern vor dem Hintergrund der schon bestehenden Schulden des Vereinigten Königreichs gesehen. Die Verpflichtungen betragen bereits 2.400 Milliarden Euro und das Land leidet zudem unter einem chronischen Handelsbilanzdefizit von über 200 Milliarden Euro im Jahr. Der Importsog wird nur zum Teil durch Dienstleistungen ausgeglichen. Also findet ein ständiger Mittelabfluss statt. Angesichts dieser Daten und der angekündigten zusätzlichen Verschuldung sahen die Anleger in den vergangenen Tagen einen drohenden Zahlungsausfall, gerieten in Panik und verkauften massenweise britische Staatsanleihen. Die Nationalbank, Bank of England, kauft nun um Milliarden Staatspapiere, um den Markt zu stabilisieren. Dabei wollte man sich gerade von den Anleihekäufen verabschieden.

Europa ist schon pleite, ignoriert die Tatsache aber

Häme ist nicht am Platz. Angesichts der astronomischen Schulden kann das englische Schicksal beinahe jeden EU-Staat und die EU in ihrer Gesamtheit ereilen. Das ist keine Schwarzmalerei, sondern an den Daten ablesbar. Ohne noch die aktuell stattfindende Geldverteilungsaktion einzurechnen, bewegt sich das Defizit der EU in ihrer Gesamtheit bei rund 500 Milliarden Euro im Jahr. Diese Summe konnten die Finanzminister zuletzt aufgrund der von der Europäischen Zentralbank erzwungenen Minimalzinsen mit einem Zinsaufwand von rund 5 Mrd. Euro im Jahr bedienen. Nun steigt aber das Zinsniveau weltweit, getrieben von der US-Zentralbank Federal Reserve Board, auf 3 Prozent und noch höher. Bei 2 Prozent klettern die Kosten auf 10 Milliarden im Jahr, bei 3 Prozent auf 15, es geht also nicht um Bagatellbeträge.

Die älteren Anleihen aus der Niedrigzinsperiode laufen sukzessive ab und müssen durch neue Anleihen ersetzt werden, die ebenfalls etwa 2, 3 und mehr Prozent Zinsen kosten. Zur Orientierung: In den USA kratzen die Zinsen der 10-jährigen Staatsanleihen schon an der 4-Prozent-Marke, in Europa liegen die vergleichbaren Werte zwischen 2 und 3 Prozent.

Die Zahlen zeigen das Ausmaß der europäischen Pleite.

  • Insgesamt haben die EU-Staaten 13.000 Milliarden Euro Schulden, für die etwa 1 Prozent, also 130 Mrd. Euro jährlich an Zinsen bezahlt werden.
  • Treibt das neue Zinsniveau nach und nach den Schuldendienst nur um 1 Prozentpunkt auf durchschnittlich 2 Prozent, so müssen weitere 130 Mrd. Euro jährlich aufgewendet werden. Auch diese haben die Staaten nicht und so müssen die Zinsen über zusätzliche Schulden finanziert werden.
  • Die EU befindet sich in ihrer Gesamtheit auf dem Weg in einen finanziellen Abgrund, der alle mitreißen wird, auch das finanziell am besten gerüstete Deutschland.
  • Diese ins Unendliche wachsenden Schulden können nie zurückgezahlt werden.
    • Man wird mit noch höheren Steuern versuchen, zusätzlich Geld aus der Bevölkerung zu pressen, obwohl die Belastungen mit fast 50 Prozent der Wirtschaftsleistung schon unerträglich sind und eine Wirtschaftsbremse darstellen.
    • Eine noch höhere Inflation wird über die Geldentwertung die Schuldenlast der Staaten verringern. Inflation mag die Staaten entlasten, auch die Schulden der Unternehmen und der Privaten sind leichter zu stimmen, für die Bevölkerung insgesamt sind hohe und steigende Preise die schlimmste Form der Plünderung, schlimmer als jede Steuer.
    • Einige Länder werden gezwungen sein, Bankrott anzumelden und die Bedienung der Schulden einzustellen.

Und in dieser Situation beschließt eine Regierung nach der anderen ein Milliardenprogramm, das mit weiteren Schulden finanziert werden muss. Programme, die die Inflation bekämpfen sollen und nur die Inflation noch mehr anheizen.

Als ceterum censeo sei angemerkt:

Die hohe Verschuldung ist eine Folge des in den vergangenen Jahrzehnten in Europa aufgebauten, üppigen Sozialstaates mit großzügigen Förderungen und einem frühen Rentenantritt, der zu zwanzig und mehr Jahre andauernden Pensionszahlungen führt. Mit diesem finanziellen Rucksack gingen di e Finanzminister in die Corona-Krise und bekämpfen nun die Inflationskrise. Eine Umkehr ist am Platz. Und: Man möge nicht mit dem Argument kommen, die USA hätten keinen Sozialstaat und auch hohe Schulden: Die USA haben extrem niedrige Steuern von unter 30 Prozent des BIP, mit dem europäischen Satz von fast 50 Prozent hätten die USA einen enormen Überschuss.

                                                                            ***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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