Weltwirtschaft

Energiepreise in Europa schießen nach oben, weil der Wind fehlt

Lesezeit: 3 min
04.12.2022 07:40
Weil weniger Wind weht, steigen die europäischen Strom- und Gaspreise in die Höhe. Ein kalter Winter steht bevor, und Europas Energiesystem ist nicht darauf vorbereitet.
Energiepreise in Europa schießen nach oben, weil der Wind fehlt
Der fehlende Wind treibt die Energiepreise in Europa in die Höhe - gerade jetzt, wo es kälter wird. (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Wegen der politisch gewollten Abkehr von russischem Erdgas hat Europa für die diesjährige Heizperiode große Gasreserven angelegt. Dies hat dazu beigetragen, dass die Strom- und Gaspreise erst massiv anstiegen und nun in letzter Zeit wieder deutlich gesunken sind. Eine besonders milde Wetterperiode auf dem gesamten Kontinent trug ebenfalls dazu bei, dass die Gasentnahmen zurückgingen und die Lagerbestände aufgestockt werden konnten.

Nun aber setzt vielerorts kälteres Wetter ein, was die Nachfrage nach Gas erhöht. Zugleich wird der Wind schwächer, sodass die Windparks weniger Strom erzeugen. In dieser Woche sank die Windgeschwindigkeit in Hamburg laut der Wettervorhersage-Website windy.com auf etwa 5 Meter pro Sekunde. Das ist die Mindestgeschwindigkeit zur Stromerzeugung. Für eine maximale Stromerzeugung sind Geschwindigkeiten von etwa 15 Metern pro Sekunde erforderlich.

Die Art von Hochdrucksystemen, die derzeit in Europa vorherrschen, führen in der Regel zu weniger Wind, zitiert das Wall Street Journal Evangeline Cookson, Meteorologin und Forschungsanalystin bei Marex Spectron. Solche Anomalien in der Windgeschwindigkeit sind nicht ungewöhnlich, kommen nun aber zur Unzeit. Denn die europäischen Staaten haben sich entschlossen, den Winter weitgehend ohne russisches Gas zu bestreiten.

Die Energiehändler haben sich zuletzt ungewöhnlich stark auf das Wetter konzentriert, weil es das Angebot und die Nachfrage nach Gas dramatisch beeinflussen kann. Staaten und Energieunternehmen suchen in den längerfristigen Wettervorhersagen nach Hinweisen auf die Strenge dieses Winters. Diese sind jedoch weniger präzise als kurzfristige Prognosen. Zwei viel beachtete Vorhersagen haben für die nächsten drei Monate ganz unterschiedliche Prognosen abgegeben.

Probleme auch bei Atomenergie und Wasserkraft

Die Flaute beim Wind kommt auch zu einem Zeitpunkt, da Frankreich, ein wichtiger Stromexporteur in Europa, darum kämpft, einen großen Teil seiner Kernkraftwerke nach Wartungsproblemen wieder in Betrieb zu nehmen. In der Zwischenzeit hat auch die Wasserkrafterzeugung mit Problemen zu kämpfen. Denn die Pegelstände der Flüsse sind nach dem heißen Sommer auf ein Mehrjahrestief gesunken.

Nach Angaben der European Energy Exchange AG lagen die Day-Ahead-Strompreise in Deutschland am Freitag bei 361 Euro pro Megawattstunde, umgerechnet 377 Dollar, gegenüber 108 Euro Mitte letzten Monats. Auch die Erdgaspreise sind angesichts der zusätzlichen Nachfrage stark gestiegen. Die niederländischen TTF-Benchmarkpreise lagen am Donnerstag bei über 158 Euro pro Megawattstunde, nachdem sie zu Wochenbeginn noch bei 123 Euro gelegen hatten.

Für die Windenergieerzeugung sind Tiefdruckwinde in westlicher Richtung über Norddeutschland und Frankreich ideal, sagt die Meteorologin Evangeline Cookson. In diesem Gebiet ist die höchste Konzentration von Windturbinen in Europa installiert, die dort gebaut wurden, um die normalerweise vorherrschende Windrichtung auszunutzen.

