Weltwirtschaft

Zinserhöhungen der Fed erdrücken US-Farmer

Lesezeit: 5 min
23.12.2022 11:52
Der Zinserhöhungszyklus der Federal Reserve hat die Agrar-Industrie in den USA hart getroffen. Viele Kleinbetriebe sind konstant auf Kredite angewiesen und wurden nun von den steigenden Zinskosten kalt erwischt. Für die globale Versorgung mit Nahrungsmitteln ist das keine gute Entwicklung.

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Die Zinserhöhungen der US-Zentralbank Federal Reserve (Fed) haben die örtlichen Farmer schwer getroffen. Die Landwirtschaft ist nämlich ein stark fremdfinanziertes Geschäft. Ein Gros der US-Landwirte ist auf kurzfristige, variabel verzinste Kredite angewiesen. Die Schulden werden üblicherweise nach der Herbsternte und vor der Frühjahrs-Aussaat aufgenommen, um damit einen Großteil der Ausgaben zu decken – von Saatgut und Düngemitteln bis hin zu Viehbestand und Maschinen. Nicht zu unterschätzen sind zudem notwendige Investitionen in modernste Technik, die vormals manuelle Tätigkeiten zunehmend automatisiert. Aus laufenden Erträgen können das die wenigsten finanzieren, insbesondere unter den zahlreichen Kleinbauern.

Die Landwirte zahlen diese Kredite dann mit den Erträgen aus ihren Ernten zurück, bevor sie den Prozess wiederholen. Oft versuchen die Landwirte, ihre Kredite bis zum Jahresende oder Anfang Januar zu sichern, um von Rabatten der Lieferanten zu profitieren und sicherzustellen, dass sie nicht in einen Engpass geraten. Letzteres ist besonders in der heutigen Zeit wichtig, wo das weltweite Angebot an Düngemitteln und sonstigen landwirtschaftlichen Chemikalien chronisch knapp ist.

Laut Interviews mit zwei Dutzend Landwirten und Bankern sowie Daten des US-Landwirtschaftsministeriums und der Notenbank ringen die Erzeuger nun mit der Frage, wie sie für den Schuldendienst aufkommen sollen. Denn vor der nächsten Anbausaison sind die Zinsen in die Höhe geschnellt.

Die steigenden Kreditkosten bringen die Liquidität vieler Erzeuger an ihre Grenze und veranlassen einige, den Einsatz von Düngemitteln oder Chemikalien zu reduzieren oder im nächsten Frühjahr weniger Saatgut zu pflanzen. Hinzu kommt, dass manche Landwirte schon jetzt nicht mehr in neue Maschinen investieren. Insgesamt dürfte das die Ernteerträge verringern und somit die Lebensmittelpreise für den Endverbraucher nach oben treiben. Auf kurze Sicht werden zwar alle verfügbaren Lagerbestände auf den Markt geworfen und die Preise nach unten gedrückt, aber mittel- bis langfristig wird der strukturelle Effekt preistreibend durchschlagen.

Nullsummenspiel aus steigenden Einnahmen und steigenden Kosten

Für Farmer, die noch relativ frisch im Beruf sind, sind steigende Zinskosten eine völlig neue Situation. „Wir haben dieses Jahr vielleicht mehr Geld verdient, aber wir haben genauso viel ausgegeben, wie wir eingenommen haben“, äußert sich Sarah Degn, Landwirtin in vierter Generation aus Sidney, Montana, über ihre schwierige Lage gegenüber Reuters. Der Zinssatz ihrer Betriebsanleihe hat sich in diesem Jahr verdoppelt und wird 2023 noch höher sein. „Wir kommen nicht voran.“

Die zwar in letzter Zeit rückläufigen, aber immer noch recht hohen Rohstoffpreise sind hierbei ein zweischneidiges Schwert. Getreidepreise und globale Nachfrage für Agrarprodukte sind hoch, was eigentlich allen landwirtschaftlichen Betrieben zugute kommen sollte. Allerdings bedeuten hohe Rohstoffpreise und im Speziellen die Kunstdünger-Knappheit auch hohe Inputkosten für die Farmer. Die Kosten für Düngemittel und Treibstoff sind ebenso gestiegen wie die Preise für Ackerland und die Pachtpreise. Zudem ging der finanzielle Glücksfall von explodierenden Weizenpreisen einher mit einer weit verbreiteten Dürre, was die Ernten im ganzen Land beeinträchtigte und die Rinderschlachtungsraten in die Höhe schnellen ließ.

Zumindest im Vakuum betrachtet haben die amerikanischen Getreide- und Ölsaatenerzeuger trotzdem in den letzten zwei Jahren von exorbitant hohen Preisen profitiert, die im laufenden Jahr infolge der Verknappung der ukrainischen Getreideexporte ein neues Allzeithoch erreichten. Mittlerweile sind die Agrarpreise (nicht nur US-Weizen, das im folgenden Chart als Extrembeispiel dient) wieder auf einem deutlich niedrigeren Level angekommen.



Weil (Agrar-)Rohstoffpreise so stark von Spekulation auf den Finanzmärkten getrieben werden, spricht der Preisrückgang nicht unbedingt dafür, dass die globale Weizen-Knappheit vorbei ist.

