Finanzen

Trichet: Zentralbanken müssen „katastrophale Entfesselung“ der Inflation verhindern

Ex-EZB-Präsident Trichet sieht ein weltweites Versagen der Notenbanken im Kampf gegen die hohe Inflation. Diese sei nicht vorübergehend und eine „katastrophale Entfesselung“ müsse unbedingt verhindert werden.
30.11.2022 11:41
Aktualisiert: 30.11.2022 11:41
Lesezeit: 2 min

Der ehemalige EZB-Präsident Jean-Claude Trichet sieht die anhaltend hohe Inflation im Euroraum mit Sorge. „Ich bin besorgt. Die Inflation muss unbedingt wieder unter Kontrolle gebracht werden“, sagte Trichet der Deutschen Presse-Agentur in Frankfurt.

„Wir haben in den 1970er Jahren eine Phase erlebt, in der wir die Kontrolle über die Inflation verloren haben. Wir wissen, was es kostet, die Kontrolle über die Inflation zu verlieren. Das müssen wir vermeiden“, so Trichet weiter.

Trichet: „Die Inflation ist nicht vorübergehend“

Trichet, der von 1. November 2003 bis 31. Oktober 2011 Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) war und am 20. Dezember seinen 80. Geburtstag feiert, mahnte: „Es ist von entscheidender Bedeutung, eine katastrophale Entfesselung des Inflationsdrucks in Europa wie auch in den anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften zu verhindern.“ Trichet betonte: „Die Inflation ist nicht vorübergehend.“ Daher sei Wachsamkeit der Zentralbank notwendiger denn je.

Die EZB mit Sitz in Frankfurt strebt für den Euroraum mittelfristig Preisstabilität bei zwei Prozent Teuerung an. Im Oktober lagen die Verbraucherpreise im Währungsraum der 19 Länder um 10,6 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Nach langem Zögern stemmt sich die EZB seit Juli mit kräftigen Zinserhöhungen gegen die rekordhohe Teuerung. Der Leitzins im Euroraum, der jahrelang auf dem Rekordtief von null Prozent eingefroren war, liegt inzwischen bei 2,0 Prozent.

Trichet: „Alle Zentralbanken haben zu spät reagiert“

„Offensichtlich haben ausnahmslos alle Zentralbanken meiner Meinung nach zu spät reagiert, auch die Fed und die EZB“, sagte Trichet. Dafür gibt es seiner Meinung nach eine Reihe von Gründen: Unter anderem habe sich nach einer Periode sehr niedriger Inflation die Ansicht verfestigt, dass die Teuerung niedrig bleiben würde.

Zudem hätten sich Zentralbanken an einen langfristigen Ausblick ihrer Geldpolitik, die sogenannte Forward Guidance, gebunden. Die EZB zum Beispiel hatte sich darauf festgelegt, die Leitzinsen im Euroraum erst wieder zu erhöhen, nachdem sie die Nettokäufe von Staatsanleihen und anderen Wertpapieren eingestellt hat. „Daher war ein Richtungswechsel um 180 Grad schwierig“, sagte Trichet.

An der Entschlossenheit der Notenbanken, die Teuerung einzudämmen, hat Trichet keinen Zweifel. Die US-Notenbank Fed und EZB hätten bewiesen, dass sie nach jahrelang sehr expansiver Geldpolitik inklusive milliardenschwerer Anleihenkäufe in der Lage seien, umzusteuern.

„Die Europäische Zentralbank hat den Marktteilnehmern, Anlegern und Sparern gezeigt, dass sie den allgemeinen Inflationsdruck sehr ernst nimmt. Die EZB hat ein klares Bekenntnis zu ihrem Ziel abgegeben: Preisstabilität auf mittlere Sicht bei einer Inflationsrate von zwei Prozent im Euroraum.“

EZB wird Zinsen voraussichtlich weiter anheben

Die beiden jüngsten, historisch hohen Zinserhöhungen im Euroraum um jeweils 0,75 Prozentpunkte seien aus seiner Sicht „völlig gerechtfertigt“ gewesen, lobte Trichet. „Die EZB hat getan, was getan werden musste, und meiner Meinung nach wird sie auch weiterhin tun, was nötig ist. Daher bin ich zuversichtlich, dass der Euroraum in drei Jahren zu seiner Definition von Preisstabilität zurückkehren wird.“

Zuletzt hatte sich auch EZB-Präsidentin Christine Lagarde vor EU-Parlamentariern des Wirtschafts- und Währungsausschusses zum Thema Inflation erklärt. Lagarde mahnte dabei, dass Zenit der Inflation noch nicht überschritten sei. Wörtlich sagte die EZB-Präsidentin, sie wäre „überrascht“, wenn der Höhepunkt der Teuerungswelle bereits erreicht sei. Damit ebnet die EZB den Weg für weitere Zinsanhebungen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Finanzen
Finanzen KI-Blase: Warum der Hype um die Nvidia und Co. gefährlich werden könnte
27.12.2025

Die weltweite Euphorie rund um künstliche Intelligenz treibt Aktien wie Nvidia und Microsoft in immer neue Höhen und heizt die Diskussion...

DWN
Finanzen
Finanzen Inflationskrise USA: Warum 2026 zum gefährlichsten Jahr werden könnte
26.12.2025

Die Warnung eines führenden Ökonomen zeichnet ein düsteres Bild für die USA. Die Rückkehr einer hartnäckigen Inflationswelle könnte...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Familienunternehmen Voelkel: Mit Ingwer-Shots zur größten Bio-Safterei der Welt
26.12.2025

Voelkel ist bekannt für seine Obst- und Gemüsesäfte aus biologischem Anbau. Stefan Voelkel leitet das Unternehmen in dritter Generation...

DWN
Technologie
Technologie Autonomes Fahren: Bolt bringt chinesische Technologie nach Europa
26.12.2025

Europa erlebt eine neue Phase im Wettbewerb um autonome Mobilität, da chinesische Technologieanbieter zunehmend mit großen...

DWN
Panorama
Panorama Die spektakulärsten Weihnachtsbäume weltweit: Wenn Tradition zur Show wird
26.12.2025

Lichtermeere, Rekordhöhen und ungewöhnliche Kulissen: Rund um den Globus werden Weihnachtsbäume zu echten Spektakeln. Von italienischen...

DWN
Immobilien
Immobilien The Line: Saudi Arabiens hochgestapelte Megacity quer durch die Wüste
26.12.2025

Eines der wohl ambitioniertesten und innovativsten Infrastrukturprojekte unserer Zeit ist The Line. Die von Saudi-Arabien geplante...

DWN
Finanzen
Finanzen Dotcom-Blase der 1990er: Wie Spekulationen den Markt auf den Kopf stellte
26.12.2025

Die späten 1990er Jahre waren geprägt von einem beispiellosen Börsenboom im Technologiesektor, der als Dotcom-Blase bekannt wurde....

DWN
Politik
Politik Demokratie unter Dauerstress: Der globale Trend zur Autokratie
26.12.2025

2026 könnte zum Wendepunkt werden: Von Washington bis Berlin geraten liberale Demokratien unter Druck. Autokraten gewinnen Einfluss,...