Politik

Israels Staatspräsident warnt vor „sozialem Zusammenbruch“

Lesezeit: 3 min
13.02.2023 13:03
Staatspräsident Isaac Herzog warnt vor einem „verfassungsrechtlichen und sozialen Zusammenbruch“ des Landes. Grund ist von der rechts-religiöse Regierung Netanjahus geplante Justizreform. Zehntausende protestierten landesweit gegen das Vorhaben.
Israels Staatspräsident warnt vor „sozialem Zusammenbruch“
Eine Frau spricht in ein Megafon anlässlich eines Protests gegen die Reformierungspläne des Justizsystems durch die Regierung von Ministerpräsident Netanjahu. (Foto: dpa)
Foto: Ilia Yefimovich

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Staatspräsident Isaac Herzog hat vor einem „verfassungsrechtlichen und sozialen Zusammenbruch“ des Landes unter der rechtsgerichteten Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gewarnt. In einer seiner seltenen Fernsehansprachen zur Hauptsendezeit appellierte Herzog am Sonntagabend an die Abgeordneten der Koalition, die bereits für die kommende Woche geplanten Schritte zu einer Justizreform zu verschieben.

Zudem legte Herzog einen Kompromissplan zur Befriedung vor. „Wir befinden uns am Rande des verfassungsrechtlichen und sozialen Zusammenbruchs“, sagte Herzog. Alle hätten das Gefühl, „dass wir kurz vor einem Zusammenstoß stehen, entfernt sind – sogar von einem gewalttätigen Zusammenstoß.“

Staatspräsident sieht sozialen Zusammenhalt gefährdet

In Israel hatten am Samstag erneut zehntausende Menschen gegen die geplante Reform protestiert. Sie werfen Netanjahu vor, die demokratische Kontrolle von Ministern durch Gerichte zu gefährden. Daher stehe die Zukunft der israelischen Demokratie auf dem Spiel. Weitere Proteste und Streiks sind für Montag angekündigt, wenn die erste Lesung des Vorhabens im Parlament angesetzt ist.

Netanjahus konservative Partei Likud wirft dem Obersten Gerichtshof vor, von linksgerichteten Richtern dominiert zu werden, die sich aus politischen Gründen in Bereiche einmischen, die nicht in ihre Zuständigkeit fallen. Gegen Netanjahu selbst läuft derzeit ein Prozess wegen Korruptionsvorwürfen.

Herzog drängte auf sofortige Gespräche zwischen Regierung und Opposition. Dabei müsse es um die Festlegung eines Verfahrens zur Verabschiedung der verfassungsähnlichen Grundgesetze Israels und das Verbot jeglicher Einmischung des Obersten Gerichtshofs in diese Gesetze gehen. Zudem müssten die Befugnisse des Obersten Gerichtshofs klarer definiert werden. Herzog forderte auch Änderungen bei der Auswahl von Richtern.

Netanjahu war nach dem Wahlsieg seines Likud und mit ihr verbündeter religiöser Fundamentalisten und rechter Nationalisten im Dezember erneut ins Amt gekommen. Er formte damit eine der am weitesten rechts stehenden Regierungen in der Geschichte Israels. Mit ihr rückt nach Einschätzung vieler Beobachter auch eine Zwei-Staaten-Lösung zur Beendigung des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern in weite Ferne.

Zehntausende demonstrieren gegen geplante Justizreform

Mehr als 200 000 Israelis haben nach Angaben der Veranstalter bei Demonstrationen in Tel Aviv und anderen Städten gegen den Kurs der rechts-religiösen Regierung protestiert. In der Küstenstadt Tel Aviv liefen Demonstranten den sechsten Samstagabend in Folge mit israelischen Flaggen durch die Straßen. Die Proteste, die auch in Städten wie Jerusalem, Beerscheva und Haifa stattfanden, richten sich vor allem gegen Pläne der Regierung, das Justizsystem im Land gezielt zu schwächen.

In einer Schweigeminute gedachten die Demonstranten der drei israelischen Opfer eines palästinensischen Anschlags am Freitag in Ost-Jerusalem. Der 31-jährige Attentäter aus Ost-Jerusalem hatte nahe dem Viertel Ramot sein Auto in eine Menschenmenge gelenkt. Dabei wurden zwei Brüder im Alter von sechs und acht Jahren sowie ein 20-Jähriger getötet. Der Attentäter wurde von Polizisten erschossen.

Israelische Sicherheitskräfte versiegelten am Samstag das Haus seiner Eltern in Ost-Jerusalem, das später zerstört werden soll. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kündigte am Sonntag zudem einen „breit angelegten Einsatz“ gegen palästinensische Attentäter und ihre Helfer in Ost-Jerusalem und im Westjordanland an. Der rechtsextreme Polizeiminister Itamar Ben-Gvir hatte zuvor von einer Militäroffensive im arabisch geprägten Ostteil Jerusalems gesprochen.

Seit mehreren Wochen finden in Israel Demonstrationen gegen eine kontroverse Justizreform statt. Für Montag sind zudem Streiks zahlreicher Berufsgruppen und eine Großdemonstration vor dem Parlament in Jerusalem geplant. Dort soll zu dem Zeitpunkt ein Teil der umstrittenen Neuerungen in erster Lesung gebilligt werden.

„Der Versuch, Israel in eine Diktatur zu verwandeln“

Der 85-jährige Holocaust-Überlebende Avram Hershko, der 2004 mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet worden war, warnte bei einer Demonstration in Haifa vor einem „Versuch, Israel von einer Demokratie in eine Diktatur zu verwandeln“. Der 1937 in Ungarn geborene Biochemiker forderte bei einer Ansprache vor anderen Demonstranten: „Wir müssen diesen Wahnsinn stoppen.“

Die Gewalt in den Palästinensergebieten dauerte auch am Samstag an. Bei einer Konfrontation mit israelischen Siedlern im besetzten Westjordanland wurde am Samstag ein 27-jähriger Palästinenser erschossen. Militante Palästinenser im Gazastreifen feuerten am Samstagabend erneut eine Rakete auf das israelische Grenzgebiet.

Die Sicherheitslage in Israel und den Palästinensergebieten ist seit Wochen extrem angespannt. Neun Israelis und eine Ukrainerin sind seit Jahresbeginn bei palästinensischen Anschlägen getötet worden. Bei Razzien der israelischen Armee sowie ihren eigenen Anschlägen kamen allein in diesem Jahr 45 Palästinenser ums Leben.


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