Für die US-Landwirte ist es aktuell dennoch ein heikles Umfeld. Es ist durchaus vorstellbar, dass die Preise für ihre Agrarerzeugnisse weiter sinken, während die Zinskosten konstant hoch bleiben oder sich sogar noch weiter erhöhen. Insbesondere die Preise für Rindfleisch und Sojabohnen sind in den letzten Jahren zwar nicht ganz so stark gestiegen wie Weizen, haben dafür aber noch deutlich mehr Luft nach unten.

Liquiditäts-Sorgen

Das größere Problem für die Farmbetriebe sind indes die kaum noch tragfähigen Zinskosten. Nach Angaben der Agrarbehörde USDA wird der gesamte Zinsaufwand des Landwirtschaftssektors in diesem Jahr voraussichtlich 26,45 Milliarden Dollar betragen, fast 32 % mehr als im Vorjahr und inflationsbereinigt der höchste Wert seit 1990. Diese Summe ist höher als in allen anderen Wirtschaftszweigen.

US-Landwirte sitzen auf einem Schuldenberg von knapp 500 Milliarden Dollar. Die durchschnittliche Höhe der Bankkredite für landwirtschaftliche Betriebe ist laut Zahlen der Federal Reserve Bank of Kansas City auf ein Fünfjahreshoch gestiegen. Nach den jüngsten Daten liegt der durchschnittliche Zinssatz für alle Betriebskredite in der Landwirtschaft bei knapp fünf Prozent. Nicht wenige Farmer zahlen deutlich mehr und müssen ihre kurzfristigen Schulden mit Zinsen von 7 Prozent oder mehr bedienen – das ist Ramschanleihe-Niveau. Innerhalb von nur sechs Monaten haben sich die Zinsen teils verdoppelt und es ist zu erwarten, dass die Zins-Konditionen für Agrarfirmen noch schlechter werden.

Der beste Zeitpunkt für Farmer, um Schulden aufzunehmen, ist dann, wenn das Zinsniveau am breiten Markt sehr niedrig ist. Die Banken sind dann bereit höhere Risiken einzugehen, um überhaupt noch eine ordentliche Zinsmarge zu generieren. Wenn man aber wie derzeit für 3,5 Prozent Zinsen vermeintlich sichere 10-jährige amerikanische Staatsanleihen kaufen kann, ergibt es wenig Sinn, kleine finanzschwache Agrar-Unternehmen zu einem ähnlichen Zinssatz zu finanzieren. Entsprechend erhöhen die Banken dann die Risikoprämie, also den Kreditzins.

Viele Landwirte nehmen – trotz des denkbar schlechten Umfelds am Kapitalmarkt – aufgrund höherer Kosten immer mehr variabel verzinste Kredite auf, weil das praktisch die einzigen Kredite sind, die sie in ihrer finanziellen Schieflage noch bekommen können. Sie tun dies in dem Wissen, dass es eine große finanzielle Belastung für ihre Betriebe darstellt und sie zudem dem Risiko von weiteren Zinserhöhungen der Fed ausgesetzt sind.

Der kurzfristige Leitzins liegt jetzt in einer Spanne von 4,25 bis 4,5 Prozent, während er Anfang März, kurz bevor die US-Notenbank die Zinsen erstmals anhob, noch zwischen 0 und 0,25 Prozent lag. Die Inflation ist nach wie vor relativ hoch und und die Entscheidungsträger der Fed haben signalisiert, dass sie die Zinssätze weiter anheben werden, bis klarere Anzeichen für eine inflationsdämpfende Wirkung erkennbar sind.

US-Farmer sind das Rückgrat der globalen Nahrungsmittel-Versorgung

Ein Ende des Zinserhöhungszyklus käme den Farmern enorm zugute, aber die Fed hat in erster Linie die Inflationsrate und die breite Konjunktur im Blick – ein Wirtschaftssektor, der nur ein Prozent des BIP ausmacht, ist da nur eine Randnotiz.

Und obwohl in den Vereinigten Staaten auch nur etwa ein Prozent der arbeitenden Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig ist, sind die Aktivitäten des Sektors für den Weltmarkt von großer Bedeutung.

Denn aufgrund und der schieren Größe des Landes (etwa 15 Prozent der Bodenfläche werden landwirtschaftlich genutzt) in Kombination mit einer hohen Produktivität der heimischen Agrarbranche sind die USA noch vor China, Russland und Brasilien der weltweit führende Exporteur von Getreide und Vieherzeugnissen. Neben Weizen (Weltmarktanteil grob 18 Prozent) sind die USA unter anderem bekannt für die Produktion von Soja (Weltmarktführer mit 35 Prozent), Rindfleisch (Anteil 12 Prozent), Milch (13 Prozent) und Reis (9 Prozent).

Was die steigenden Zinskosten der US-Produzenten angeht, so trifft dieses Problem in mehr oder weniger abgeschwächtem Maße auch auf Kanada, Australien, Asien (exklusive China) und Europa zu. Das dürfte die Agrar-Produktion dämpfen und somit die globale Nahrungsmittel-Knappheit tendenziell verschärfen.

Obendrein kommen noch die prognostizierten und teilweise schon eingetroffenen Kältewellen in Nordamerika und Europa. Genau wie bei den steigenden Zinskosten sind vermutlich die allermeisten Landwirte nicht gut darauf vorbereitet.

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Jakob Schmidt ist studierter Volkswirt und schreibt vor allem über Wirtschaft, Finanzen, Geldanlage und Edelmetalle.



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