Finanzen

Wie die Schweiz die Rettung der Credit Suisse erpresste

Lesezeit: 8 min
26.03.2023 10:07  Aktualisiert: 26.03.2023 10:07
Die Schweizer Behörden haben brutalen Druck auf Credit Suisse und UBS ausgeübt. Denn noch vor Marktöffnung sollte eine Lösung gefunden werden. Die Opfer sind empört.
Wie die Schweiz die Rettung der Credit Suisse erpresste
Credit-Suisse-Vorsitzender Axel Lehmann, UBS-Vorsitzender Colm Kelleher, Finanzministerin Karin Keller-Sutter, Bundespräsident Alain Berset, SNB-Präsident Thomas J. Jordan und FINMA-Präsidentin Marlene Amstad am letzten Sonntag. (Foto: dpa)
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Am Donnerstag, den 16. März 2023, gegen 16 Uhr erhielt Colm Kelleher, der seit April letzten Jahres Verwaltungsratspräsident bei UBS ist, einen nicht ganz unerwarteten Anruf. Denn das Chaos beim Rivalen Credit Suisse war längst in vollem Gange. Schon einen Tag zuvor hatte auch eine Liquiditätshilfe der Schweizerischen Notenbank (SNB) in Höhe von 50 Milliarden Franken (50 Milliarden Euro) die Vertrauenskrise des Kreditinstituts nicht aufhalten können. Von der Credit Suisse wurden massiv Einlagen abgezogen. Die Bank verlor täglich mehr als 10 Milliarden Franken an Geldern wohlhabender Kunden.

Die Aktien von Credit Suisse stürzten weiter ab, nachdem Ammar Al Khudairy, der Vorsitzende der saudischen Nationalbank gesagt hatte, dass dem Schweizer Bankhaus kein Geld mehr zur Verfügung stellen wird. „Die Aussage des größten Investors [der Credit Suisse], dass er keinen weiteren Cent mehr investieren wird, war ein großer Vertrauensbruch“, zitiert die Financial Times eine Person, die dem Topmanagement der Credit Suisse nahe steht. In der Folge wurde am Mittwoch, den 15. März der gesamte europäische Aktienmarkt nach unten gerissen, vor allem die Bankenwerte.

Noch am selben Tag lud die so genannte „Trinität“ aus SNB, Aufsichtsbehörde Finma und Finanzministerin den Verwaltungsratspräsidenten der Credit Suisse, Axel Lehmann, der sich zu einer Konferenz in Saudi-Arabien aufhielt, und den Vorstandsvorsitzenden Ulrich Körner zu einem Gespräch ein. In derselben Sitzung, in der sie die 50 Milliarden Franken genehmigten, verkündeten sie auch eine weitere Botschaft: „Ihr werdet mit der UBS fusionieren und dies am Sonntagabend vor der Eröffnung des Asiengeschäfts bekannt geben“, erinnert sich eine mit dem Gespräch vertraute Person.

Credit Suisse brachte Risiko weltweiter Ansteckung

UBS-Verwaltungsratspräsident Kelleher erfuhr dies am Donnerstagnachmittag. Die „Trinität“ wies seinen Konzern an, eine Lösung zu finden, um die angeschlagene Credit Suisse vor dem Konkurs zu retten. Denn eine staatlich kontrollierte Abwicklung hätte die Gefahr einer Ansteckung auf der ganzen Welt mit sich gebracht, zitiert die Financial Times eine andere Person, die für UBS an den Gesprächen beteiligt war. „Unsere Interessen stimmten auch deshalb überein, weil ein Bankrott nicht gut für den Ruf der Schweizer Vermögensverwaltung ist. Also sagten wir zu, dass wir zu den richtigen Bedingungen helfen würden.“

Die Übernahme des Konkurrenten könnte sich für UBS als einmaliger Segen erweisen. Als Gegenleistung für die Übernahme einer Bank, die mit Rechtsstreitigkeiten und Milliarden an toxischen Vermögenswerten zu kämpfen hat, war UBS jedoch entschlossen, das meiste aus dem Deal herauszuholen. Die Verhandlungen an diesem hektischen Wochenende endeten damit, dass eine traditionsreiche 167 Jahre alte Bank in ihrem Konkurrenten aufging, zahlreichen Anleihegläubiger einen Totalverlust beibrachte und weltweit Zehntausende von Arbeitsplätzen gefährdet.

