Technologie

Ukraine träumt von Drohnen-Angriffen tief in russischem Gebiet

Der Westen weigert sich beharrlich, dem Wunsch der Ukraine nach Langstreckenwaffen nachzukommen. Daher will Kiew nun mit Drohnen Ziele tief in Russland treffen.
Autor
26.03.2023 10:06
Aktualisiert: 26.03.2023 10:06
Lesezeit: 4 min

In den letzten Monaten ist es der Ukraine wiederholt gelungen, mit Drohnen in russisches Staatsgebiet einzudringen. In Krasnodar im Süden des Landes ging ein Öldepot in Flammen auf. Drohnen erreichten die Regionen Belgorod und Brjansk, die eine gemeinsame Grenze mit der Ukraine haben. Eine ukrainische Drohne kam sogar bis in die Nähe von Moskau. Aber sind Drohnen, welche die russischen Verteidigungsanlagen überwinden können, tatsächlich wirksame Waffen im anhaltenden Krieg? Können sie das Fehlen von Langstreckenwaffen im Krieg gegen Russland zumindest etwas kompensieren, die der Westen der Ukraine beharrlich verweigert?

Drohnen fliegen schon seit mehr als einem Jahrhundert über Kriegsgebieten. In den 1970er Jahren flogen die Israelis unbemannte Aufklärungsflugzeuge. Anfang der 2000er Jahre setzten die USA erstmals eine Präzisionsschlagdrohne ein. Und im aktuellen Krieg entwickelt sich der Einsatz militärischer Drohnen sowohl auf der Seite des Westens als auch auf russischer Seite rasant weiter. Laut einem Bericht des Economist setzt die Ukraine derzeit mindestens fünf verschiedene Arten von Drohnen ein:

  • frei verkäufliche Aufklärungsdrohnen, die Videobilder über eine kurze Reichweite zurücksenden können
  • kleine improvisierte Drohnen für Loitering Weapons (lauernde Lenkwaffen), die oft eher stören als zerstören sollen
  • ausgefeiltere Drohnen zur Aufklärung oder für die elektronische Kriegsführung
  • größere Drohnen für Loitering Weapons, die schwere Panzer zerstören sollen und
  • Kampfdrohnen, ob in der Luft oder zur See, die Bomben und Raketen über Entfernungen von Tausenden Kilometern einsetzen können.

Während die Hardware für die erstgenannten Kategorien in vielen verschiedenen Formen erhältlich ist und meist im Ausland produziert wird, werden Kampfdrohnen in viel kleineren Mengen und fast ausschließlich in der Ukraine hergestellt. Hier erhoffen sich die militärischen Erfinder den Durchbruch. Mykhailo Fedorov, der 32-jährige stellvertretende Premierminister, der sowohl für das ukrainische Drohnenprogramm als auch für die digitale Transformation des Landes verantwortlich ist, meint, dass der Wendepunkt schneller kommen könnte, als man denkt. Eine Reihe von Veränderungen wird seiner Meinung nach einen großen Einfluss haben.

Erster großer Drohnen-Krieg der Geschichte

Die ukrainische Armee hat eine umfassende Umstrukturierung abgeschlossen und 60 neue Drohnenstaffeln eingerichtet, mindestens eine in jeder Brigade, mit eigenem Personal und Kommandanten. Dies ist die weltweit erste Reform dieser Art. Die ukrainische Militärdoktrin wurde aktualisiert und enthält nun (geheime) Leitlinien für den Einsatz von Drohnen. Das Verteidigungsministerium hat ein neues Gremium geschaffen, das die Arbeit der Drohnenhersteller koordinieren soll. Dafür wurden Einfuhr- und Zertifizierungshürden beseitigt. Und im März wurde ein neues Unternehmen gestartet, das ukrainische Militärtechnologie mit internationalen Unternehmen und Kapital zusammenführen soll.

Ein anonymer Insider der Verteidigungsindustrie bestätigte gegenüber dem Economist, dass die ukrainische Armee in den kommenden Wochen und Monaten „bedeutende Hightech-Kapazitäten“ aufbauen wird. Dennoch werde sie gegen die Russen nicht ankommen, warnt er. Russische Drohnen iranischer Bauart dringen seit Beginn des Winters tief in ukrainisches Gebiet vor. Der Krieg ist ein Test für die Drohnentechnologie wie nie zuvor. Denn die Drohnen müssen über einem großen, umkämpften Luftraum gegen hochentwickelte Systeme zur elektronischen Kriegsführung bestehen.

Nur wenige militärische Systeme können sich gut behaupten. „Die Russen sind sehr, sehr gut in dem, was sie tun“, sagt die Quelle aus der ukrainischen Verteidigungsindustrie. „Sie beherrschen die schwarze Magie der elektromagnetischen Verteidigung. Sie können Frequenzen stören, GPS-Daten fälschen, eine Drohne auf die falsche Höhe schicken, sodass sie einfach vom Himmel fällt.“

Die Bedrohung durch die bodengestützte Luftabwehr bedeutet, dass ukrainische Aufklärungsdrohnen kaum mehr als 15 Kilometer hinter den russischen Linien sehen können, sagt ein Experte, der in jüngster Zeit Drohneneinsätze beobachtet hat. In einem frühen Stadium schienen die Ukrainer ihre Hoffnungen auf die Kontrolle von Drohnen hinter den russischen Linien auf die Starlink-Satelliten von Elon Musk zu setzen, die mit Frequenzen und in einer Anzahl arbeiten, die von russischen Systeme nur schwer gestört werden können. Bei einem Drohnenangriff auf die russische Schwarzmeerflotte im Oktober soll dieser Vorteil ausgenutzt worden sein.

