Am heutigen 24. Juni beginnt in Argentinien offiziell der Wahlkampf. Bislang haben rund 20 Kandidaten ihren Hut in den Ring geworfen. Sie werden bei den Vorwahlen am 13. August um die Unterstützung ihrer eigenen Parteien kämpfen, bevor die Gewinner am 22. Oktober in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen gegeneinander antreten werden. Aufgrund der großen wirtschaftlichen Probleme sind die Wahlen in diesem Jahr besonders unberechenbar. Die libertäre Partei "La Libertad Avanza" mit ihrem Vorsitzenden Javier Milei liegt - trotz oder wegen ihres radikalen Programms - in Umfragen gleichauf mit den etablierten Parteien.
Seit 1946, als General Juan Domingo Perón an die Macht kam, wurde Argentinien hauptsächlich von Peronisten regiert. Doch der Peronismus hat zuletzt massiv an Popularität verloren. Nur noch etwas mehr als ein Viertel der Wähler gibt in Umfragen an, einem Peronisten die Stimme geben zu wollen. Unter Präsident Alberto Fernández hat sich die Inflation auf 114 Prozent mehr als verdoppelt, auch weil die Zentralbank von Argentinien den Bargeldumlauf auf 3,8 Billionen Pesos fast vervierfacht hat. Zudem wurden die Kapitalverkehrskontrollen verschärft, was einen riesigen Schwarzmarkt für die Fluchtwährung Dollar hervorgebracht hat.
Sowohl Präsident Fernández als auch Vizepräsidentin Cristina Fernández de Kirchner haben angekündigt, dass sie nicht kandidieren werden. Zu den potenziellen Kandidaten der Peronisten gehören Eduardo de Pedro, ein Protegé der Vizepräsidentin, und Wirtschaftsminister Sergio Massa. Beide sind nicht sehr populär. Stattdessen werden die Wahlumfragen von der Mitte-Rechts-Opposition "Juntos por el Cambio" (Gemeinsam für den Wandel) - abgekürzt JXC - und "La Libertad Avanza" (Die Freiheit rückt vor) dominiert, der libertäre Partei des Kongressabgeordneten Javier Milei, wie der Economist berichtet.
Milei will Zentralbank abschaffen
Milei hat sein Programm den "Kettensägenplan" genannt. Er will die Zentralbank und den Peso abschaffen. Stattdessen soll der Dollar genutzt werden, den viele Argentinier heute schon zum Sparen verwenden, weil sie das Vertrauen in die eigene Währung längst verloren haben. Zudem plant Milei Steuersenkungen, Privatisierungen, die Abschaffung von Subventionen und Exportbeschränkungen sowie die Wiedereinführung privater Rentenfonds. Außerdem will er ein Gutscheinsystem für Schulen einführen und die Gesundheitsversorgung privatisieren. Die Zahl der Ministerien soll von 18 auf 8 reduziert werden.
Mit diesem "Kettensägenplan" zieht Milei all jene Wähler an, die bereit für einen neuen Ansatz sind, nachdem der argentinische Staates mit all seinen Behörden und seiner Zentralbank immer wieder versagt hat. Aber auch sein exzentrischer Stil kommt offenbar gut an. Milei lebt mit fünf Doggen, von denen vier nach berühmten Ökonomen benannt sind. In Umfragen gibt etwas mehr als ein Fünftel der Wähler an, dass sie ihn wählen werden. Vor allem junge Männer wollen dem libertären Kongressabgeordneten ihre Stimme geben.
Argentinien soll den Dollar nutzen
Mileis Pläne zur Einführung des Dollars haben die meiste Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Er schlägt entweder die vollständige Dollarisierung der Wirtschaft vor oder die Bürger sollen eine Währung ihrer Wahl nutzen dürfen. Ökonomen halten eine Umstellung auf den Dollar für nicht durchführbar. Die Frage ist, woher die Dollars kommen sollen. Denn zwar verfügen die Argentinier über erhebliche Dollarersparnisse. Doch nach Schätzungen von Miguel Kiguel vom Beratungsunternehmen Econviews belaufen sich die Nettodevisenreserven der Zentralbank auf minus 1,5 Milliarden Dollar.
Das Ziel der Umstellung Argentiniens auf den Dollar besteht darin, dass es der Regierung des Landes unmöglich gemacht werden soll, mithilfe ihre Staatsausgaben mithilfe der Zentralbank zu finanzieren. Ein Versuch in den 1990er Jahren, den Peso an den Dollar zu koppeln, konnte die Hyperinflation für einige Jahre stoppen. Doch das System war letztlich doch zu lasch. Die Regierung ließ die Defizite wieder ansteigen. Als klar wurde, dass ein Peso nicht mehr einen Dollar wert war, zogen die Argentinier 2001 in aller Eile ihre Dollar-Ersparnisse von den Banken ab.
