Politik

Machtkampf in Ostasien: „Shangri-La“ im Zeichen der Konfrontation

Lesezeit: 6 min
08.06.2023 17:08  Aktualisiert: 08.06.2023 17:08
Der Machtkampf der USA mit China prägt die Sicherheitskonferenz Shangri-La Dialogue in Singapur. Für Ostasien steht viel auf dem Spiel. Erste Länder der Region fordern eine Abkehr von der Konfrontationspolitik.

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Die diesjährige Auflage der bekannten Sicherheitskonferenz „Shangri La Dialog“, welche von Freitag bis Sonntag vergangener Woche in Singapur stattfand, wurde wie schon in den vergangenen Jahren vom Machtkampf zwischen der US-Regierung und China dominiert.

Die Länder Ostasiens und des westlichen Pazifiks wählen mit Blick auf die Spannungen unterschiedliche Strategien: während sich Japan, Südkorea und Taiwan militärisch und politisch enger an die USA anlehnen, versuchen die meisten Länder Südostasiens, einen neutralen Mittelweg einzuschlagen.

ASEAN auf dem Mittelweg?

Auf der Konferenz warnten Vertreter mehrerer südostasiatischer Länder vor der Gefahr eines Krieges. Man sei „akut besorgt“, dass man sich im Falle einer Eskalation auf eine Seite schlagen müsse, zitiert die South China Morning Post von dem Treffen. Washington und Peking sollten ihre angeschlagenen Beziehungen reparieren und über offene und geheime Kanäle den Kontakt zueinander aufrechterhalten, um Missverständnissen und Fehleinschätzungen ihrer Militärs vorzubeugen, so der Tenor.

Singapurs Verteidigungsminister Ng Eng Hen betonte, dass die Beziehung zwischen Amerika und China von zentraler Bedeutung für Asien und die am Indischen und Pazifischen Ozean gelegenen Länder sei. „Ich denke, dass kein Land Krieg will“, sagte Ng mit Blick auf die beiden Kontrahenten, „aber unsere Arbeitshypothesen und Szenarien müssen davon ausgehen, dass unbeabsichtigte Vorfälle geschehen können.“

In den Wochen vor der Konferenz hatten sich mehrere kleinere Zwischenfälle zwischen amerikanischen Kampf- und Spionageflugzeugen und Marineschiffen einerseits und Einheiten der chinesischen Luftwaffe und Marine im Südchinesischen Meer und in der Taiwan-Straße ereignet – worauf Ng offenbar Bezug nahm.

Komme es zu ernsteren Zwischenfällen, so Ng, müssten bereits Gesprächskanäle zwischen Washington und Peking vorhanden sein, um eine weitere Eskalation wie eine Aktivierung der militärischen Befehlsketten zu vermeiden.

„Oberste Priorität“ für Asien habe das Ziel, einen Krieg zwischen den USA und China zu verhindern und im Hinblick darauf auch Lehren aus dem Ukraine-Krieg zu ziehen.

Die im südostasiatischen Staatenbund ASEAN zusammengeschlossenen Länder sind insgesamt bestrebt, eine neutrale Position zwischen Amerika und China einzunehmen. Sie profitieren einerseits enorm von der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit China, unterhalten teilweise aber auch enge militärische Beziehungen zu den USA – etwa die Philippinen und Thailand – während Kambodscha und Myanmar außenpolitisch eher an Peking angelehnt sind.

Kambodschas Verteidigungsminister Tea Banh kritisierte, dass der Machtkampf „Harmonie und Wohlstand anderer Länder beeinträchtigt.“ Kambodscha wünsche weder China noch den USA einen Niedergang, weil dies Risiken für die Region und die ganze Welt beinhalte. „Kambodscha wünscht sich eine Verhaltensänderung der Rivalen – weg vom Vergeltungsdenken hin zur Zusammenarbeit für gemeinsame Vorteile, Stabilität und Wohlstand für die Region und die ganze Welt“, zitiert die South China Morning Post Tea.

Der Verteidigungsminister der Philippinen, Carlito Galvez Junior, äußerte die Sorge, dass die Spannungen auf das Südchinesische Meer übergreifen könnten, auf das neben China (das dort militärische Infrastruktur aufgebaut hat) auch Taiwan, Vietnam, die Philippinen, Indonesien, Malaysia und Brunei territoriale Ansprüche erheben.

Die philippinische Regierung hatte erst jüngst grünes Licht für die Nutzung weiterer amerikanischer Militärstützpunkte auf dem Archipel gegeben. Insgesamt neun Basen dürfen die Amerikaner jetzt im Land nutzen, um beispielsweise Material, Waffen oder Personal zu verschieben oder Übungen abzuhalten.

