Für die ersten drei Quartale des laufenden Jahres weist die Schweizer Nationalbank (SNB) einen Verlust von 142,4 Milliarden Franken aus. Das ist der größte Verlust seit Gründung der Notenbank im Jahr 1907, wie die NZZ berichtet. Allein im dritten Quartal lag der Verlust bei 47 Milliarden Franken. Zwischen 2010 und 2021 lagen die Gewinne der SNB noch bei insgesamt 165 Milliarden Franken.
SNB verbucht Rekordverlust in Milliardenhöhe
Ausgelöst wurde der hohe Verlust in diesem Jahr durch einen Börsenabschwung, der fast alle Anlageklasse erfasste: von Aktien, über Anleihen und Devisen bis hin zu Edelmetallen. Am höchsten fielen die SNB-Verluste im Devisengeschäft mit insgesamt 141 Milliarden Franken aus. Die SNB verwaltet Devisenreserven in Höhe von 800 Milliarden Franken. Auch mit ihren Goldbeständen verbuchte sie einen Verlust von 1,1 Milliarden Franken.
Das Anlagevermögen der SNB, das zu zwei Dritteln in Staatsanleihen und einem Drittel in Aktien investiert ist, verlor ebenfalls massiv an Wert. Der Verlust aus dem Anleihegeschäft summierte sich auf 71 Milliarden, der Aktienverlust auf 54 Milliarden und Wechselkursverluste auf 24 Milliarden Franken. Die Einnahmen aus Zinsen und Dividenden in Höhe von 8 Milliarden Franken konnte diese immensen Buchverluste nicht auffangen.
Zwischenzeitlich wurde die Lage für die SNB so brenzlich, dass die US-Notenbank 11 Milliarden Dollar in die Schweiz überwies. Es war bereits die dritte Swap-Transaktion der Fed in Richtung SNB in diesem Jahr und die höchste überhaupt. Über die genauen Hintergründe ist nichts bekannt und mögliche Erklärungen reichten vom Arbitrage-Handel schweizerischer Banken, über eine Dollar-Knappheit im Schweizer Finanzsystem bis hin zu einer Stabilisierung der angeschlagenen Credit Suisse.
Kantone leiden unter ausbleibenden SNB-Ausschüttungen
Traditionell schüttet die SNB einen Teil ihrer Gewinne an die Schweizer Kantone aus. Der rechtliche Rahmen sieht vor, dass ein Drittel der Gewinne an den Bund geht und die restlichen zwei Drittel an die Kantone. Die Kantone planen die Ausschüttungen in ihre jährlichen Budgets ein und sind unterschiedlich stark auf die SNB-Millionen angewiesen. Sie machen je nach Kanton zwischen 2 und 6 Prozent des Gesamtbudgets aus.
Doch Ausschüttungen wird es nur dann geben, wenn der Jahresverlust unter der Marke von 93 Milliarden Franken bleibt, wie aus Berechnungen der Schweizer Großbank UBS hervorgeht. Um diese Marke zu erreichen, müsste die SNB im letzten Quartal einen Gewinn von knapp 50 Milliarden Franken erzielen. Dafür wiederum müssten die internationalen Finanzmärkte im vierten Quartal eine starke Rally hinlegen – wonach es zurzeit nicht aussieht.
Unter Umständen könnte die SNB trotz Milliardenverlust Ausschüttungen vornehmen. Diese Ansicht vertritt Jean-Pierre Danthine, ehemaliger Vizepräsident der Nationalbank und Wirtschaftsprofessor an der ETH Lausanne gegenüber dem Tagesanzeiger. „Es ist denkbar, dass die Nationalbank beschließt, den Kantonen die historisch üblichen 2 Milliarden zu vergeben, auch wenn die Bedingungen nicht ganz erfüllt sind. 6 Milliarden wie in diesem Jahr werden es aber sicher nicht sein.“
Zürich bleibt gelassen, Lage in Genf angespannt
Im finanzstarken Zürich blickt man gelassen auf die Situation. Der Zürcher Finanzdirektor Ernst Stocker sagt, der Kanton habe zwar noch 236 Millionen Franken aus SNB-Ausschüttungen im Budget, doch auch bei einem Wegfall dieses Postens können Zürich das „verkraften“. Es liege in der Kompetenz und Verantwortung jedes einzelnen Kantons, der Lage Rechnung zu tragen. Die Ausschüttungen dürften nicht als „selbstverständlich“ angesehen werden, so Stocker.
Weniger finanzstarke Kantone, die bisher fest mit den SNB-Ausschüttungen gerechnet haben, stehen nun vor einer schwierigen Entscheidung. Bleiben die SNB-Millionen aus, müssen die Kantonalregierungen Einsparungen vornehmen. Manche Kantone haben die SNB-Ausschüttungen für 2023 bereits gänzlich abgeschrieben, darunter auch Genf.
„Es ist schwer vorstellbar, dass es der Nationalbank bis zum 31. Dezember dieses Jahres gelingt, die angekündigten sehr hohen Verluste wieder wettzumachen“, so Finanzdirektorin Nathalie Fontanet gegenüber dem Tagesanzeiger. „Die im Budget enthaltenen 117 Millionen Franken von der Nationalbank werden kurzfristig gestrichen.“
Ohne die SNB-Ausschüttungen steigt das Haushaltsdefizit in Genf auf 540 Millionen Franken an. Fontanet rechnet angesichts anhaltender Finanzmarktspannungen in naher Zukunft nicht mehr mit weiteren Nationalbank-Geldern und appellierte daher an die Kantone und das Parlament, Sparmaßnahmen auf den Weg zu bringen.