Lesezeit: 3 min
01.07.2023 09:02  Aktualisiert: 01.07.2023 09:02
Brandbomben, Schnellfeuergewehre und täglich neue Drohungen: Im Kosovo bahnt sich ein neuer Konflikt an. Was sind die geopolitischen Hintergründe und wie lässt sich ein neuer Flächenbrand auf dem Balkan verhindern?
Der Kosovo-Krieg und seine Stellvertreter
Bundeskanzler Olaf Scholz (re.) begrüßt Albin Kurti, den Ministerpräsidenten des Kosovo. (Foto: dpa)
Foto: Britta Pedersen

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Ein absurdes Bild bot sich der Weltöffentlichkeit vergangene Woche, als drei Polizisten aus dem Kosovo von serbischen Sicherheitskräften festgenommen wurden. Die Polizisten seien in serbisches Gebiet eingedrungen und hätten Schnellfeuergewehre und Sprengstoff in das Land geschmuggelt. Vonseiten des Kosovo hieß es wiederum, die Polizisten seien in ihrem Land von serbischen Kräften aufgegriffen und nach Serbien verschleppt worden.

Am 27. Juni wurden die Beamten entlassen, obwohl der serbische Präsident Vučić vorher angekündigt hatte, sie nicht auszuliefern. Schlagartig änderten sich die Anweisungen. Doch eine Entspannung zwischen den beiden ehemals jugoslawischen Teilrepubliken ist nicht in Sicht. Im Gegenteil.

Kosovo und Serbien in der Gewaltspirale

Sowohl in Serbien als auch im Kosovo häufen sich Berichte von Großdemonstrationen, Anschlägen und kleineren bewaffneten Auseinandersetzungen. Der Kosovo-Krieg und seine Folgen sind immer noch präsent in dem ehemals jugoslawischen Gebiet. Ein Zusammenstoß zwischen serbischen Demonstranten und der NATO-Schutztruppe, bei dem 80 Menschen mitunter schwer verletzt wurden, war ein weiterer Eskalationspunkt in dem schon lange schwelenden Konflikt.

Ein Grund für den drohenden Flächenbrand ist die Tatsache, dass von Kosovos Seite keine freien serbischen Gemeinden im Norden des Landes geduldet werden. Aus Sicht des gerade erst 2008 unabhängig gewordenen Landes mag das verständlich sein, denn solche Gemeinden würden eine Autonomie der größten Minderheit im Norden Kosovos bedeuten, die sich zudem noch an der Grenze zum Mutterland Serbien befände.

Das serbische Selbstverständnis und Kosovos Unabhängigkeit

Der Regierungsanspruch der Kosovaren wird aber von Serbien als Affront gewertet, die die Lokalwahlen im Norden des Landes boykottierten. Denn quasi gehörte der Kosovo zu Serbien, so jedenfalls das serbische Selbstverständnis. Im Kosovo stehen serbisch-orthodoxe Klöster, hier liegt das Amselfeld, auf dem sich die Geburt der serbischen Nation ereignete, und die serbische Vorherrschaft über die anderen Völker Jugoslawiens, darunter die vornehmlich albanischen Kosovaren, galt lange Zeit als gerechtfertigtes Ziel.

In den 80er-Jahren begannen sich infolge dieses ethnischen Konflikts serbische und albanische Gruppen zu bekämpfen, oft bleibt es seither bei überschaubaren Scharmützeln. Doch die Gefahr tödlicher Flächenbrände wie im Jahr 1996 ist in dieser Gemengelage immer gegeben. So forderten die USA und Frankreich Pristina auf, auf Weiteres keine kosovarischen Bürgermeister mehr im Norden des Landes einzusetzen. Unter westlicher Anweisung wurden bei der Konferenz von Rambouillet im Jahr 1999 Grenzverschiebungen zulasten Serbiens eingefordert, die bis heute als Raubfrieden betrachtet werden und entsprechend gefährliche Reaktionen der serbischen Bevölkerung nach sich ziehen.

Ein drohender Stellvertreterkrieg?

Seit 2008 ist der Kosovo ein eigenständiges Land, das aber unter der Schutzherrschaft des Westens steht. Im Falle Serbiens sind die Karten anders gemischt: Das Land pflegt enge Beziehungen zur Russland und mittlerweile auch China. Während sich Moskau als Patron der orthodoxen und slawischen Brudernation Serbien versteht, will China sein Seidenstraßenprojekt vor allem auch am Balkan ausbauen.