Ein Zusammenschluss der beiden Zürcher Banken wird schon lange diskutiert. Tidjane Thiam, von 2015 bis 2020 Chef der Credit Suisse, sagte wiederholt, dass dies „die einzige Fusion im europäischen Bankwesen ist, die Sinn macht“. Im Jahr 2008 wurde die UBS mit Steuergeldern gerettet, nachdem sie in der Finanzkrise dramatische Verluste erlitten hatte. Die öffentliche Wut darüber hält bis heute an. Auch deshalb schien eine Rettung der Credit Suisse mit Steuergeldern politisch undenkbar. „Dies ist kein Bailout“, betonte die Schweizer Finanzministerin Karin Keller-Sutter bei der Bekanntgabe des Deals am Sonntagabend.

Namhafte Berater, alberne Codenamen

Als beide Seiten erkannten, dass die Übernahme unvermeidlich war, engagierten sie Berater. Die Credit Suisse nutzt seit langem die Dienste der Investmentbank Centerview. Aber in diesem Fall warben die Credit-Suisse-Unternehmenschefs Lehmann und Körner auch den ehemaligen UBS-Investmentbanker Piero Novelli an, der den Vorstand separat beraten sollte. Auch die Rothschild Bank mit Sitz in Zürich lieferte dem Verwaltungsrat der Credit Suisse eine weitere Meinung. Das UBS-Management wurde von JPMorgan beraten, während Morgan Stanley den UBS-Verwaltungsrat beriet.

UBS gab der Credit Suisse den Codenamen „Zeder“ (eine Pflanzengattung in der Familie der Kieferngewächse) und UBS den Codenamen „Ulmus“ (lateinisch für Ulme). Die Credit Suisse hingegen nannte sich selbst „Como“ und die UBS „Genf“, nach dem Comersee und dem Genfersee. Während des gesamten Prozesses gab es kaum direkten Kontakt zwischen beiden Seiten, was die Mitarbeiter von Credit Suisse zunehmend verärgerte, da sie über den Preis und die Bedingungen der Übernahme im Unklaren gelassen wurden. Die meiste Interaktion fand über Vermittler in Regierung oder Aufsichtsbehörden statt.

Finanzministerin Keller-Sutter war während der gesamten Verhandlungen eine Schlüsselfigur, auch bei der Koordinierung mit ausländischen Beamten und Aufsichtsbehörden in den USA und Europa. Sie stand unter extremem Druck von Seiten der globalen Regulierungsbehörden, die ein schnelleres und entschiedeneres Handeln forderten, um eine Panik auf den Märkten zu verhindern. Vor allem die USA und die Franzosen „haben den Schweizern die Hölle heiß gemacht“, so einer der UBS-Berater. US-Finanzministerin Janet Yellen hat am Wochenende mehrere Gespräche mit Keller-Sutter geführt.

Die Verhandlungen über das Geschäft verliefen zunächst „recht freundlich“, doch im Laufe der Zeit wurde die Dreiergruppe aus SNB, Finma und Finanzministerin immer aggressiver und drängte auf eine Transaktion, gegen die sich die Credit Suisse vehement wehrte. Auch die UBS war zurückhaltend. Die UBS-Führung machte deutlich, dass sie sich nur dann an der Rettung ihres Rivalen beteiligen würde, wenn der Preis niedrig wäre und sie von einer Reihe von aufsichtsrechtlichen Untersuchungen der Credit Suisse verschont bliebe.

Am Freitagabend, als bekannt wurde, dass die UBS eine staatlich verordnete Übernahme prüft, hatte die Credit Suisse laut einem an der Transaktion beteiligten Banker in den drei Tagen zuvor weitere 35 Milliarden Franken an Kundengeldern verloren, und internationale Banken von BNP Paribas bis HSBC kappten ihre Verbindungen zu Credit Suisse. Die Aufsichtsbehörden kamen daher zu dem Schluss, dass die Bank am Montag, den 20. März wahrscheinlich nicht in der Lage sein würde zu öffnen.

BlackRock betritt die Bühne

Mit BlackRock stand ein anderer potenzieller Bieter bereits in den Startlöchern. Unternehmenschef Larry Fink hatte am Donnerstag seinen inneren Kreis zusammengerufen und einen Satz gesagt, den er immer wieder verwendet hat: „Um im Spiel zu sein, muss man es spielen“, erinnert sich ein Beteiligter. Während der Finanzkrise kaufte BlackRock im Jahr 2009 die Investmentsparte BGI von Barclays für 15,2 Milliarden Dollar und wurde damit zum weltweit größten Vermögensverwalter. Seitdem dominiert das Unternehmen die globale Investmentbranche und verwaltet heute 8,6 Billionen Dollar.

