Politik

Multipolare Weltordnung: Öl-Mächte kürzen überraschend Fördermengen

Die Öl-Staaten kürzen überraschend ihre Fördermengen. Die Maßnahme hat nicht nur wirtschaftliche Gründe - sie zeigt darüber hinaus, wie schnell sich die Machtverhältnisse im Nahen Osten und weltweit derzeit ändern.
03.04.2023 10:00
Aktualisiert: 03.04.2023 10:26
Lesezeit: 3 min

Als Reaktion auf eine überraschend verkündete Förderkürzung wichtiger Öl-Staaten sind die Weltmarktpreise für Rohöl am Montag deutlich gestiegen. Am Morgen kostete ein Barrel (Faß zu 159 Liter) der Nordseesorte Brent zur Lieferung im Juni 83,75 US-Dollar. Das waren 3,86 Dollar mehr als am Freitag. Der Preis für ein Barrel der amerikanischen Sorte West Texas Intermediate (WTI) zur Lieferung im Mai stieg ebenfalls kräftig um 3,69 Dollar auf 79,36 Dollar.

Die im Format „Opec+“ zusammengefassten Länder hatten am Sonntag angekündigt, ihre kombinierte Fördermenge ab Mai um 1,66 Millionen Barrel pro Tag zu verringern. Die Kürzung soll bis Ende des Jahres eingehalten werden. Saudi-Arabien führte die Maßnahme am Sonntag mit einer geplanten Förderkürzung von 500.000 Barrel pro Tag an.

Andere Opec-Mitglieder wie der Irak (Kürzung um 211.000 Barrel pro Tag), die Vereinigten Arabischen Emirate (144.000 Barrel pro Tag), Kuwait (Kürzung um 128.000 Barrel pro Tag), Kasachstan (Kürzung um 78.000 Barrel pro Tag), Algerien (Kürzung um 48.000 Barrel pro Tag) und der Oman (Kürzung um 40.000 Barrel pro Tag) schlossen sich Saudi-Arabien an, während Russland eine Produktionskürzung von ebenfalls 500.000 Barrel bis Ende 2023 fortsetzen will.

Die Financial Times berichtet, dass die Entscheidung überraschend sei, weil sie nicht auf einem regulären Treffen der „Opec+“-Staaten beschlossen wurde. Dies könnte ein Hinweis auf eine große Dringlichkeit sein, so das Blatt. Förderkürzungen des „Opec+“-Kartells verknappen aufgrund dessen Marktmacht weltweit das Angebot und führen zu steigenden Ölpreisen und davon abgeleitet zu Mehreinnahmen der Öl-Staaten.

Geopolitische Relevanz

Wahrscheinlich noch wichtiger als die unmittelbaren ökonomischen Folgen der Entscheidung ist die geopolitische Signalwirkung der Kürzung.

So hatte die US-Regierung in den vergangenen Jahren mehrfach Länder wie Saudi-Arabien dazu gedrängt, die Förderung zu erhöhen, um die Weltmarktpreise zu senken. Dies sollte einerseits den amerikanischen Konsumenten in Form niedrigerer Preise für Treibstoff und Konsumartikel (Rohöl und dessen Derivate sind ein wichtiger Bestandteil unzähliger Produkte, Chemikalien und Kosmetika) entgegenkommen – andererseits sollte es Russland vor dem Hintergrund des Krieges gegen die Ukraine wichtige Einkommensströme entziehen.

Saudi-Arabien stellte seitdem jedoch mehrfach klar, dass es inzwischen eine vollkommen unabhängige Wirtschafts- und Geopolitik verfolgt. Unter Führung Riads beschloss das „Opec+“-Format im Oktober 2022 sogar eine drastische Kürzung der Förderung um 2 Millionen Barrel pro Tag – eine Entscheidung, die Verärgerung in Washington auslöste. Hochrangige Beamte der US-Regierung sprachen damals von einer faktischen Verbrüderung Saudi-Arabiens mit Russland. Saudi-Arabiens Beziehungen zu den USA hatten sich ohnehin seit der Amtsübernahme der Biden-Administration deutlich verschlechtert.

