Wirtschaft

Afghanistan tritt Chinas Seidenstraße bei

Afghanistan wird Teil der Seidenstraße. Das krisengeschüttelte Land birgt große wirtschaftliche und geostrategische Potenziale, aber auch enorme Probleme.
31.05.2023 17:22
Aktualisiert: 31.05.2023 17:22
Lesezeit: 4 min
Afghanistan tritt Chinas Seidenstraße bei
Afghanistan wird Mitglied des Seidenstraßen-Projekts. (Foto: istockphoto.com/JeanUrsula) Foto: JeanUrsula

Afghanistan hat sich dem chinesischen Infrastrukturprojekt „Ein Gürtel, eine Straße“ („Neue Seidenstraße“) angeschlossen. Wie Silk Road Briefing berichtet, wurde der Beitritt am Sonntag in Pakistans Hauptstadt Islamabad vom pakistanischen Außenministerium bekanntgegeben, nachdem sich Außenminister Bilawal Bhutto Zardari am Vortag mit seinem chinesischen Amtskollegen Qin Gang und dem Unterhändler der Taliban, Amir Khan Muttaqi, beraten hatte.

In den Monaten zuvor hatten sich chinesische, pakistanische sowie afghanische Spitzenbeamte in mehreren Gesprächsrunden für einen Beitritt ausgesprochen.

Die künftig im Rahmen der „Neuen Seidenstraße“ für Afghanistan geplanten Infrastrukturprojekte werden als Verlängerung der chinesisch-pakistanischen Wirtschaftszusammenarbeit verstanden, die unter dem Dach des China-Pakistan Economic Corridor (CPEC) firmiert und mit einem Gesamtumfang von geschätzt 60 Milliarden Dollar das größte bilaterale Kooperationsprojekt der Seidenstraße darstellt.

„Die beiden Seiten stimmen darin überein, ihre humanitäre und wirtschaftliche Hilfe für das afghanische Volk fortzusetzen und die Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanistan zu verstärken – auch durch eine Erweiterung des CPEC nach Afghanistan“, zitiert Al Arabiya aus einer Pressemitteilung.

Afghanistans Annäherung an das chinesische Infrastruktur-Projekt geht auf das Jahr 2017 zurück, als eine Delegation der damaligen Regierung eine entsprechende Konferenz in Peking besucht hatte.

Große Potenziale…

Nach der Machtübernahme der Taliban im Sommer 2021 nahmen chinesische, russische und iranische Beamte halboffizielle Kontakte zu den neuen Machthabern auf. China verstärkt seitdem auf Wunsch der Regierung in Kabul die Wirtschaftskooperation mit Afghanistan.

Im Januar schließlich verhandelten beide Seiten das erste gemeinsame Rohstoff-Projekt, im Zuge dessen die Xinjiang Central Asia Petroleum and Gas Company die Lizenz zur Ölförderung entlang des Flusses Amu Darja erhielt. Der Vertrag ist auf 25 Jahre angelegt, hat einen Umfang von mehr als 500 Millionen US-Dollar und sichert den Taliban einen Anteil an den Operationen und Einkommensströmen von 20 Prozent.

Afghanistan verfügt über einen bedeutenden Reichtum an Rohstoffen, von denen viele auch strategische Bedeutung für die Weltwirtschaft und sogenannte Zukunftstechnologien haben. Signifikant sind Vorkommen von Kupfer, Eisen, Marmor, Kohle, Lithium, Kobalt, Gold, Chromeisen, Schwefel, Salz, Erdöl, Erdgas, Blei sowie edlen und halbedlen Steinen wie Rubin, Smaragd und Lapis Lazuli.

Die strategische Bedeutung Afghanistans liegt in dessen geografischer Lage im südlichen Zentralasien. Das Territorium grenzt im Westen an den Iran, im Norden an die zentralasiatischen Staaten Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan, im Nordosten entlang eines kleinen Grenzstreifens an China und im Osten und Süden an Pakistan und fungiert deshalb als Übergangsbereich zwischen der iranischen Welt, der zentralasiatischen Großregion und dem indischen Subkontinent.

Zudem liegt Afghanistan – in gesamtasiatischer Perspektive betrachtet – zentral zwischen den Großmächten China im Osten, Russland im Norden und Iran im Westen.

Derzeit werden mehrere überregionale Infrastrukturprojekte mit Bezug zu Afghanistan erwogen, wie beispielsweise die Transafghanische Eisenbahn und ein Transportkorridor, welcher China mit Usbekistan verbinden soll.

Auf der Transafghanischen Eisenbahnlinie könnten Waren aus Kasachstan über Usbekistan und Afghanistan an die pakistanischen Häfen am Indischen Ozean transportiert werden.

Der chinesisch-usbekische Transportkorridor hingegen würde in Ost-West-Richtung verlaufen und das chinesische Eisenbahnnetz über die zentralasiatischen Staaten an den Nahen Osten anbinden. Beide Projekte sind derzeit aber noch nicht über den Status von Planungen und Machbarkeitsstudien herausgekommen.

…und große Probleme

Den geografischen und rohstofflichen Potenzialen Afghanistans stehen große innenpolitische Schwierigkeiten gegenüber. Das Land befindet sich seit Jahrzehnten faktisch in einem Kriegszustand. Dem Einmarsch und der Präsenz der Sowjetunion folgten interne Kämpfe, aus denen die Taliban Mitte der 1990er Jahre siegreich hervorgingen, ehe diese wiederum ab dem Jahr 2001 von den Amerikanern und ihren Verbündeten von der Macht vertrieben wurden.

