Energiekrise und Inflation waren für die deutsche Handelsbranche 2022 zwei heftige Herausforderungen. Nachdem sich der Handel langsam von der Corona-Pandemie zu erholen schien, schlug mit dem Krieg in der Ukraine die nächste Krise hart zu. In einem Interview vom 5. Januar spricht der Präsident des Handelsverband Deutschland (HDE), Alexander von Preen, über das vergangene Jahr und warnt mit Blick auf 2023 vor einem Regulierungs-Tsunami aus Brüssel, der auf den deutschen Handel zukommt.
Handelsverband fordert weitere Entlastungen
Im letzten Jahr wurden wegen der Energiekrise, der Inflation sowie den steigenden Kosten für die Unternehmen von der Bundesregierung Entlastungen beschlossen. Im Interview mit der Lebensmittelzeitung erklärt von Preen, dass der Druck auf die Branche weiter enorm sei und es Nachbesserungen bezüglich der Entlastung geben müsse: „Faktisch sind die Strom- und Gaspreisbremsen ja noch nicht in Kraft. Insofern müssen wir die weitere Entwicklung abwarten. Motivatorisch waren die Ankündigungen sicherlich gut, denn positive Nachrichten sind immer gut für die Stimmung. Das hat sich auch im HDE-Konsumbarometer widergespiegelt, das im Oktober auf einem Tiefstand war und im November und Dezember wieder angezogen hat. Der Druck durch die Preissteigerungen ist enorm. Das wird uns auch 2023 noch begleiten. Aus Sicht des Handels müssen die Entlastungen nachgebessert werden.“
Von Preen erklärte, man sei in guten Diskussionen mit der Bundesregierung, um eine weitere Nachbesserung zu erreichen. Das Jahr 2021 sei wegen des Corona-Lockdowns kein geeigneter Vergleichszeitraum für den Energieverbrauch. Der Bundesregierung sei diese Tatsache aber bewusst und man habe seitens der Regierung das Problem erkannt.
„Die Politik muss mehr Freiräume schaffen“
Im Oktober warnte der Handelsverband Deutschland vor einem Ladensterben in Deutschland. Jüngst sprach von Preen über dieses Problem. Dabei merkte er den Fakt an, dass 41.000 Händler in Deutschland seit 2019 ihr Geschäft aufgegeben haben. Darauf angesprochen erklärt er im Interview, dass seiner Ansicht nach die Pandemie dazu geführt habe, dass viele Händler ihre Rücklagen aufgebraucht hätten und nun sei mit dem Ukraine-Krieg die nächste Krise gekommen. Der Handel befände sich in einer intensiven Transformationsphase, in der es wichtig sei, gezielt Geld auszugeben, um das Einkaufserlebnis anziehend zu machen und auf allen Vertriebskanälen präsent zu sein.
Um der Branche aus der Krise zu helfen, sieht es von Preen als entscheidend an, dass von der Politik mehr Freiräume geschaffen werden: „Die Politik, die in der Corona-Pandemie zurecht sehr aktiv war, um die Krise zu bewältigen, muss sich wieder zurücknehmen und Freiräume für unternehmerische Aktivitäten und Innovationen schaffen. Wenn Genehmigungsverfahren zu lange dauern oder Umbauten mit Auflagen erschwert werden, dann ist das nicht hilfreich. Die Innenstädte müssen attraktive Rahmenbedingungen für Handel, Gastronomie und Kultur bieten. Wir führen hierzu auf allen Ebenen und mit allen Stakeholdern Gespräche, vom Bundesbauministerium bis hin zu den Kommunen.“
Das Thema Innenstädte sei für ihn ein Top-Thema. Wenn man darauf gucke, in welchem gesellschaftlichen Wandel man sich befände, dann biete sich dem Handel eine große Gelegenheit, eine wichtige Rolle zu übernehmen. Dazu gehöre, die Menschen zusammenzuführen und einen Austausch zu gestalten, der an anderen Orten nicht mehr existent sei. Man brauche aber auch mehr Flexibilität bei den Arbeits- und Öffnungszeiten.
