Im März 2020 traten Olaf Scholz, damals noch Finanzminister, und der damalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier vor die Hauptstadtpresse und verkündeten eine „Bazooka“ für die Wirtschaft. Gemeint waren unbegrenzte und staatlich abgesicherte Überbrückungskredite für alle deutschen Unternehmen, um die Effekte von Pandemie und Lockdowns abzufedern.
Die Analogie zur „Bazooka“ von Ex-EZB-Präsident Mario Draghi, mit der er im Zuge der Euro-Krise den notfalls unbegrenzten Aufkauf von Staatsanleihen der Euroländer durch die Notenbank garantierte, war nicht zufällig gewählt. Es war der Startschuss für eine Machtverschiebung: Der Staat übernahm ab diesem Zeitpunkt zunehmend die Kontrolle über die Geldschöpfung.
Regierungen reißen Geldschöpfung an sich
In Deutschland wurde die Vergabe staatlich abgesicherte Kredite zunächst über die Förderbank KfW durchgeführt, da sich Geschäftsbanken weigerten, Unternehmen mit fragwürdiger Kreditwürdigkeit Finanzhilfen zuzusichern. Später stiegen auch die Geschäftsbanken in dieses Geschäft mit ein, aber erst nachdem der Staat ihnen zusicherte, für mögliche Ausfallrisiken aufzukommen. Sie verdienen dadurch quasi risikolos an den Kreditzinsen.
Durch die Ausgabe von Staatsgarantien für Bankkredite während der Covid-Krise haben die Regierungen effektiv die Kontrolle über die Geldschöpfung übernommen – und nicht nur in Deutschland. Dieselbe Blaupause wurde in vielen westlichen (und einigen asiatischen) Ländern im Kampf gegen die Corona-Krise genutzt. Der Effekt war eine Verschiebung, weg von mehrheitlich freien Marktwirtschaften und hin zu einer Wirtschaft, in der die Regierung eine immer stärkere Rolle bei der Kapitalallokation spielt.
Begründet wurde der Schritt damit, dass es sich um eine vorübergehende Krise handelt. Doch seitdem jagt eine staatlich verordnete Rettungsaktion die nächste. Nach Corona kam der Krieg in der Ukraine und mit ihm die Energie-Krise, die dem Staat eine weitere Ausrede dafür gab, diese Form der Fiskalpolitik fortzusetzen. Inzwischen ist sie in der EU zum neuen Normalzustand geworden.
Seit Februar 2020 sind in Deutschland 40 Prozent aller neu vergebenen Kredite staatlich garantiert. In Frankreich sind es 70 Prozent und in Italien sogar über 100 Prozent, da dort auch alte, fällig werdende Kredite in neue, staatlich garantierte Programme überführt werden. Hinzu kommen umfangreiche Bürgschaftsprogramme, wie das in Deutschland, zur Abfederung der steigenden Energiekosten.
„Für die Regierung sind Kreditgarantien wie ein magischer Geldbaum: das, was man am ehesten mit kostenlosem Geld vergleichen kann. Sie müssen keine weiteren Staatsschulden ausgeben, sie müssen keine Steuern erhöhen, sie geben einfach Kreditgarantien an die Geschäftsbanken“, kommentiert der Marktstratege und Historiker Russell Napier diese Entwicklung im NZZ-Interview. Napier ist Autor des Solid Ground Investment Report und Mitbegründer des Investment Research Portals ERIC. Seit 1995 schreibt er makroökonomische Strategiepapiere für institutionelle Anleger.
Staatsentschuldung auf Kosten der Sparer
Ein neuer Notfall zur Verlängerung dieser staatlich gesteuerten Kreditvergabe wird sich immer wieder finden, seien es Energie-Krise, Klimanotstand oder eine andere Notsituation, die ein staatliches Eingreifen alternativlos erscheinen lassen. Die Kreditgarantien kann der Staat dann dazu nutzen, Investitionen in jenen Bereichen voranzutreiben, die politisch gewünscht sind, zum Beispiel in Projekte zur Verringerung sozialer Ungleichheit oder zur Bekämpfung des Klimawandels.
