Der Deutschen Börse droht der Abgang des wertvollsten Mitglieds in ihrem Leitindex Dax. Vier Jahre nach der Fusion will sich der amerikanisch-deutsche Industriegase-Konzern Linde von der Frankfurter Börse zurückziehen und seine Aktien nur noch in New York handeln lassen.
Die doppelte Börsennotierung in New York und Frankfurt habe nach Ansicht des Linde-Managements einen negativen Einfluss auf die Bewertung und verursache einen Mehraufwand, sagte Vorstandschef Sanjiv Lamba am Montagabend. Das letzte Wort sollen aber die Aktionäre haben: Sie sollen bis Mitte Februar 2023 darüber abstimmen. Wenn mehr als 75 Prozent für den Rückzug aus Frankfurt stimmen, könne er im März vollzogen werden.
Bei Investoren kamen die Pläne aber zunächst schlecht an: An der New Yorker Börse verloren Linde am Montag 3,5 Prozent, in Frankfurt am Dienstag sogar fünf Prozent auf 282 Euro. Die Aktie wird bisher an beiden Börsen gehandelt, fast drei Viertel des Handelsvolumens entfallen laut Linde aber auf die New York Stock Exchange. Linde ist mit einem Börsenwert von rund 140 Milliarden Euro der schwerste Wert im Dax, noch vor SAP.
"Wir sind sehr stolz auf unsere reiche Geschichte und starke Präsenz rund um die Welt, einschließlich unserer Wurzeln in Deutschland", sagte Samba, der Linde seit gut einem halben Jahr führt. Das Doppel-Listing habe gute Dienste geleistet, es habe aber aufgrund der Beschränkungen in Europa die Kursentwicklung gebremst. Überdies seien US-Werte grundsätzlich höher bewertet als europäische, hieß es in einer Präsentation. Bisher müsse Linde seine Geschäftszahlen nach dem US-Standard GAAP und den internationalen IFRS-Regeln berechnen.
LINDE-AKTIE WIRD AN DER BÖRSE REGELMÄSSIG ZU SCHWER
Linde überschreitet regelmäßig die Kappungsgrenze von zehn Prozent, mit der die Deutsche Börse das Index-Gewicht eines einzelnen Dax-Wertes bei jeder Neuberechnung des Index begrenzt. So lange sich die Aktie besser entwickelt als der Dax, müssen Indexfonds, die den deutschen Leitindex abbilden, immer wieder Linde-Aktien verkaufen, was die Papiere laut Linde drückt. Investoren hatten eine Erhöhung der Kappungsgrenze auf 15 Prozent im Frühsommer abgelehnt. Solche Maximalwerte sind nur bei europäischen Indizes üblich, im S&P-500-Index mit seinen 500 Werten spielen sie keine Rolle. Die Deutsche Börse äußerte sich zu den Plänen von Linde zunächst nicht.
Offizieller Firmensitz des Gasekonzerns ist seit der Fusion der Münchner Linde AG mit dem US-Rivalen Praxair in Irland, weshalb die Aktie Dax-Mitglied bleiben konnte. Der steuerliche Sitz der Linde plc und das offizielle Hauptquartier ist in Woking bei London. Das Machtzentrum ist aber die ehemalige Praxair-Zentrale in Danbury im US-Bundesstaat Connecticut.
Der Rückzug aus Frankfurt soll nach den Plänen des Vorstands bewerkstelligt werden, indem die Linde-Aktionäre ihre Papiere in Aktien einer neuen Dachgesellschaft in Irland tauschen. Auf die Organisationsstruktur, die Mitarbeiter, Kunden oder die Präsenz von Linde habe der Vorschlag keine Auswirkungen, sagte Samba. Deutschland werde "ein wichtiger Markt für uns bleiben". (Reuters)