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Ukraine-Krieg: Nato geht langsam die Munition aus

Der Ukraine-Krieg zehrt an den Munitionsvorräten der Nato. Daher sollen die ukrainischen Truppen nun lernen, Munition zu sparen. Doch das wird nicht reichen.
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15.02.2023 23:48
Aktualisiert: 15.02.2023 23:48
Lesezeit: 3 min
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Dr. Jack Watling ist Senior Research Fellow für Landkriegsführung am Royal United Services Institute. In einem Artikel mit dem viel sagenden Titel "Wladimir Putin gewinnt den Munitionskrieg gegen den Westen", der im britischen Telegraph veröffentlicht wurde, erklärt der Militärexperte, warum der Nato die nötige Munition für den Ukraine-Krieg ausgeht und wie es Russland besser gelingt, die für den Krieg nötige Munition zu produzieren.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat selbst eingeräumt, dass das Militärbündnis ein Problem hat. "Die derzeitigen Ausgaben der Ukraine für Munition sind um ein Vielfaches höher als unsere derzeitige Produktionsrate", sagte er diese Woche in Brüssel. "Das setzt unsere Verteidigungsindustrien unter Druck."

Wegen der berechtigten Sorge der Nato-Staaten, dass der Ukraine-Krieg ihre Munitionsvorräte verbraucht und sie diese nicht zeitnah wieder aufstocken können, haben die USA die Ausbildung der ukrainischen Truppen bereits angepasst, wie Politico berichtet. Demnach wollen die USA den Ukrainern Kampfmethoden nahe bringen, die sich weniger auf Artilleriebeschuss und mehr auf das Manövrieren der Truppen auf dem Schlachtfeld konzentrieren.

Der Krieg in der Ukraine ist durch einen massiven Einsatz von Artillerie auf beiden Seiten gekennzeichnet. Täglich schlagen Tausende von Granaten auf die Frontlinien ein, was die Fähigkeit der Nato überfordert, die dafür nötige Munition zu liefern. Verteidigungsminister Lloyd Austin sagte nach einem Nato-Treffen in Brüssel, die Ukraine habe "eine Menge Artilleriemunition verbraucht". Daher würden die USA und ihre Partner zusammenarbeiten, "um sicherzustellen, dass wir ihnen so schnell wie möglich so viel Munition wie möglich geben".

Dem Bericht von Politico zufolge werden auch die derzeitigen Ausbildungsbemühungen in England und Deutschland geprüft, um das Manövrieren der ukrainischen Streitkräfte auf dem Schlachtfeld zu ändern. Dazu gehöre auch, Wege zu finden, Russland abzuwehren, ohne dabei zu viel Munition zu verbrauchen.

Doch der Militärexperte Dr. Jack Watling widerspricht der Darstellung, die Ukraine würde im Vergleich zu anderen historischen Konflikten übermäßige Mengen an Artilleriegeschossen verbrauchen. Er schreibt: "Diese Engpässe sind vielmehr ein deutlicher Beleg für die Aushöhlung der Nato seit dem Ende des Kalten Krieges. Die Wiederaufnahme der Munitionsproduktion lässt sich nicht mit einem Ein-Aus-Schalter bewerkstelligen, sondern erfordert die gleichzeitige Lösung mehrerer Probleme."

Watling erklärt, dass es bei der Herstellung von Artilleriemunition gibt fünf Hauptprozesse: (i) das Schmieden von Geschosshülsen, (ii) die Herstellung von Sprengstoffen, (iii) die Herstellung von Ladungen, die in die Gehäuse passen, (iv) die Herstellung von Zündern und (v) die Befüllung. Der erste Prozess - das Schmieden der Hülsen - ist einfach und kann durch die Umfunktionierung von zivilen Schmiedekapazitäten erweitert werden.

Der zweite Prozess - die Herstellung der Ladung - sei jedoch weit weniger einfach. Denn die entsprechenden Rohstoffe seien teuer. Zudem müsse die Fabrik strenge Regulierungen erfüllen, da es sich um einen hochexplosiven Sprengstoff handelt. Und drittens müsse das Produkt eine sehr hohe Qualität aufweisen. Die Treibladungen müssen beispielsweise die Energie mit einer Geschwindigkeit freisetzen, die den Toleranzen des Systems entspricht, durch das sie verschossen werden, und der Leistung entsprechen, auf der die Reichweitentabellen für das System beruhen.

All dies wäre schon problematisch genug, wenn Großbritannien 155-mm-Granaten für seine eigene Artillerie herstellen würde, "aber die ukrainischen Streitkräfte verwenden 17 Artillerietypen, die sowohl von der Nato als auch von der Sowjetunion stammen und für die wir nicht alle die technischen Spezifikationen kennen", schreibt Watling. Und weiter:

Außerdem ist das Befüllen und Kühlen von Granaten ein präziser Prozess. Der hochexplosive Sprengstoff muss erhitzt, in die Granatenhülle gegossen und dann mit einer bestimmten Geschwindigkeit abgekühlt werden, damit sie keine Verformungen, Hohlräume oder Risse aufweist. Die Anlage, in der dies geschieht, muss vor Klimaschwankungen geschützt sein. Auch dies bringt erhebliche regulatorische Einschränkungen mit sich.

Hinzu kommen die ungünstigen wirtschaftlichen Bedingungen des Unternehmens. Granaten werden in Kriegszeiten in großen Mengen verwendet und müssen billig sein. Das bedeutet, dass der Hersteller mit jeder Granate nur eine geringe Gewinnspanne erzielt. In Friedenszeiten ist der Anreiz zur Produktion daher sehr gering, da der Staat nur eine geringe Anzahl von Granaten benötigt. Ja, die Bevorratung ist eine Option, aber Granaten haben eine Haltbarkeit von etwa 20 Jahren, sodass dies auch eine Verschwendung sein kann.

Watling räumt ein, dass man Überkapazitäten an Fabriken schaffen könnte. Dies setze jedoch voraus, dass die Unternehmen ihre Produktionsanlagen jahrzehntelang stilllegen, was mit erheblichen Kosten verbunden ist. Für westliche Hersteller sei es nicht vertretbar, solche Kosten zu tragen, während sie mit Kürzungen konfrontiert sind und um internationale Aufträge konkurrieren müssen. Daher seien Munitionsfabriken im Westen verkleinert oder sogar geschlossen worden.

Auch Russland benötigt derzeit große Mengen an Munition. "Putin hat jedoch seine gesamte Wirtschaft auf Kriegsfuß gestellt", schreibt Watling. Denn die russische Wirtschaft unterliege nicht denselben kommerziellen Zwängen wie die Verteidigungsindustrie der Nato. Die russischen Hersteller seien nicht durch Bedenken hinsichtlich der industriellen Sicherheit eingeschränkt. Zudem sei Russland dabei "die Ineffizienzen, die Korruption und die Trägheit seiner Produktionsbasis" zu beseitigen. Dem Westen laufe die Zeit davon.

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