In den Schwierigkeiten der Credit Suisse erkannte BlackRock nun eine ähnliche Chance wie in der Finanzkrise bei BGI. Ein BlackRock-Team unter der Leitung von Finks Stellvertreter Rob Kapito flog sofort nach Zürich und verbrachte Stunden in einem Konferenzraum, um verschiedene Optionen zu prüfen. Am Freitag wandte sich Fink auch an Bob Steel, den stellvertretenden Vorsitzenden von Perella Weinberg Partners, der ebenfalls nach Zürich reiste. BlackRock war für eine Reihe von Optionen offen. „Aber das war nicht das, was die Schweizer Regierung wollte“, so ein Insider gegenüber der Financial Times.

Am späten Freitag hatte BlackRock angedeutet, dass es nicht die gesamte Bank kaufen wolle. Die Credit Suisse schlug daraufhin eine Minderheitsbeteiligung vor, einschließlich einer Art von Vermögensverwaltungspartnerschaft. BlackRock beschloss schließlich, seine Arbeit an einem Angebot einzustellen. „Fink war nicht wirklich in der Stimmung, die UBS zu verärgern, da sie einer seiner größten Kunden ist“, so ein Insider, die der Credit Suisse nahe steht. „Deshalb dachte ich immer, dass er irgendwann nicht mehr dabei sein würde.“

Hektische Verhandlungen ohne direkten Kontakt

Die Verhandlungen wurden den ganzen Samstag über fortgesetzt, und die globalen Regulierungsbehörden waren bestrebt, bis zum Abend die grundsätzliche Struktur der Transaktion zu unterzeichnen. Die Fristen wurden immer wieder nach hinten verschoben, da sich die Beamten bemühten, die richtigen Unterlagen für den Kontrollwechsel zu finden. Auch ein Problem mit dem E-Mail-System von UBS verlangsamte den Fortschritt, da es lange dauerte, bis die Nachrichten ankamen. Verzweifelte Vorgesetzte forderten ihre Mitarbeiter auf, stattdessen zum Telefon zu greifen.

Aus Frustration über die mangelnde Kommunikation seitens der UBS beschloss Credit-Suisse-Verwaltungsratspräsident Lehmann, stattdessen einen Brief an den UBS-Verwaltungsratspräsidenten Kelleher und an die Schweizer Behörden zu schreiben. Der Brief, den UBS-Chefsyndikus Markus Diethelm verfasste, wurde am Samstagabend zugestellt und enthielt eine Reihe von Gründen, warum die geplante Transaktion inakzeptabel war. Dazu gehörte das Beharren der UBS auf einer Ausstiegsklausel über wesentliche nachteilige Veränderungen im Zusammenhang mit einem Anstieg der Spreads für Credit Default Swaps.

Lehmanns Brief enthielt aber auch eine Drohung. Er schrieb, dass die drei größten Aktionäre der Credit Suisse, darunter zwei aus Saudi-Arabien und einer aus Katar, ihr „extremes Unbehagen“ über die Undurchsichtigkeit des Geschäfts zum Ausdruck gebracht hätten. Sie hätten einen fairen Preis verlangt, eine Abstimmung über das Geschäft und die Streichung aller Ausstiegsklauseln. In dem Schreiben wurde auch darauf hingewiesen, dass die Saudis und Kataris Großkunden beider Banken seien.

Daraufhin rief UBS-Verwaltungsratspräsident Kelleher am Samstagabend seinen Kollegen bei der Credit Suisse von einem Restaurant aus an und teilte ihm mit, dass die UBS bereit sei, 1 Milliarde Dollar in Aktien für die gesamte Gruppe zu bieten, was etwa 0,25 Franken pro Aktie entspricht und weit unter dem Schlusskurs der Credit Suisse vom Freitag in Höhe von 1,86 Franken lag. Die Regierung teilte der Credit Suisse daraufhin mit, sie werde ein Notstandsgesetz einführen, um beiden Aktionärsgruppen das Stimmrecht zu entziehen.

