Schon einmal haben wir uns an dieser Stelle des Themas „grüner Wasserstoff“ angenommen und erläutert, warum Europa bei diesem, für die Energiewende als Schlüsseltechnologie deklarierten Energiespeicher, gegenüber den USA und, ähnlich, wie seinerzeit in Sachen Solartechnik, vor allem zu China den Anschluss zu verlieren droht. Denn obwohl das Interesse an der aufstrebenden Wasserstoffindustrie in Europa groß ist, könnte die EU wieder einmal an internen Herausforderungen scheitern und die eigenen ehrgeizigen Ziele verfehlen.
Viele bürokratische Hürden stehen im Weg, man bedenke, dass noch nicht einmal Einigung darüber erzielt wurde, welche Produktionsmethoden überhaupt als vollständig "grün" gelten sollen. Auch diese Ungewissheit erschwert es Unternehmen und Investoren, sich an großen Wasserstoffprojekten zu beteiligen und trägt dazu bei, dass Marktanteile in andere Regionen verlagert werden.
Infrastruktur noch ausbaufähig
Zwar boomt die Produktion der zur Umwandlung von Erdgas in Wasserstoff notwenigen Elektrolyseure in den USA und Europa, und es werden bereits zahlreiche Wasserstoffanlagen gebaut. Gewährleistet wird die Wettbewerbsfähigkeit lokaler Anbieter jedoch vor allem auf Grund einer enorm proaktiven Subventionspolitik für die Wasserstoffindustrie. Dennoch bleibt es fraglich, ob die bis zum Ende des Jahrzehnts erwartete 90-fache Nachfragesteigerung allein nach diesen Geräten gedeckt werden kann.
Interessanterweise täuscht die Vielzahl von Wasserstoffprojekten ein wenig über das daraus erwachsende Potenzial hinweg. Tatsächlich halten sich Investoren und Finanzinstitute bei deren Finanzierung noch sehr vornehm zurück, offenbar herrscht weiterhin erhebliche Skepsis hinsichtlich der Möglichkeit einer wirtschaftlichen Produktion von grünem Wasserstoff. Brancheninsidern zufolge werden letztendlich nur rund 7 Prozent der zahlreichen Projektankündigen schlussendlich auch tatsächlich finanziert. Realität ist auch, dass selbst wenn alle aktuell vorgeschlagenen Wasserstoffprojekte tatsächlich realisiert werden könnten, diese insgesamt nur rund 3,5 Prozent des für 2030 prognostizierten Energiebedarfs der EU abdecken würden.
Hinzu kommt, dass nicht allein der spontane Bau des ein oder anderen LNG-Terminals zu unmittelbar sprudelnden Wasserstoffquellen führt und darüber hinaus auch die nötige Infrastruktur vorhanden sein muss, um dessen Transport zum Endkunden gewährleisten zu können. Zwar kann dafür auf übergeordneter Ebene grundsätzlich das bestehende Erdgas-Pipelinenetz genutzt werden, die deutsche Energiebranche erklärt jedoch, dass das hiesige Endkundengasnetz aktuell nur etwa 20 % Wasserstoffanteil transportieren kann. Der DVGW (Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches) taxiert die Gesamtkosten einer entsprechenden Umrüstung auf 30 Mrd. Euro. Derartige Beschränkungen bestehen auch in anderen europäischen Ländern.
Wirtschaftlichkeit in Frage gestellt
Im Rahmen des diesjährigen Qatar Economic Forums, welches Ende Mai in Doha stattfand, stellte der Saudische Energieminister Abdulaziz bin Salman eine interessante Frage, nämlich die nach der Nachfrageseite. „Wer wird der Abnehmer sein?“, erkundigte sich der Prinz, und bei näherer Betrachtung ist die damit zum Ausdruck gebrachte Skepsis hinsichtlich der ökonomischen Sinnhaftigkeit der gesamten Strategie gar nicht allzu abwegig. Denn bislang gibt es für Wasserstoff, anders als bei etablierten Rohstoffmärkten, keinerlei Mechanismus, nachdem ein transparenter Referenzpreis für den Rohstoff ermittelt werden könnte.
