Finanzen

Nach Bärenmarkt 2022: Wie geht es jetzt an der Börse weiter?

Lesezeit: 7 min
09.01.2023 09:00
Eines der schlechtesten Börsenjahre aller Zeiten ist endlich vorbei. Die große Frage ist jetzt, ob der Bärenmarkt 2023 überwunden wird oder nicht.
Nach Bärenmarkt 2022: Wie geht es jetzt an der Börse weiter?
Ist der Bärenmarkt 2023 endlich vorbei? (Foto: Pixabay)

2022 war für Anleger eines der schlechtesten Jahre aller Zeiten. Ja, es hatte im Laufe des Vorjahres warnende Stimmen vor einem überhitzten Aktienmarkt gegeben – so wie in jedem Bullenmarkt. Aber der Cocktail aus völlig überhöhten Kursen, Inflation, Zinswende und sinkender Geldmenge sowie schwächelnder Konjunktur war dermaßen toxisch, wie es die wenigsten erwartet hatten. Nach einer ersten Korrektur zum Jahresende 2021 waren die Märkte dennoch wieder auf dem Weg nach oben, um dann vom Ukraine-Krieg endgültig ausgebremst zu werden.

Die großen Indizes wie der SP500, Eurostoxx600 und DAX verloren 20 Prozent oder mehr ihres Wertes – in der Finanzwelt spricht man ab dieser Marke von einem Bärenmarkt.

Noch viel schlimmer traf es Tech-, Hype- und Meme-Aktien. Der Technologie-Index NASDAQ hat im letzten Jahr mehr als 30 Prozent verloren. Investoren scheuen in unsicheren Zeiten das Risiko und so wurde zuletzt vermehrt in defensive Aktien (nicht-zyklische Konsumgüter, Pharma, Rüstung) und Energiewerte umgeschichtet. Einige dieser defensiven Aktien wie zum Beispiel Coca Cola oder Lockheed Martin konnten sich aus diesem Grund trotz Bärenmarkt gut behaupten.

Irrational hochgejubelte Elektroauto-Aktien wie Rivian und Lucid wurden hingegen aufgrund von schwachen Quartalszahlen und ungünstigen makroökonomischen Bedingungen gnadenlos abverkauft. Beim Gebrauchtwagen-Händler Carvana droht gar die Insolvenz, was sich in einem Kurs nahe Null widerspiegelt. Zuletzt ist dann auch der Börsenwert des Vorzeigekindes Tesla kollabiert.

Unterdessen verloren schon vorher zahlreiche (Tech-)Wachstums-Unternehmen wie Netflix, Shopify, Upstart und Oatly, welche 2021 noch als Überflieger gefeiert wurden, meist etwas abseits des großen Rampenlichts rund zwei Drittel ihrer Marktkapitalisierung.

Wer eine sinnbildhafte Darstellung des Entstehens und Platzens der Aktienblase im Tech-Segment sucht, braucht nur einen Blick auf den Kursverlauf des „Arkk Innovation ETF“ werfen. Der beliebte Fonds von Cathie Wood hat es sich zur Aufgabe gemacht, nahezu ausschließlich in innovative und disruptive Technologie-Unternehmen zu investieren. Im letzten Jahr ist der Innovation-Fonds katastrophal abgestürzt, Anleger mussten ein minus von 70 Prozent verkraften.

Wer in den Arkk-ETF investiert war beziehungsweise immer noch ist, hat hoffentlich zwischenzeitlich (Teil-)Gewinne mitgenommen oder ist wenigstens mental sehr belastbar. Die Wall Street insgesamt hat jedenfalls 2022 eine historische Vernichtung von Börsenwerten erlebt. 11,2 Billionen Dollar, also 11.200 Milliarden an Aktienvermögen (Messwert: Russel 3000 Index) ist auf dem Weg von den Höchstständen 2021 bis zum Jahresende 2022 buchstäblich in Flammen aufgegangen. In der Finanzkrise 2007/2008 waren es „nur“ 6,7 Billionen Dollar. Interessanterweise sind 60 Prozent der Verluste im SP500-Index auf nur 7 Aktien zurückzuführen: Tesla, Amazon, Apple, Alphabet, Microsoft, Meta Platforms und Nvidia. Aktien der Kategorie (Big-)Tech und Momentum zählten letztes Jahr zu den größten Verlierern.

Die Pulverisierung der Kryptomärkte

Im Vergleich zum großen Crash bei den Kryptowährungen war der Einbruch der (Big-)Tech-Aktien aber noch vergleichsweise harmlos. Der Kryptomarkt ist traditionell stark mit dem Aktienmarkt korreliert, insbesondere mit Technologie-Aktien. Und so sind Kryptowährungen 2022 mehr oder weniger parallel mit dem NASDAQ auf Talfahrt gegangen. Die Spirale war hier aber noch lange nicht zuende. Im Zuge des Skandals um den Krypto-Broker FTX sind auch die großen Coins nochmal um 25 bis 30 Prozent eingebrochen.