Die Aktivität der Amerikaner auf den Philippinen ist China aufgrund der geografischen Nähe des Insel-Archipels zum Festland und zum Südchinesischen Meer ein Dorn im Auge, ebenso wie den USA im Umkehrschluss eine rege militärische Zusammenarbeit Pekings mit Kuba nicht gefallen würde. Noch bedrohlicher aus Sicht Chinas ist jedoch die Tatsache, dass die US-Regierung Taiwan nicht nur mit Waffen versorgt, sondern amerikanische Ausbilder auch taiwanesische Streitkräfte trainieren.

Bemerkenswert ist, dass die ASEAN-Staaten im Bereich von Wirtschaft und Handel eine relative Abkopplung vom US-Dollar eingeleitet haben, indem sie den Zahlungsverkehr zwischen ihren Mitgliedsländern künftig verstärkt in eigenen Währungen abwickeln wollen. Hintergrund sind nicht zuletzt Sorgen einer verstärkten Instrumentalisierung der Weltleitwährung für politische Zwecke, wie sie an einer Konferenz in Singapur im Januar geäußert wurden.

Verhärtete Fronten

Am Samstag traten die Differenzen zwischen den USA und China offen zutage. Chinesische Militärs kritisierten insbesondere den Versuch der US-Regierung, Länder der Region außenpolitisch und militärisch gegen China in Position zu bringen und Taiwan militärisch aufzurüsten. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin hingegen warf China mit Blick auf Taiwan „Bedrängung und Zwang“ vor.

Austin kündigte an, den Einfluss der USA im geografischen Hinterhof Chinas zu weiter zu intensivieren. „Wir verstärken die Planung und Koordination und das Training mit unseren Freunden vom Ostchinesischen Meer über das Südchinesische Meer bis zum Indischen Ozean“, zitiert die Hongkonger South China Morning Post Austin. „Das beinhaltet enge Verbündete wie Australien, Japan, die Republik Korea, die Philippinen und Thailand.“

Das Netzwerk der USA und ihrer Alliierten in Asien werde einen Schutz gegen „Zwang“ bieten, so Austin. Demonstrativ durchquerten am selben Tag ein US-Zerstörer und eine kanadische Fregatte die Taiwan-Straße.

Die Mobilisierung verbündeter Staaten gegen China stellt ebenso wie der implizit gegen China gerichtete AUKUS-Pakt zusammen mit Großbritannien und Australien Elemente der militärischen Druck-Kampagne der US-Regierung gegen China dar. Diese ist wiederum Teil eines umfassenderen strategischen Feldzuges, den die Trump-Administration im Jahr 2018 mit ihren (nach Maßgabe der WTO illegalen) Handelszöllen begonnen hatte und welcher neben Wirtschaftssanktionen auch diplomatische Sanktionen und andere Kampagnen umfasst.

Spitzenvertreter aus Chinas Sicherheitsapparat warfen der US-Regierung beim Shangri-La Dialoque vor, die Spannungen rund um Taiwan aktiv zu schüren und Anrainerstaaten gegen China in Stellung zu bringen. „Den USA ist nicht an einer ruhigen Lage in der Straße von Taiwan gelegen, weil dies ihrer Indo-Pazifik-Strategie zuwider laufen würde, mehr Truppen und Waffensysteme in die Region zu verlegen, während Taiwan mehr Waffen amerikanischer Bauart kaufen müsste“, sagte Oberst Zhao Xiaozhuo von der Akademie der Militärischen Wissenschaften der Volksbefreiungsarmee.

„Das Vorgehen der USA, sich mit der Five Eyes-Allianz und europäischen Ländern zusammenzutun, um sich in die regionalen Angelegenheiten einzumischen, wird das Problem nur verschärfen“, sagte der Generalleutnant He Lei. „Ihr Amerikaner lebt tausende Meilen entfernt vom Südchinesischen Meer. Warum kommt ihr hierher und provoziert andere Länder, China zu konfrontieren?“.

Generalleutnant Jing Jianfeng, Vize-Chef des Generalstabs der Zentralen Militär-Kommission, warnte davor, dass sich die gegenwärtigen Spannungen zu einer ernsten Krisen ausweiten könnten, wenn die US-Streitkräfte weiterhin Waffen und Personal an den Grenzen Chinas stationieren und externe Parteien dazu drängen würden, „sich in die Angelegenheiten der Region einzumischen.“

Jing zufolge habe die Unterstützung der US-Regierung für jene Teile der taiwanesischen Politik, die eine Loslösung von China und die Ausrufung eines eigenständigen Staats fordern, die Volksbefreiungsarmee zum Handeln gezwungen, um die staatliche Souveränität und territoriale Integrität Chinas zu schützen.

