Der japanische Ministerpräsident Fumio Kischida will die sinkende Geburtenrate in einer der ältesten Gesellschaften der Welt mit neuen staatlichen Maßnahmen bekämpfen. „Unsere Nation steht am Scheidepunkt, ob sie ihre gesellschaftlichen Funktionen aufrechterhalten kann“, sagte Kischida am Montag in einer Rede im Parlament. „Wenn es um die Geburten- und Erziehungspolitik geht, heißt es jetzt oder nie - das ist ein Thema, das einfach nicht länger warten kann.“
Die nach den USA und China drittgrößte Volkswirtschaft der Welt hat in den vergangenen Jahren mehrfach versucht, ihre Bürger mit Geldprämien und besseren Sozialleistungen dazu zu bewegen, mehr Kinder zu bekommen. Dennoch bleibt Japan eines der teuersten Länder der Welt, um ein Kind aufzuziehen. Auch deshalb ist offiziellen Schätzungen zufolge die Zahl der Geburten im vergangenen Jahr auf ein neues Rekordtief gesunken: Sie lag zum ersten Mal unter der Marke von 800.000 - ein Wendepunkt, der acht Jahre früher eintrat als von der Regierung erwartet.
Dies dürfte zu einem weiteren Bevölkerungsrückgang in einem Land führen, in dem das Durchschnittsalter bei 49 Jahren liegt - dem höchsten der Welt, nur übertroffen vom kleinen Stadtstaat Monaco. Zudem setzt Japan anders als andere Industrienationen wie die USA oder Kanada nicht auf Einwanderung. Kischida kündigte deshalb an, bis Juni Pläne zur Verdoppelung des Budgets für kinderbezogene Maßnahmen vorlegen. Bereits im April solle eine neue Regierungsbehörde für Kinder und Familien eingerichtet werden, die sich mit diesem Thema befassen soll.
Dem Institut YuWa Population Research zufolge ist Japan das Land, in dem es am drittteuersten ist, ein Kind großzuziehen. Davor liegen nur noch China und Südkorea, die ebenfalls einen Bevölkerungsrückgang verzeichnen. Für die Weltwirtschaft sind das beunruhigende Zeichen, gehören diese drei Ländern doch zu den Stützen der globalen Konjunktur. In China ist die Einwohnerzahl im vergangenen Jahr erstmals seit 1961, dem letzten Jahr der großen Hungersnot, gesunken.
Rekord-Rückgang der Bevölkerung
Japans Bevölkerung schrumpft und altert im Rekordtempo. Zum Jahresbeginn 2022 zählte das Inselreich nur noch 125,9 Millionen Bewohner. Das sind 726 000 weniger als ein Jahr zuvor - der stärkste Rückgang seit Erfassung vergleichbarer Daten, wie das Innenministerium in Tokio im August bekanntgab. Die Zahl der Japanerinnen und Japaner sank dabei um rund 619 000 auf 123,2 Millionen. Die Zahl der ausländischen Einwohner ging in Folge der Corona-Pandemie um 107 000 Menschen zurück. Damit schrumpft die Bevölkerung der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt seit nunmehr 13 Jahren.
Auf den Rekord von 1,4 Millionen Todesfällen kamen lediglich 810 000 Geburten - so wenige wie noch nie. Angesichts niedriger Geburtenraten und kaum vorhandener Immigration altert Japan so schnell wie keine andere Industrienation. Ganze Landstriche sterben aus, Millionen von Häusern stehen leer und verfallen, Schulen werden geschlossen.
Die Zahl der Kinder bis 14 Jahre sank zum 1. April 2022 im Vergleich zum Vorjahr um rund 250 000 auf ein Rekordtief von 14,65 Millionen, wie aus Daten des Innenministeriums hervorgeht, die im April vorgelegt wurden. Versuche der Regierung, die Geburtenrate anzukurbeln, waren bisher ohne Erfolg: Die Zahl der Kinder in der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt schrumpft seit 41 Jahren in Folge. Der Anteil der Kinder an der Gesamtbevölkerung sank auf einen Tiefststand von nur noch 11,7 Prozent. Mehr als ein Viertel der seit Jahren schrumpfenden Bevölkerung des Landes ist bereits älter als 65 Jahre.
Angesichts der niedrigen Geburtenraten und kaum vorhandener Immigration altert Japan so schnell wie keine andere Industrienation der Welt. Ganze Landstriche sterben aus, Häuser stehen leer und verfallen, Schulen werden geschlossen. Viele Japanerinnen und Japaner heiraten immer später und schieben auch die Geburt des ersten Kindes hinaus. Vergangenes Jahr kam laut Medien die Corona-Pandemie hinzu, die viele Japanerinnen davon abgehalten habe, Kinder zu bekommen. Einige Sektoren der Wirtschaft wie die Baubranche, der Handel oder die Gastronomie leiden als Folge unter spürbarem Arbeitskräftemangel.
Doch anders als Deutschland scheut Japan, das stolz auf seine homogene Gesellschaft ist, eine umfassende Immigration, obwohl die Bevölkerung seit Jahren schrumpft. Zwar gelang es der Regierung, dass mehr Frauen in den Arbeitsmarkt integriert wurden und ältere Japaner länger beschäftigt werden. Zudem konzentriert sich die Wirtschaft des Landes stark auf die Digitalisierung und Steigerung der Effizienz. Doch ohne ausländische Gastarbeiter geht es auch in Japan nicht mehr.
2019 legte die Regierung ein Programm auf, um verstärkt ausländische Arbeitnehmer anzuwerben. Doch die bürokratischen Hürden waren hoch, es kamen weniger Arbeitskräfte als erwartet. Mit der Pandemie kam die Zuwanderung dann ganz zum Erliegen, da Japan die Grenzen schloss. Das kulturell abgeschlossene Japan scheut sich laut Experten vor den Herausforderungen, die eine Öffnung für richtige Einwanderung mit sich bringen würde. Dazu gehöre auch die Angst vor mehr Kriminalität in einem Land, das bislang als eines der sichersten der Welt gilt.