So werden beispielsweise weltweit mehrere hundert verschiedene Erdölsorten gefördert, die sich alle vor allem hinsichtlich ihres Schwefelgehalts (sweet/sour) und ihrer Dichte (light/heavy) unterscheiden. Dennoch sind sie leicht zu bepreisen, da festgelegt ist, mit welchem Zu- oder Abschlag die jeweilige Qualität zur Referenzsorte (WTI/Brent) gehandelt wird. Wasserstoff mangelt es an einem klaren Marktpreis, und das ist etwas, was für Marktteilnehmer durchaus ein Hemmnis darstellen kann, um sich dort umfänglich zu engagieren. Darüber hinaus gehen zumindest die Saudis – erwartbar – davon aus, dass Wasserstoff aus ökonomischer Sicht ohnehin keine Alternative zu fossilen Brennstoffen werden wird. Laut Amin Nasser, CEO des Ölgiganten Saudi Aramco, entspräche sogar schon der Preis des in der Regel günstiger zu erzeugenden blauen Wasserstoffs in Erdöl umgerechnet gut 250 Dollar pro Barrel. Ein Preis, der auf dem Weltmarkt nirgends zu erzielen wäre. Hinzu kommt, dass die Volatilität, die den „grünen Bestandteilen“ der Wasserstofferzeugung eigen ist, selbstverständlich auf den Preis des Endprodukts durchschlägt.
So schwankte der Preis von grünem Wasserstoff gemäß des von der ASUE (Arbeitsgemeinschaft für sparsamen und umweltfreundlichen Energieverbrauch e.V.) ermittelten Wasserstoff-Index namens Hydex im vergangenen Jahr zwischen nahe Null und mehr als 1.000 Euro pro MWh. Das macht eine seriöse Projektbewertung schwierig. Diese Überlegungen stellen selbstverständlich sowohl Kreditgeber als auch Produzenten und potenzielle Nutzer des Energieträgers an. Wenn auch sie ähnliche Schlüsse ziehen, wie die zu diesem Thema naturgemäß eher distanziert eingestellten Saudis, dürfte es sehr herausfordernd bleiben, Wasserstoffprojekte bankfähig zu machen oder überhaupt als wirtschaftlich tragfähig anzusehen.
Der Markt braucht Orientierung
Für die Entwicklung dieses Marktes ist es eine sehr knifflige Situation. Projektierer und Investoren wissen nicht, ob sich ein Engagement in eines der vielfältigen Wasserstoffprojekte überhaupt lohnen kann, da sowohl Angebots- als auch Nachfrageseite ohne wirklichen Preisbezug praktisch blind in der Luft hängen und die politisch ungeliebten Konkurrenzprodukte weiterhin attraktiv bleiben. Zeigt sich keine Nachfrage – damit soll nicht-subventionierte und auf dem freien Markt zu erreichende gemeint sein – wird auch das Angebot überschaubar bleiben und sich mögliche Produzenten zurückhalten. Was wiederum zu hohen Preisen führte, sollte die Nachfrageseite doch erwachen, was politisch getrieben denkbar wäre.
Dass vorgenannte Einwände seitens der faktischen OPEC-Führung angesprochen wurden ist bezeichnend aber wenig verwunderlich. Abdulaziz bin Salman stellte die Marktdynamik in Frage und machte damit auch deutlich, dass vor allem die in der EU vorherrschende Auffassung von grünem Wasserstoff als tragende Säule in einer Welt nach den fossilen Brennstoffen keinesfalls ausgemachte Sache ist. Die einfach anmutende Frage nach den möglichen Abnehmern beleuchtet eine ganze Reihe von Schwierigkeiten, die im globalen Diskurs über Klimawandel und Energiewende beim Thema „grüner Wasserstoff“ bislang wenig Beachtung finden. Technische Herausforderungen, vor allem solche, die Infrastruktur betreffend, kommen noch hinzu.