Nach Griechenland und Ungarn baut Peking hier sukzessive seinen Einfluss aus, wirbt mit großen Investitionen und langfristigen Angeboten. Moskaus Partnerschaft mit der konservativen SNS Partei Serbiens ist eher ideologischer, politischer Natur: Durch gezielte finanzielle Zuwendungen will das Großreich seinen Einfluss auf dem Balkan stärken. So vermutet Manuel Sarrazin, Sonderbeauftragter der Bundesregierung im Westbalkan, dass hinter den Unruhen in Nordkosovo russische Geld- und Ideengeber stehen.

Dem Westen mag dieser Trend unangenehm aufstoßen. Die Unruhen im ehemals jugoslawischen Raum werden erst dann ein Ende nehmen, wenn der schwelende Konflikt zwischen den Großmächten einigermaßen beigelegt wird. Die Serben schwanken noch zwischen Anwerbeversuchen aus Brüssel, Moskau und Peking. Doch ihnen kann man den Vorwurf nicht machen, sich nicht zu entscheiden. Vielmehr müsste der Westen von nun an stärkeres und ernsthaftes Engagement beweisen, um Serbien langfristig auf seine Seite zu ziehen. Wartet er zu lange oder engagiert er sich nur halbherzig, riskiert er das Entgleiten des Landes zum Osten, woraufhin unweigerlich die Destabilisierung der Region weiter vorangetrieben werden würde.

                                                                            ***

Virgil Zólyom, Jahrgang 1992, lebt in Meißen und arbeitet dort als freier Autor. Sein besonderes Interesse gilt geopolitischen Entwicklungen in Europa und Russland. Aber auch alltagsnahe Themen wie Existenzgründung, Sport und Weinbau fließen in seine Arbeit ein.


Mehr zum Thema:  

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Neue EU-Verpackungsverordnung bedroht Lieferketten: Fehlende Mehrweglösungen und rechtliche Unsicherheiten
13.09.2024

Die Transformation zu einer scheinbar grüneren Welt ist in vollem Gange. Eifrig werden Gesetze kreiert, die uns von Umweltsünden der...

DWN
Politik
Politik EU-Ministertreffen in Ungarn: Nur ein Drittel nimmt teil
13.09.2024

Wie sollte man auf die Provokationen von Ungarns Premierminister Viktor Orban reagieren? Die EU-Mitgliedsstaaten sind sich uneins. Nach...

DWN
Politik
Politik Etatberatung im Bundestag: Wohlfeile Ratschläge aus der Schweiz zur Sicherheitslage
13.09.2024

Die Schweizer "Neue Zürcher Zeitung" (NZZ) schreibt auf Deutsch - und zumeist Klartext. Manche Leser könnten glauben, es handelt es sich...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Nach Kritik: Bahn kassiert Pläne für höhere Schienenmaut
13.09.2024

Ab 2026 wollte die Deutsche Bahn die Trassenpreise deutlich erhöhen, im Nahverkehr um 23,5 Prozent, im Fern- und Güterverkehr ebenfalls...

DWN
Technologie
Technologie Neues KI-Modell von OpenAI für komplexe Aufgaben
13.09.2024

OpenAI, der Entwickler von ChatGPT, hat ein neues KI-Modell vorgestellt, das in der Lage ist, komplexere Aufgaben als frühere Chatbots zu...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Handelsregistergebühren sollen kräftig steigen – eine weitere teure Belastung für Unternehmen!
13.09.2024

Das Bundesjustizministerium will die Gebühren für den Handelsregistereintrag um 50 Prozent erhöhen. Ein besserer Kostendeckungsgrad soll...

DWN
Panorama
Panorama Bundesverfassungsgericht: Zustimmung zur geplanten Reform
13.09.2024

Ein breites Parteienbündnis setzt sich dafür ein, die Widerstandskraft des Bundesverfassungsgerichts zu stärken. Dies geschieht vor dem...

DWN
Finanzen
Finanzen Störung bei Kartenzahlungen: Leider kein Einzelfall - was wirklich passiert ist
13.09.2024

Über mehrere Stunden hinweg war das System für Kartenzahlungen in Deutschland betroffen, bevor am Donnerstag-Nachmittag Entwarnung...