Von Preen befürchtet Regulierungs-Sturm aus Brüssel
Aktuell sind wegen der Inflation für viele stationäre Händler indexbasierte Mieten ein Problem. Von Preen verdeutlicht, dass niemand mit einer Inflation von 10 Prozent in Deutschland gerechnet habe. Entscheidend sei nun, dass die betroffenen Mieter mit den Vermietern eine Lösung finden würden, die für beide Seiten passt. Laut einer aktuellen Mitgliederumfrage seien 64 Prozent der Geschäftslokale angemietet, rund die Hälfte davon (46 Prozent) mit Indexmietverträgen, die an die Inflationsrate gekoppelt seien.
Viele Unternehmen hätten von Preen zufolge bereits Einigungen mit ihren Vermietern realisieren können. Eine faire Lösung für beide Seiten seien sicherlich umsatzorientierte Mieten, die in manchen Fällen auch schon Anwendung fänden. Das stelle sicher, dass der Mieter auch in herausfordernden Jahren nicht vollkommen überfordert sei.
Als großes Problem sieht von Preen die Regulierungsvorhaben aus Brüssel. Er befürchtet einen Sturm an Regulierungsvorgaben seitens der EU und ruft die Politik dazu auf, sich zurückzunehmen: „Es droht ein regelrechter Regulierungs-Tsunami aus Brüssel. Von der 'Gebäudeeffizienz-Richtlinie' über die 'Verpackungsverordnung' und 'Abfall-Richtlinie' bis hin zur 'Reparierbarkeit von Geräten' oder der 'Taxonomie-Verordnung'. Das muss unbedingt wieder auf ein normales Maß zurückgeführt werden. Brüssel sollte die Regionalität und den unterschiedlichen Reifegrad der Märkte in Europa wieder stärker in den Blick nehmen. Auch hier gilt: die Politik muss sich wieder zurücknehmen. Sie ist nicht der bessere Unternehmer.“
Herausforderungen beim Lieferkettengesetz
Ein anderes großes Thema ist das zum Jahresanfang eingeführte Lieferkettengesetz (LkSG). Mitte Dezember sorgte das Gesetz für breite Diskussionen, speziell um den Fall des Konzerns Kaufland, der Lieferanten diesbezüglich massiv unter Druck setzte. Von Preen sieht das Gesetz für den Handel als besonders große Herausforderung. Gleichzeitig verdeutlicht er, dass sich die Branche schon seit langer Zeit mit ihrer Verantwortung beschäftige. Initiativen wie das Kakao-Forum oder das Textilbündnis würden dies zeigen. Von Preen weist darauf hin, dass Aufwand und Nutzen beim Gesetz nicht immer in einem gesunden Verhältnis stehen würden.
Gerade in diesem Jahr 2023 als Start des Gesetzes erhoffe er sich, dass die Behörden mit Augenmaß vorgehen. Das Bafa (Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle) und die Wirtschaft befänden sich außerdem in einer Testphase und es sei wichtig, diese pragmatisch in Angriff zu nehmen. Man hoffe beim Handelsverband Deutschland zudem, dass die geplante EU-Lieferkettenregulierung nicht für neue Verschärfungen und Wettbewerbsverzerrungen sorgen. Zwar schaffen EU-Regulierungen gleiche Bedingungen für alle europäischen Unternehmen. Von Preen weist aber darauf hin, dass dies nur der Fall sei, wenn die Vorgaben von den Mitgliedsstaaten auch einheitlich realisiert werden würden.
Noch ein anderer Punkt komme hinzu: Die deutschen Unternehmer seien in punkto Sorgfaltspflichten und Umweltstandards gut aufgestellt. Schaue man sich aber an, wie viele gefälschte oder gefährliche Produkte insbesondere aus dem asiatischen Raum über den Online-Handel nach Deutschland kämen, dann werde einem schummerig. Es brauche keine neuen Gesetze, um dieses Problem zu lösen. Hierbei gehe es um den Vollzug. Der Zoll müsse angehalten werden, besser und effizienter zu kontrollieren. Lücken in der Überwachung würden aktuell gezielt ausgenutzt.