Russland ist der Ukraine in der Luft überlegen

Doch Musk, der offenbar um die eskalierende Wirkung solcher Aktionen besorgt ist, hat dem ein Ende gesetzt. Starlink verwendet nun Geofencing, um die Nutzung seiner Terminals zu blockieren – nicht nur über russisch besetztem Gebiet in der Ukraine, sondern einer ukrainischen Militärquelle zufolge auch über Wasser und wenn sich der Empfänger mit einer Geschwindigkeit von mehr als 100 Kilometer pro Stunde bewegt. „Wenn man ihn auf ein Boot auf See setzt, funktioniert er einfach nicht mehr“, so die Quelle.

Daher verwenden die ukrainischen Drohnenentwickler jetzt eine Reihe anderer, teurerer Kommunikationssysteme, wobei oft mehrere Systeme auf demselben Fahrzeug installiert sind. Als am 28. Februar eine ukrainische Drohne bis nahe an Moskau herankam, deutete dies darauf hin, dass die Ukraine sich möglicherweise einer funktionierenden Lösung nähert.

Doch das ukrainische Programm für Kampfdrohnen scheint noch weit davon entfernt zu sein, die Produktionsmengen zu erreichen, die nötig sind, um mit Russlands Langstreckenschlagskapazitäten konkurrieren zu können, zitiert der Economist Seth Frantzman, den Autor von „Drone Wars“, das den Einsatz von Drohnen im Kampf nachzeichnet. Ein Problem ist der Zugang zu luftgestützter Munition, denn Amerika zögert, Waffen an Kiew zu liefern, die tief in Russland hineinreichen könnten.

Ein weiterer großer Engpass ist die Motorenproduktion, insbesondere die Benzinmotoren (im Gegensatz zu Elektromotoren), die für den Antrieb von Kampfdrohnen über große Entfernungen benötigt werden. Nur eine begrenzte Anzahl von Herstellern auf der Welt kann sie produzieren, und auf dem Markt steht die Ukraine in Konkurrenz zu Russland. „Wir spüren die Präsenz der anderen Seite“, sagt der stellvertretende Premierminister Fedorov.

Ein Drohnenhersteller, der in einer schwer bewachten Fabrik in einem Vorort einer ukrainischen Stadt arbeitet, sagt, dass Russland einen Vorsprung bei den Angriffsmöglichkeiten hat. „Die Sanktionen bedeuten, dass ihnen die Teile schneller ausgehen werden als uns“, sagte er. „Aber wir sollten uns nichts vormachen. Sie haben ihre Produktionslinien viel schneller aktiviert als wir.“

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen MTS Money Transfer System – Sicherheit beginnt mit Eigentum.

In Zeiten wachsender Unsicherheit und wirtschaftlicher Instabilität werden glaubwürdige Werte wieder zum entscheidenden Erfolgsfaktor....

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Panorama
Panorama Abbrecherquote steigt weiter: Immer mehr verlassen die Schule ohne Abschluss
26.10.2025

Die Zahl derjenigen, die nicht wenigstens mit einem Hauptschul- oder vergleichbarem Zeugnis die Schule verlassen, steigt weiter. Woran das...

DWN
Technologie
Technologie Künstliche Intelligenz Arbeitsmarkt: Warum die KI auch Manager ersetzt
26.10.2025

Roboter übernehmen nicht mehr nur Fließbänder, sondern auch Schreibtische. Die künstliche Intelligenz dringt tief in Büros, Management...

DWN
Politik
Politik Peter Vesterbacka: Wenn Deutschland wie Estland wäre, hätte es 600 Einhörner
25.10.2025

Europa gilt zunehmend als unentschlossen, überreguliert und kraftlos – Begriffe, die sich in den vergangenen Jahren eingebürgert haben,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Ausbildungsmarkt: Ausländische Azubis stützen Hotels und Gaststätten
25.10.2025

Das Hotel- und Gastgewerbe setzt bei der Nachwuchssicherung stark auf internationale Auszubildende. Doch fehlende Deutschkenntnisse bleiben...

DWN
Finanzen
Finanzen Seltene Erden als Investmentchance: Wie Anleger vom Rohstoffboom profitieren
25.10.2025

Seltene Erden sind das stille Rückgrat moderner Technologien – von E-Autos bis Windkraft. Ihre strategische Bedeutung wächst, weil...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Revolut Bank: Wie ein britisches Fintech Europas Bankenaltbau ins Wanken bringt
25.10.2025

Die Revolut Bank stellt das gesamte europäische Bankensystem infrage: Mit 75 Milliarden Dollar Bewertung, aggressiver Expansion und...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Autoteilehandel 2.0: Wie Ovoko das Geschäft mit gebrauchten Teilen revolutioniert
25.10.2025

Aus einer simplen Excel-Tabelle entsteht ein europaweites Erfolgsunternehmen: Ovoko verändert den Handel mit gebrauchten Autoteilen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Vom Großraumbüro zur Kokospalme: Wie eine Litauerin Londons Karrierefalle entkam – und auswanderte
25.10.2025

Dominyka Mikšėnaitė hatte alles – Karriere, Gehalt, Aufstiegschancen in London. Doch sie kündigte, verließ das...