Schließlich gab die Regierung die Kopplung an den Dollar offiziell auf. Die Argentinier erhielten für ihre zuvor einen Dollar werten Pesos neue abgewertete Pesos, was einer Enteignung gleichkam. Es folgte die schlimmste Krise in der Geschichte des Landes. Das Bruttoinlandsprodukt sank um 17 Prozent und die Arbeitslosigkeit verdoppelte sich fast auf 24 Prozent. Das gleiche Schicksal würde auch Mileis Umstellung auf den Dollar drohen. Denn auch seine Reform kann wieder rückgängig gemacht werden. Zukünftige Regierungen können Zentralbank und Peso jederzeit wieder einführen.
Staatsausgaben außer Kontrolle
Aber kurzfristig könnten Mileis Pläne mehr Haushaltsdisziplin erzwingen. Die argentinischen Staatsausgaben sind von 26 Prozent des BIP im Jahr 2000 auf heute fast 40 Prozent gestiegen. Die Staatseinnahmen hingegen verharren bei 32 Prozent der Wirtschaftskraft. Das Haushaltsdefizit wird in diesem Jahr voraussichtlich 3,8 Prozent betragen. Dem Statistikamt zufolge arbeiten 36 Prozent der Argentinier im informellen Sektor. Die Weltbank schätzt, dass ein typisches mittelgroßes Unternehmen in Argentinien im Jahr 2019 Steuern und Sozialabgaben in Höhe von 106 Prozent seines Vorsteuergewinns zahlen musste.
Da Argentinien seine Staatsschulden bereits neunmal nicht beglichen hat, wird es von den internationalen Kapitalmärkten gemieden und kann hier keine Kredite aufnehmen. Das Land könnte seine Einnahmen durch Exporte steigern. Doch die aufeinanderfolgenden peronistischen Regierungen haben Mauern um das Land errichtet. Der Handel macht nur 33 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, einer der niedrigsten Anteile in der Welt. Laut César Litvin, einem Berater in Buenos Aires, ist Argentinien eines von nur einem Dutzend Ländern, welche die eigenen Agrarexporte besteuern.
Daher wenden sich die Regierungen zur Finanzierung ihrer Haushaltsdefizite häufig an die Zentralbank. Im März aktualisierte die Regierung eine Vereinbarung mit dem IWF zur Refinanzierung ihres ausstehenden Kredits, die vorsieht, dass die Zentralbank in diesem Jahr nicht mehr als 0,6 Prozent der Staatsausgaben finanzieren darf. Doch in den ersten fünf Monaten dieses Jahres hat die Finanzierung durch die Zentralbank diese Grenze bereits überschritten, zitiert der Economist Marcos Buscaglia vom Beratungsunternehmen Alberdi Partners.
Milei muss sich auf Widerstand gefasst machen
Um das Haushaltsdefizit zu senken, müsste die Regierung die öffentlichen Ausgaben und Subventionen kürzen. Die Umsetzung solcher Reformen ist eine politische Herausforderung. Die argentinische Verfassung unterteilt das Land in 24 Provinzen mit viel Autonomie. Ein Großteil des Anstiegs der Staatsausgaben in den letzten zwei Jahrzehnten wurde von den Provinzen und nicht von der Bundesregierung getragen. Jeder neue Präsident wird mit 24 Gouverneuren verhandeln müssen. In einigen der ärmsten Provinzen Argentiniens sind mehr als zwei Drittel der Beschäftigten in irgendeiner Form für die Regierung tätig.
Der nächste Präsident könnte jedoch durch eine bessere Ernte unterstützt werden. In diesem Jahr hat eine der schlimmsten Dürren in der Geschichte Argentiniens die Soja-, Mais- und Weizenexporte im Wert von über 22,5 Milliarden Dollar vernichtet, was 3,2 Prozent des BIP entspricht. Es wird erwartet, dass sich die Ernte im nächsten Jahr erholt. Die steigende Nachfrage nach Lithium könnte ebenfalls helfen. Die jüngsten Investitionen in das zweitgrößte Schiefergasfeld der Welt im Westen des Landes könnten zudem die Energieexporte ankurbeln.
Bei den letzten Kommunalwahlen haben Mileis Verbündete schlecht abgeschnitten. Doch er muss auch gar nicht gewinnen, um Einfluss zu erhalten. Denn die wahrscheinliche Kandidatin von JXC, die ehemalige Sicherheitsministerin Patricia Bullrich, würde ein Bündnis mit ihm eingehen. Mit den Peronisten hingegen hat sie ein Bündnis abgelehnt. Wie Milei befürwortet auch Bullrich eine rasche Senkung der öffentlichen Ausgaben. Allerdings will sie nicht den Dollar einführen, sondern die Unabhängigkeit der Zentralbank stärken, die Devisenkontrollen abbauen und die Vielzahl von Wechselkursen vereinheitlichen.