Rund 44.000 Menschen kamen am 6. Februar bei dem verheerenden Erdbeben in der Türkei ums Leben. Hunderttausende wurde ihre Existenzgrundlage genommen. Die Weltbank beziffert den Gesamtschaden auf umgerechnet 34 Milliarden Dollar. Zur menschlichen und wirtschaftlichen Tragödie kommt die Unsicherheit hinzu, wie es mit dem Urlaubsland Türkei weitergehen wird. Das Land am Bosporus ist immerhin eines der beliebtesten Reiseziele der Deutschen, Russen und Engländer.
Tourismus in der Türkei mit überraschend schneller Erholung
Die Fluglinie Sunexpress – ein Joint Venture zwischen Lufthansa und Turkish Airlines – verzeichnete in den ersten Tagen nach der Katastrophe Buchungsrückgänge von bis zu 50 Prozent. Doch das normalisierte sich schnell wieder. Laut Handelsblatt ist die Zahl der Buchungen drei Wochen nach dem Beben schon wieder auf dem Niveau von 2019 und erreichte teils sogar Rekordstände. Beim Reisekonzern ist die Türkei gemeinsam mit Mallorca das beliebteste Reiseziel bei Mittelstrecken-Flügen.
Ähnlich schätzt auch Tui Deutschland die Lage ein. „In den ersten Tagen nach dem Beben war eine leichte Buchungszurückhaltung zu spüren, aber keine Stornierungswelle“, berichtet Tui-Chef Stefan Baumert gegenüber dem Handelsblatt. Andere Branchenvertreter stellen überraschenderweise sogar einen kleinen Boom fest. Der Reisevermittler Alltours rechnet für diesen Sommer mit 500.000 Türkeiurlaubern aus Deutschland, was ein neuer Rekordwert wäre.
Eine mögliche Erklärung ist, dass die allermeisten Urlaubswilligen mittlerweile wissen, wo genau das Beben stattgefunden hat. Die klassischen Urlaubsregionen an der Mittelmeerküste (zum Beispiel Antalya und Izmir) waren überhaupt nicht betroffen. Experten zufolge sind starke Erdbeben in dieser Region auch in Zukunft unwahrscheinlich.
Als Urlauber trotz vermutlich irrationaler Erdbeben-Ängste Geld ins Land zu bringen, hilft enorm. Deniz Ugur, Geschäftsführer beim auf Türkeireisen spezialisierten Anbieter Bentour, meint, dass jede Buchung auch den Menschen vor Ort helfe, weil viele touristische Fachkräfte ursprünglich aus den betroffenen Gebieten kommen. Und er ist mit dieser Meinung nicht der einzige in seiner Branche. „Man kann trotz des Erdbebens ohne schlechtes Gewissen Urlaub in der Türkei machen. Es ist sogar richtig“, so Max Kownatzki von Sunexpress: „Wenn dem Land jetzt mit dem Tourismus auch noch eine wichtige Einnahmequelle genommen würde, leiden die Menschen dort doppelt.“
Schwache Lira ist gut für (Shopping-)Touristen
Die Türken müssen seit vielen Jahren mit dem rapiden Verfall der Landeswährung Lira und damit einhergehend einer sehr hohen Inflationsrate (aktuell 55 Prozent, im Herbst noch 85,5 Prozent) klarkommen, was die Wirtschaft schwächt und die Bürger ihrer Kaufkraft beraubt. Die dauerhafte Wirtschaftskrise hat dafür gesorgt, dass mittlerweile zwei Drittel aller Türken Probleme haben, ihre täglichen Ausgaben zu bestreiten, wie eine Umfrage des Yöneylem Social Research Centre zeigt.
Für Touristen, die Hartwährungen ins Land bringen, ist die schwache Lira einer der Gründe für einen Aufenthalt am Bosporus. Hier kann man noch relativ günstig Urlaub machen und Einkaufen gehen. Die Preise für Flug, Hotel, Taxi, Essengehen und Einkaufen bleiben umgerechnet auf einem relativ niedrigen Niveau. Zumindest bis jetzt. Denn durch die jüngsten Stabilisierungsmaßnahmen der türkischen Zentralbank ist der Lira-Kurs kaum gefallen, sehr wohl aber die Kaufkraft von Euro, Dollar und Pfund und damit auch die Reisekosten – allen voran die Preise der Reiseanbieter.
Was größtenteils billig geblieben ist, sind Lebensmittel, Kleidung und Haushaltsgegenstände aus türkischer Herstellung. Nicht ohne Grund pilgern Jahr für Jahr Scharen von Menschen aus angrenzenden Ländern – insbesondere Bulgarien – in die Türkei, um sich günstig mit mehr oder weniger nützlichem Kram einzudecken. Scharen von ausländischen PKW und eigens für diesen Anlass gecharterte Reisebusse pilgern dann an den Bosporus, ganz besonders in der Weihnachtszeit. Das „türkische Einkaufsparadies“ konzentriert sich in den Märkten von Edirne, welches im Nordwesten ganz nah an der Grenze zu Bulgarien und Griechenland gelegen ist. Bulgaren machten teilweise 90 Prozent der Marktbesucher aus und die Hotels in Edirne waren zu den Hochzeiten des Shopping-Tourismus trotz winterlichen Temperaturen komplett ausgebucht.
Wie viel der bulgarische Einkaufswahn letztlich für die Türkei gebracht hat, ist nicht bekannt. Fakt ist aber: Der Konsum aus In- und Ausland war entscheidend dafür, dass die türkische Wirtschaft 2022 trotzt Inflationsproblemen real um 5,6 Prozent zulegen konnte.
Die Reiselust geht um
Wie geht es jetzt mit dem Tourismus am Bosporus weiter? Sunexpress-Chef Kownatzki ist da positiv gestimmt: „Die Türkei hat sich bisher noch von jeder Krise sehr schnell erholt.“ Vor der Katastrophe war der Trend jedenfalls sehr positiv. Wie aus Daten des Tourismusministeriums hervorgeht, ist die Zahl der ausländischen Besucher im Januar - also kurz vor dem Erdbeben - im Vergleich im Vorjahresvergleich um 56,5 Prozent auf über 2 Millionen gestiegen. Die meisten Ausländer kamen aus Deutschland, Russland und Bulgarien mit zusammengenommen 587.000 Personen. Die Behörde rechnet für dieses Jahr mit Tourismus-Einnahmen von umgerechnet 56 Milliarden Dollar. Das wären grob 20 Prozent mehr als 2022.
Ein entscheidender Faktor, der den Tourismus in der Türkei und anderen beliebten Urlaubszielen anfacht, ist die rückkehrende Reiselust. Der deutsche Reiseverband erwartet dieses Jahr Rekordausgaben. Das scheinbare Ende der Coronakrise beziehungsweise das Ende der übertriebenen Maßnahmen hat der ganzen Branche einen Boom beschert – vom Reisekonzern über die Fluglinien bis zum Hotelvermittler. Viele Menschen wollen verpasste Urlaube der Vergangenheit nachholen oder mit dem Flieger an fremde Orte reisen, solange das als Normalbürger noch zu halbwegs erschwinglichen Preisen möglich ist. Flextarife, die gegen eine Gebühr die kostenfreie Umbuchung oder Stornierung bis wenige Tage vor Abreise ermöglichen, erfreuen sich zurzeit besonders großer Beliebtheit.