Der Marktwert aller Kryptowährungen ist seit dem Zenit im Oktober 2021 um rund 2.000 Milliarden Dollar gesunken. Die Pulverisierung des Kryptomarktes erinnerte stellenweise an das Ende der Dotcom-Blase vor zwanzig Jahren. Bitcoin, Ethereum und viele andere notieren nun auf einem Niveau, das nur noch geringfügig höher ist als vor Beginn der Corona-Pandemie. Interessanterweise trifft dies in ähnlicher Weise auch auf die großen Aktienindizes zu. Der entscheidende Unterschied ist, dass sich die meisten Kryptowährungen im Bullenmarkt vervier- bis verfünffacht hatten, während der breite Aktienmarkt in der Spitze nur eine Verdoppelung erreichte.

Fakt ist: Kryptowährungen sind ein riskanteres Investment als Aktien. Höheres Potential nach oben geht einher mit einem höherem Risiko nach unten. In der noch jungen Historie der Digitalwährungen erscheinen die aktuellen Kursniveaus zwar wie ein solider bis guter Einstiegszeitpunkt und der Kryptomarkt ist ohne Zweifel ausgebombt. Allerdings: Selbst wenn bei den aktuellen Kursen kein einziger reiner Krypto-Investor mehr verkaufen würde, so könnten wir im Rahmen eines erneuten Aktiencrashs trotzdem nochmal erheblich tiefere Preise sehen. Außerdem könnte ein Kollaps weiterer Krypto-Börsen wie Binance verheerende Dominosteine ins Rollen bringen, die Bitcoin wieder an oder sogar unter die wichtige Marke von 10.000 Dollar schicken könnte.

Viel Pessimismus, trotzdem recht hohe Bewertungen

Und wie wird es bei Aktien weiter gehen? Das ist eine schwierigere Frage. Im Gegensatz zu Kryptowährungen lassen sich Unternehmensbeteiligungen anhand fundamentaler Kennzahlen bewerten. Und schaut man sich etwa das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) an, so fällt auf, dass der Aktienmarkt historisch betrachtet immer noch nicht wirklich günstig ist. Der Benchmark-Index aus den USA, der SP500, handelt bei einem gewichteten KGV von 17,5 in etwa bei seinem langfristigen Durchschnittswert von 17. Einen günstigeren Einstieg bieten europäische Aktien (Eurostoxx 600) mit einem KGV von 12,1 verglichen mit dem Durchschnitt von 14,6.

Was das Kurs-Buchwert- und insbesondere das Kurs-Umsatz-Verhältnis angeht, sind die aktuellen Niveaus in den USA deutlich höher als der langfristige Durchschnittswert. Eine Analyse dieser Kennzahlen würde jedoch den Rahmen dieses Artikel sprengen, genauso wie eine Betrachtung des (stark politisch geprägten) chinesischen Marktes.

Man sollte in diesem Kontext an die uralte Börsenweisheit denken: An den Aktienmärkten werden letztlich vor allem Zukunftserwartungen gehandelt. Das bedeutet, dass zukünftig fallende Gewinn(margen) schon heute in den Kursen abgebildet sein sollten. Und hier ist sich fast die gesamte Wall Street darin einig, dass die Gewinnschätzungen bei den US-Unternehmen – sowohl interne als auch die der Analysten – deutlich zu hoch sind. Die Zukunft der europäischen Wirtschaft sieht noch düsterer aus, was den relativen Abschlag zum US-Markt rechtfertigt, wobei dieser Abschlag schon immer zu einem gewissen Grad vorhanden war.

Die nächste Berichtssaison dürfte noch einige Enttäuschungen mit sich bringen. Die Aktienkurse haben das teilweise schon eingepreist. Was jedoch nicht eingepreist ist, ist eine heftige Rezession. Das ist für die Aktienmärkte das größte Risiko. In den USA bereitet neben den erhöhten Zinsen und der dünnen Liquidität vor allem die Konsumnachfrage Sorgen. In Europa kommt noch die Energiekrise hinzu.

Bei den normalisierten Aktien-Bewertungen würde sonst eigentlich wenig gegen einen vorsichtigen (Wieder-)Einstieg in den Markt sprechen – zumal die Inflation an Dynamik verliert und es damit gute Aussichten auf eine frühe Abkehr von der restriktiven Geldpolitik gibt. Die Wall Street würde auf einen verfrühten Zinsgipfel der Fed aller Wahrscheinlichkeit nach positiv reagieren.

Indes deuten Indikatoren wie der „FRED Financial Stress Index“ überhaupt nicht darauf hin, dass an den Märkten ein größeres Beben bevorsteht.

Das schwierigste Marktumfeld seit Jahrzehnten

Einerseits ist die Anleger-Stimmung dermaßen im Keller, dass der nächste große Crash doch schon längst hätte kommen müssen. Wenn sich Analysten namhafter US-Großbanken wie Morgan Stanley mit den meisten Privatanlegern aus aller Welt darin einig sind, dass wir 2023 nochmal neue Tiefs im SP500 sehen werden, warum pendeln die Kurse dann seit vielen Monaten immer noch in ihrer Bandbreite zwischen 3.800 und 4.100 Punkten und liegen nicht schon längst tiefer?