Doch in dieser Woche hat die Region genau das Gegenteil erlebt: Hochdruckwetterlagen, die schwache, nordöstliche Winde mit sich bringen. "Diese nordöstliche Windströmung bringt schwächere Winde und kältere Temperaturen mit sich, was den Heizbedarf erhöht", sagt Cookson und fügt hinzu, dass dieses Wettermuster wahrscheinlich auch in den nächsten zehn Tagen anhalten wird.

Erneuerbare Energien kein Ersatz für russisches Gas

Die Windflaute unterstreicht eine zentrale Schwäche der europäischen Energieinfrastruktur. Der Kontinent hat zwar stark in Wind- und Solarenergie investiert, verfügt aber nicht über ausreichende Kapazitäten, um diese Energie für Zeiten zu speichern, wenn Wind und Sonne fehlen. Die Batteriespeichertechnologie für überschüssige Energie aus Solar- und Windkraftanlagen ist noch immer ein Entwicklungsfeld.

Vor dem letzten Jahr, als die Energiepreise auf einem niedrigen Niveau lagen, gab es kaum Anreize, die europäischen Speicheranlagen zu verbessern, sagt Anna Darmani, leitende Analystin für Energiespeicherung beim Energieforschungs- und Beratungsunternehmen Wood Mackenzie. Europa sei hinter China und den USA zurückgeblieben. "Diese Projekte brauchen drei bis vier Jahre, um ans Netz zu gehen, und es gibt keine Garantie, dass die Preise hoch bleiben."

Während des Sommers kam es in Europa auch zu Kürzungen bei der Einspeisung von Energie aus erneuerbaren Quellen in das Stromnetz, denn obwohl die Bedingungen für die Solarstromerzeugung günstig waren, musste die Energie aufgrund fehlender Batteriespeicher vergeudet werden, da sie vom Stromnetz zu diesem Zeitpunkt nicht benötigt wurde, so Darmani.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Die Edelmetallmärkte

Wegen der unkontrollierten Staats- und Unternehmensfinanzierung durch die Zentralbanken im Schatten der Corona-Krise sind derzeitig...

DWN
Politik
Politik DWN-Kommentar: Deutsche müssen über Abschiebungen diskutieren - mit aller Vorsicht
26.04.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Politik
Politik Tourismus-Branche: „In Hotellerie und Gastgewerbe ist noch nichts wieder in Ordnung“
26.04.2024

Die deutsche Tourismus-Branche, also Hotellerie und Gastronomie, firmiert neuerdings unter dem neuen Sammelbegriff „Gastwelt“ - auch um...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Bürokratieabbau: Ministerin fordert mehr Widerstandsfähigkeit und Effizienz
26.04.2024

Rheinland-Pfalz ist ein mittelständisch geprägtes Land. Gerade kleinere Betriebe hadern mit zu viel bürokratischem Aufwand.

DWN
Politik
Politik Hybride Bedrohungen: Drohnen-Flüge und psychologische Kriegsführung
26.04.2024

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat eindringlich vor hybriden Bedrohungen in Deutschland gewarnt. Gegen den Einsatz von...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Gallup-Studie: Globale Führungsbewertung 2024 - wie Deutschland unter Großmächten abschneidet
26.04.2024

Die Gallup-Studie 2024 zeigt die Stabilität und Herausforderungen in der globalen Führungsbewertung für Länder wie USA, Deutschland,...

DWN
Politik
Politik Habeck kontert Kritiker: „Energiekrise gemeistert und Strompreise gesenkt“
26.04.2024

Nach Kritik an Atomausstieg: Habeck und Lemke bestätigen, die Energieversorgung sei gesichert und nukleare Sicherheit gewährleistet.

DWN
Technologie
Technologie Künstliche Intelligenz: Wie sich Deutschland im internationalen Rennen positioniert
26.04.2024

Die Deutsche Industrie macht Tempo bei der KI-Entwicklung. Das geht aus einer kürzlich veröffentlichten Analyse des Deutschen Patent- und...

DWN
Immobilien
Immobilien Commerzbank-Studie: Immobilienpreise könnten weiter fallen
26.04.2024

Deutsche Wohnimmobilien verlieren weiter an Wert. Die Commerzbank sieht ein Abwärtspotenzial von 5 bis 10 Prozent, abhängig von...