Nach dem chaotischen Abzug der westlichen Kräfte im Frühjahr und Sommer 2021 übernahmen die Taliban zwar wieder die Kontrolle über nahezu alle Teile des Landes. Noch immer aber sind Zellen des Islamischen Staats und uighurischer Extremisten aktiv.

Die Bevölkerung Afghanistans gehört inzwischen wieder zu den ärmsten der Welt und die Beschlagnahmung der Devisen- und Goldreserven der afghanischen Zentralbank in Höhe von etwa 9 Milliarden US-Dollar durch die amerikanische Regierung führte zu akuten Zahlungsschwierigkeiten, welche mithilfe internationaler Hilfsgelder ein wenig abgemildert werden können. Die USA sind dabei der wichtigste Geldgeber: etwa 2,1 Milliarden Dollar an Hilfsgeldern sollen seit dem Abzug der Armee 2021 geflossen sein.

Die UN schätzte jüngst, dass im laufenden Jahr rund 4,6 Milliarden Dollar an Hilfen notwendig sein werden, um die rund zwei Drittel der 40 Millionen Afghanen zu unterstützen, die in extremer Armut leben.

Die unruhige Sicherheitslage stellt zudem ein Risiko für die Seidenstraßen-Pläne der Taliban-Regierung dar. So attackierten IS-Kämpfer noch im Dezember ein Hotel in Kabul, das in der Vergangenheit von chinesischen Geschäftsleuten und Diplomaten genutzt wurde.

„Chinas Außenpolitik tendiert dazu, wirtschaftlichen Interessen den Vorzug zu geben, ohne die Innenpolitik zu unterminieren. Vor diesem Hintergrund scheut China vor unilateralen Projekten in Afghanistan ohne die Unterstützung Pakistans zurück. Der Transit durch Afghanistan nach Pakistan ist jedoch ins Stocken geraten, seitdem ein bilaterales Abkommen zum Transit und zum Handelsverkehr aufgrund der finanziellen und territorialen Streitigkeiten mehrerer regional bedeutender Stämme auf Eis gelegt wurde. Peking wird alle Hände voll zu tun haben, einer Region fruchtbare Verhandlungen zu bringen, die seit Langem an gewalttätige Argumente und Krieg gewöhnt ist“, schreibt Chris Devonshire-Ellis, der Herausgeber des Silk Road Briefing.

Afghanistans Beitrag zum Seidenstraßenprojekt erscheint deshalb zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus gesehen unklar. Gelingt es der Kabuler Regierung, nachhaltig für Ordnung und gesellschaftliche Stabilität im Land zu sorgen, kann sich Afghanistan angesichts seines Rohstoffreichtums und wegen seiner strategischen Lage als Glücksfall erweisen. Davon würden die Chinesen politisch und wirtschaftlich ebenso profitieren wie die Afghanen, denen sich in Form der Infrastrukturprojekte und eines daraufhin möglicherweise ausgebauten Regionalhandels wirtschaftliche Perspektiven eröffnen.

Möglich ist aber auch, dass die latent bestehenden Konflikte zwischen den ethnischen Volksteilen, die große Armut und Perspektivlosigkeit im Land, die sehr schlecht ausgebaute Infrastruktur sowie die Aktivitäten extremistischer Milizen Afghanistan zu einem Bremsklotz für die wirtschaftliche Integration Zentralasiens im Sinne der Seidenstraße machen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Technologie
Technologie Meta trainiert KI mit Ihren Daten – ohne Ihre Zustimmung. So stoppen Sie das jetzt!
09.05.2025

Ab dem 27. Mai analysiert Meta öffentlich sichtbare Inhalte von Facebook- und Instagram-Nutzern in Europa – zur Schulung seiner...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Silicon Valley wankt: Zölle, Zoff und zerplatzte Tech-Träume
08.05.2025

Während Europa auf seine Rezession zusteuert und China seine Wirtschaft auf staatlicher Kommandobasis stabilisiert, gibt es auch im sonst...

DWN
Panorama
Panorama Verkehrswende: Ariadne-Verkehrswendemonitor zeigt Entwicklung auf
08.05.2025

Wie sich die Verkehrswende in Deutschland aktuell entwickelt, ist nun auf einer neuen Onlineplattform des Potsdam-Instituts für...

DWN
Finanzen
Finanzen Inflation bewältigen: 7 Strategien für finanzielle Stabilität, weniger Belastung und einen nachhaltigeren Lebensstil
08.05.2025

Wer die eigenen Ausgaben kennt, kann gezielt handeln. So behalten Sie die Kontrolle über Ihr Geld. Mit Budgetplanung und klugem Konsum...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Maschinenbau: Bedeuten die Trump-Zölle das Ende einer deutschen Schlüsselindustrie?
08.05.2025

Der Maschinenbau befindet sich seit Jahren im Dauerkrisenmodus. Nun droht die fatale Zollpolitik des neuen US-Präsidenten Donald Trump zum...

DWN
Politik
Politik Anti-Trump-Plan: Halbe Milliarde Euro für Forschungsfreiheit in Europa
08.05.2025

Während US-Präsident Trump den Druck auf Hochschulen erhöht, setzt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf gezielte Anreize...

DWN
Technologie
Technologie Bitkom-Umfrage: Deutsche kritisieren Abhängigkeit von KI-Anbietern aus dem Ausland
08.05.2025

Die Bevölkerung in Deutschland verwendet zunehmend Anwendungen auf Basis künstlicher Intelligenz. Gleichzeitig nimmt die Sorge über eine...

DWN
Politik
Politik Migrationspolitik: Wie die Neuausrichtung an den deutschen Außengrenzen aussehen könnte
08.05.2025

Das Thema illegale Migration und wer bei irregulärer Einreise an deutschen Landesgrenzen zurückgewiesen wird, beschäftigt die Union seit...