Ein für den Staat nützlicher Nebeneffekt ist dabei, dass er das nominale Wirtschaftswachstum (reales BIP plus Inflation) kontrollieren kann. Denn je mehr die Inflation durch diese Art der Fiskalpolitik steigt, desto schneller schmelzen die staatlichen Schulden, die derzeit auf historischen Höchstständen sind, dahin.
Diese Politik geht auf Kosten der Sparer und Staatsgläubiger (Anleiheinvestoren wie Pensionskassen und Versicherungen), die dadurch schleichend enteignet werden. Und sie befindet sich auch in direktem Widerspruch zur Inflationsbekämpfung der Zentralbanken. Als Beispiel nehme man nur das 200-Milliarden-Paket der Bundesregierung im Kampf gegen steigende Energiepreise, das in direktem Widerspruch zur EZB-Politik steht. Statt einer kurzen, aber schmerzlichen Phase höherer Inflation droht den Bürgern dadurch eine jahrelang anhaltende Phase höherer Inflation.
„Dies ist eine Machtverschiebung, die nicht unterschätzt werden darf“, so Napier. „Unser gesamtes Wirtschaftssystem der letzten 40 Jahre beruhte auf der Annahme, dass das Kreditwachstum und damit die Geldmenge […] durch die Höhe der Zinssätze gesteuert wird – und dass die Zentralbanken die Zinssätze kontrollieren.“ Wenn nun Regierungen die Kontrolle über die private Kreditschöpfung durch das Bankensystem übernähmen, würden die Zentralbanken aus ihrer Rolle gedrängt.
Das Endspiel heißt Stagflation
Das Ergebnis dieses staatlichen Eingriffs in eine Fehlallokation von Ressourcen. Obwohl die Wirtschaft auf eine Rezession zusteuert, nimmt die Kreditvergabe weiter zu. Mehr noch: Die Banken reduzieren ihre Rückstellungen für Kreditausfälle, da der Staat sie garantiert. Unternehmen, die eigentlich vom Markt verschwinden würden, werden so künstlich am Leben erhalten.
„Wenn man als Banker an das Kreditrisiko des privaten Sektors glaubt, stellt man die Kreditvergabe ein, wenn die Wirtschaft auf eine Rezession zusteuert“, sagte Napier. „Aber wenn man als Banker an staatliche Garantien glaubt, wird man weiterhin Kredite vergeben. Dies ist heute der Fall. Die Banken vergeben weiterhin Kredite, und das nominale BIP wird weiter wachsen. Aus diesem Grund werden wir nominal gesehen keinen wirtschaftlichen Rückgang erleben.“
Zu einem offenen Konflikt zwischen Regierungen und Zentralbanken wird es aber wohl nicht kommen. Die Wirtschaft wird – zumindest auf dem Papier – durch staatliche garantierte Kredite weiter wachsen. Die Politiker werden auf ihr Mandat verweisen, das sie dazu zwingt gegen hohe Energiepreise und Klimawandel vorzugehen. Und deshalb wird diese Politik in breiten Teilen der Bevölkerung Zustimmung finden. Napier rechnet nicht damit, dass die Zentralbanken sich dagegen wehren, denn dafür „müssten sie mit ihrer eigenen Regierung in den Krieg ziehen“.
Was bleibt also? Der Marktstratege geht davon aus, dass uns mindestens 15 Jahre staatlich gelenkter Investitionen und finanzieller Repression bevorstehen. Solange könnte es dauern, um die Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP von derzeit rund 300 auf unter 200 Prozent zu senken. Erst dann würden auch die negativen Effekte dieser Misswirtschaft wirklich erkennbar werden.
„Wir haben das Endspiel schon einmal gesehen, und zwar in der Stagflation der 1970er Jahre, als wir eine hohe Inflation in Kombination mit hoher Arbeitslosigkeit hatten“, so Napier.