Optimistische Prognosen sucht man an der Wall Street vergeblich, was wiederum zeigt, wie schlecht die Stimmung am Aktienmarkt allgemein ist. Rezessionsängste, Margendruck bei den Unternehmen und genereller Liquiditäts-Mangel durch die restriktive Zentralbank-Politik sind die zentralen Bremsklötze. Unterdessen warnt der legendäre Hedgefonds-Manager „Mr. Big Short“ Michael Burry, der 2007 mit seiner erfolgreichen Spekulation auf den Zusammenbruch des US-Immobilienmarktes weltberühmt wurde, regelmäßig vor weiteren erheblichen Kursstürzen.

Speziell im Hinblick auf die nächsten Monate gibt es aber auch einige positive Aspekte. Wie bereits erwähnt kann die Anleger-Stimmung kaum schlechter werden. Bei niedergeprügelten Einzelwerten wie Tesla oder auch gebeutelten Indizes wie dem NASDAQ steigen jetzt die ersten „Bottom Fisher“ ein, die antizyklisch darauf setzen, dass die Talfahrt zu heftig war und es demnach zu einer Gegenbewegung kommen sollte. US-Privatanleger mussten verlustreiche Positionen vor Jahresende verkaufen, um den Verlust steuerlich geltend machen zu können, was den Verkaufsdruck mindern sollte. Umgekehrt dürften sich einige der auf fallende Aktienkurse spekulierenden Leerverkäufer erst jetzt zum Jahresanfang eindecken, was den Kursen Auftrieb geben würde.

Andererseits sind die Bewertungen wie oben dargestellt nicht wirklich günstig. Das ist ein wichtiger Unterschied zu 2009, als die Stimmung auch historisch schlecht war, aber Aktien zu einem Spottpreis verfügbar waren. Europäische Aktien mögen auf den ersten Blick günstig erscheinen, aber nach der Rally der letzten Wochen sind Eurostoxx- und DAX-Index gar nicht mehr so weit von den Allzeit-Höchstständen entfernt – und das in der aktuellen Wirtschaftslage. Die gegenwärtigen Kurse bieten eben immer noch eine enorme Fallhöhe. Und wer denkt, er ist schlau und akkumuliert eben nur die Aktien besonders robuster Konzerne, der kauft aktuell mit die teuersten (meist defensiven) Werte an der Börse und läuft nur verspätet dem Trend hinterher – in der Geldanlage ist das kein Erfolgsrezept. Da kauft man besser die Weltwirtschaft mittels „MSCI World“ und ähnlichen Indizes. Apropos MSCI World: Der Wert des bekanntesten Welt-Index, der von zahlreichen ETFs abgebildet wird oder diesen als Benchmark dient, sank 2022 um 15 Prozent, was im Branchenvergleich noch relativ erträglich ist.

Derweil kann sich der breite Aktienmarkt selbst auf kurze Sicht einfach nicht entscheiden, ob es nun tendenziell nach oben oder nach unten gehen soll. Technisch gesehen befinden wir uns immer noch in einem Bärenmarkt, aber das Blutbad, welches von den sogenannten Crash-Propheten seit vielen Jahren vorhergesagt wird, blieb bisher aus. Im SP500 mündet noch fast jede längere Bewegung nach unten in eine kleine Bärenmarktrally, während jede Bewegung nach oben an gewissen Widerständen abprallt. Ein so vertracktes und undurchsichtiges Marktumfeld kann sowohl Profis als auch Kleinanleger in den Wahnsinn treiben.

Insgesamt eine sehr komplexe Gemengelage. Finanzexperten sprechen nicht umsonst vom vielleicht schwierigsten Marktumfeld seit Jahrzehnten – oder gar aller Zeiten, denn historische vergleichbare Konstellationen gibt es schlichtweg nicht. Guten Gewissens kann man hier gar nichts empfehlen. Der Autor dieser Zeilen hat sich dazu entschieden, einfach Cash zu halten und dem Markt von der Seitenlinie zuzuschauen. Das bietet zumindest einiges an kostenloser Unterhaltung.

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Jakob Schmidt ist studierter Volkswirt und schreibt vor allem über Wirtschaft, Finanzen, Geldanlage und Edelmetalle.

Haftungsausschluss: Dieser Artikel stellt keine Anlage-Beratung dar. Es handelt sich hier nur um die subjektive Einschätzung des Autors. Jeder Anleger sollte sich selbstständig informieren und Entscheidungen über den Kauf oder Verkauf von Wertpapieren, Währungen, Rohstoffen, Derivaten und sonstigen Vermögenswerten oder Finanzinstrumenten nur auf Grundlage individueller Chance-Risiko-Abwägungen treffen.
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