Riad vollzieht derzeit eine spektakuläre außenpolitische Kehrtwende und nimmt dabei offenbar wenig Rücksicht auf die Interessen der US-Regierung, welcher noch immer tausende Soldaten im Land stationiert hat. Besonders auffallend ist, dass die Golf-Monarchie eine größere Nähe zu China sucht. Mit Peking wurden nicht nur weitreichende Kooperationsprojekte in den Bereichen Wirtschaft, Politik, Energie und Kultur lanciert. Beide Länder arbeiten inzwischen auch auf dem Feld der Diplomatie eng zusammen.

So vermittelte China zuletzt erfolgreich zwischen den geostrategischen Rivalen Saudi-Arabien und dem Iran. Die Bemühungen Pekings haben nicht nur einen Normalisierungsprozess in den Beziehungen zwischen der sunnitischen und der schiitischen Vormacht eingeleitet, der demnächst mit dem Treffen der Außenminister beider Länder weiter vorangebracht werden soll, sondern China auch politisch im Nahen Osten aufgewertet.

Ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der US-Regierung kritisierte die Entscheidung der Öl-Staaten: „Wir denken nicht, dass Förderkürzungen im Moment mit Blick auf die Unsicherheiten auf dem Markt angebracht sind – und wir haben das klargemacht. Aber wir werden weiterhin mit allen Produzenten zusammenarbeiten um sicherzugehen, dass die Energiemärkte das Wirtschaftswachstum und tiefere Preise für die amerikanischen Konsumenten unterstützen.“

Die nun explizit gegen den Wunsch Washingtons und in Absprache mit Russland erfolgte Förderkürzung ist mit Blick auf den beschriebenen politischen Gesamtkontext ein signifikantes geopolitisches Ereignis. Die Financial Times zitiert eine Analystin mit den Worten, die Kürzung sei eine Botschaft Saudi-Arabiens an die USA, dass „dies länger keine unipolare Welt mehr sei“.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen CBDCs und Gold – Kontrolle oder Freiheit?

In einer Zeit rasanter Veränderungen stellt sich mehr denn je die Frage: Wie sicher ist unser Geld wirklich? Die Einführung von CBDCs...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Hat Trump mit seiner Einschätzung des deutschen Überschusses recht?
25.04.2025

Trumps Zollpolitik trifft auf deutsche Überschüsse – doch die wahren Ursachen für das Handelsungleichgewicht liegen tiefer.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Crash-Gefahr an den US-Börsen: Fondsmanager warnt vor historischem Einbruch von bis zu 50 Prozent
25.04.2025

Die Unsicherheit an den globalen Finanzmärkten nimmt spürbar zu. Ein renommierter Fondsmanager schlägt nun Alarm: Der US-Aktienmarkt...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Lyft attackiert Uber: Neuer Mobilitäts-Gigant übernimmt FreeNow und greift Europa an
25.04.2025

Der Mobilitätskampf in Europa geht in eine neue Runde – und diesmal kommt die Herausforderung von der anderen Seite des Atlantiks: Lyft,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Der offene Konflikt zwischen Big Tech und der EU eskaliert
24.04.2025

Meta hat den diplomatischen Kurs verlassen und mit scharfen Vorwürfen auf die jüngsten Strafen der EU-Kommission reagiert. Der...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Lego rüstet auf: Wie der Spielzeugriese mit Industrie 4.0 zum globalen Produktionsvorbild werden will
24.04.2025

Mit KI, Robotik und strategischer Fertigung wird Lego zum heimlichen Vorbild europäischer Industrie – und setzt neue Standards in...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Drittes Jahr in Folge kein Wachstum – Habeck senkt Prognose
24.04.2025

Ein drittes Jahr ohne Wachstum, eine düstere Prognose und ein scheidender Minister, der den Stillstand verwaltet: Robert Habeck...

DWN
Politik
Politik Europa sitzt auf russischem Milliardenvermögen – doch es gibt ein Problem
24.04.2025

Europa sitzt auf eingefrorenem russischen Vermögen im Wert von 260 Milliarden Euro – ein gewaltiger Betrag, der den Wiederaufbau der...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Ifo-Geschäftsklima: Deutsche Unternehmen trotzen globalen Risiken
24.04.2025

Während weltweit wirtschaftliche Sorgen zunehmen, überrascht der Ifo-Index mit einem leichten Plus. Doch der Aufschwung ist fragil: Zwar...