Die Credit Suisse war empört und verweigerte die Unterschrift. Sie lehnte die CDS-Klausel ab, weil die Möglichkeit, aus dem Geschäft auszusteigen, dieses nach seiner Bekanntgabe zunichte gemacht hätte. Eine solche Bedingung hätte zu einem Chaos geführt, sagen Insider. Auch die Aktionäre im Nahen Osten waren verärgert. „Man macht sich über Diktaturen lustig, und dann kann man am Wochenende das Gesetz ändern. Wo ist jetzt der Unterschied zwischen Saudi-Arabien und der Schweiz? Das ist wirklich schlimm“, sagt eine Person, die einem der drei Großaktionäre nahe steht.

SNB, Finma und Finanzministerin erzwingen eine Lösung

SNB, Finma und Keller-Sutter wollten unbedingt noch vor Tagesende zum Abschluss kommen und erhöhten daher den Druck. Sie drohten damit, den Verwaltungsrat der Credit Suisse abzusetzen, falls er nicht zustimmt. Die UBS wurde gedrängt, ihr Gebot zu erhöhen. Die Bank stimmte widerwillig zu und erhöhte ihr Angebot schließlich auf 3,25 Milliarden Dollar in Aktien. Im Gegenzug erhielt sie mehr staatliche Unterstützung, darunter eine Liquiditätslinie der SNB von 100 Milliarden Franken und eine staatliche Verlustgarantie von bis zu 9 Milliarden Franken, nachdem sie die ersten 5 Milliarden Franken selbst trägt.

Die endgültigen Bedingungen waren für UBS immer noch so günstig, dass sie „ein Angebot waren, das wir nicht ablehnen konnten“, sagte eine Person aus dem Verhandlungsteam gegenüber der Financial Times. Ein Berater der Credit Suisse bezeichnete sie hingegen als "inakzeptabel und empörend" und als „völlige Missachtung der Corporate Governance und der Aktionärsrechte“. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich beide Seiten kaum persönlich getroffen, obwohl sich ihre Büros im Wesentlichen auf der anderen Seite des Zürcher Paradeplatzes gegenüberstanden.

Um den Schweizer Bürgern und den Aktionären das Geschäft schmackhaft zu machen, beschloss die Schweizer Regierung außerdem, Verluste auf 16 Milliarden Franken der AT1-Anleihen der Credit Suisse zu erheben. Diese Anleihen sind dazu bestimmt, Verluste aufzufangen, wenn Institute in Schwierigkeiten geraten, werden aber normalerweise nicht ausgelöst, wenn Aktionäre im Rahmen einer Übernahme Geld erhalten. Das Kleingedruckte in den Anleihendokumenten erlaubte es den Schweizer Behörden jedoch, die normale Rangfolge zu missachten und die Anleihegläubiger auszuschalten.

Inhaber von AT1-Anleihen werden geopfert

„Die AT1-Inhaber wurden geopfert, damit das Finanzministerium versuchen konnte, sein Gesicht gegenüber den internationalen Aktieninhabern zu wahren, nachdem es ihnen eine Stimme auf beiden Seiten der Transaktion verweigert hatte“, sagt einer der Banker, die bei der Übernahme berieten. Die Details wurden so schnell ausgearbeitet, dass UBS-Chef Ralph Hamers bei einer Präsentation am Sonntagabend nach der Ankündigung offenbar nicht in der Lage war, die Fragen der Analysten zur Behandlung der Schulden der Credit Suisse zu beantworten.

Der Verwaltungsrat der Credit Suisse prüfte die Details der endgültigen Offerte und teilte SNB, Finma und der Finanzministerin mit, dass er das Angebot der UBS in Höhe von 3,25 Milliarden Dollar annehmen werde. Finanzministerin Keller-Sutter erfuhr noch vor der Eröffnung der asiatischen Märkte am Montag, dass das Geschäft tatsächlich zustande kommen würde. In einer eilig einberufenen Pressekonferenz in Bern präsentierte sie mit SNB und Finma sowie mit den Präsidenten von UBS und Credit Suisse auf der Bühne das historische Abkommen.

Lehmann von der Credit Suisse wurde gefragt, wer für das Desaster verantwortlich sei, und der Verwaltungsratspräsident gab Twitter die Schuld. „Seit 2021 sind wir nie aus den Schlagzeilen herausgekommen“, antwortete er. „Letzten Herbst hatten wir einen Social-Media-Ansturm und das hatte enorme Auswirkungen – mehr im Einzelhandel als im Großhandel. Und zu viel wird zu viel.“ Und UBS-Verwaltungsratspräsident Kelleher sagte. „Diese Übernahme ist für die UBS-Aktionäre attraktiv, aber lassen Sie uns klar sagen, dass es sich für die Credit Suisse um eine Notrettung handelt.“


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