Insbesondere nach dem umstrittenen Besuch der damaligen Kongress-Sprecherin Nancy Pelosi im August vergangenen Jahres und nachfolgenden Besuchen hochrangiger amerikanischer Politiker in Taiwan hatte die chinesische Marine und Luftwaffe ihre Übungen und Manöver vor der Küste der Insel beträchtlich ausgeweitet.

Jing zufolge hat der politische und wirtschaftliche Feldzug der USA gegen China 32 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges zur Bildung von ideologisch zementierten Blöcken auf der Welt geführt. „Die USA verfolgen ihre Eigeninteressen ohne Rücksicht auf die Wünsche anderer Länder nach Stabilität und benutzt sie als Pfänder mithilfe von Tricksereien und Zwang.“

Interessant aus europäischer Sicht waren Äußerungen des ehemaligen chinesischen Botschafters in Washington, Cui Tiankai. Die Europäer hätten ihre eigene Sicherheit „falsch gehandhabt“, wie sich nun angesichts ihrer Reaktion auf den Ukraine-Krieges zeige, und sie sollten bei ihrem Ansatz für Frieden und Stabilität auf den asiatischen Pazifik blicken. „Wir sollten aus Europas Erfolglosigkeit außerdem etwas lernen – etwas sehr Wichtiges lernen. Ich möchte nicht das Wort ‚Versagen‘ benutzen, aber Erfolglosigkeit“, sagte Cui.

Offensichtlich spielt Cui damit auf den überragenden Einfluss der USA auf Europa und die Schlüsselstellung Washingtons im Ukraine-Konflikt an, dessen negative politische und wirtschaftliche Folgen die Europäer in viel stärkerem Ausmaß bedroht als die USA selbst.

Ein von US-Außenminister Austin erbetenes Treffen mit Generalleutnant Jing wurde von der chinesischen Seite nicht angenommen, weil die US-Regierung nicht bereit ist, gegen Jing erlassene Sanktionen wieder zurückzunehmen.

Warnung aus Ost Timor

Der Präsident des kleinen Inselstaates Ost-Timor, José Ramos-Horta, rückte bei dem Gipfel die Perspektive armer Länder auf den Machtkampf zwischen den Großmächten in den Fokus: „Harte politische Lösungsansätze und Werkzeuge, die den Reichen und Mächtigen der Welt zur Verfügung stehen, werden nicht gesetzesgemäß angewendet, weil jene Mächte, die zwischen Krieg und Frieden entscheiden, zu beschäftigt damit sind, Ressourcen in engstirnigen und selbstsüchtigen Rivalitäten für regionalen Einfluss und Übermacht zu verschwenden“, zitiert die South China Morning Post Ramos-Horta.

Jene, die sich einen Sitz im Sicherheitsrat der UN, der G7-Gruppe oder der G20-Gruppe verschafft haben, hätten ebenfalls keinerlei Anstalten gemacht, die großen Probleme auf der Welt wie Armut und die Klima-Krise anzugehen, so der Präsident Ost-Timors.

Die reichen Staaten hätten während der Finanzkrise von 2008 ihre Banken gerettet und gäben viel Geld für den Krieg in der Ukraine aus, so der Präsident, weigern sich aber, vollkommen überschuldeten Ländern die Verbindlichkeiten zu streichen. „Wenn der reiche Norden das Vertrauen des Globalen Südens wiederhaben möchte, dann muss es eine weisere, ehrlichere und mutigere Strategie geben, um die hunderte Millionen Menschen zu unterstützen, die – über Jahrzehnte hinweg – sich bescheiden für westliche Hilfe angestellt haben.“

China, so Ramos-Horta, habe sich für viele ärmere Staaten der Welt zu einem Hoffnungsschimmer entwickelt, nachdem die Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre zusammenbrach und sowjetische Unterstützungsprogramme daraufhin aufgegeben wurden. „Es wurde damals befürchtet, dass der Kollaps der Sowjetunion einen unberechenbaren Ansteckungseffekt auf China haben könnte. Nun, China hat das alles überlebt. Heute im Jahr 2023 ist China eine wahrhaft globale Macht und ein Magnet für diejenigen, die vom Westen desillusioniert sind.“


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