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Multifaktor-ETFs: Besser als der MSCI World?

Lesezeit: 4 min
21.07.2023 11:41  Aktualisiert: 21.07.2023 11:41
Multifaktor-ETFs sind im Kommen. Langfristig sollen Überrenditen von bis zu 1,5 Prozentpunkten pro Jahr gegenüber dem breiten Markt drin sein. Ist das realistisch? 
Multifaktor-ETFs: Besser als der MSCI World?
Marktbreite ETFs auf Indizes wie den MSCI World rentierten in den vergangenen Dekaden sehr hoch – doch Multifaktor-ETFs sollen noch mehr Rendite einbringen. (Foto: iStock.com/Epiximages)
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Faktor-Investing wird zunehmend beliebter. Laut der „Invesco Global Factor Investing Study 2022“ hat sich die Zahl der Faktor-Investoren von 2018 bis 2022 nahezu verdoppelt. Befragt wurden 83 institutionelle Investoren und 68 Privatanleger, die zusammen etwa 25 Billionen US-Dollar verwalten.

Faktoren sind Eigenschaften von Wertpapieren, die das Risiko und die Rendite von Portfolios beeinflussen sollen. Mit am besten dokumentiert sind etwa Value (gering bewertete Unternehmen), Size (kleine Unternehmen), Momentum (Unternehmen mit steigendem Börsenwert) und Volatility (Aktien mit geringer Kursschwankung).

Untersucht man lange Daten über 100 Jahre und mehr, so rentierten diese Aktien im Schnitt mehrere Prozent pro Jahr höher. Etwa performten Aktien von kleinen Unternehmen weltweit zwischen 1900 und 2022 im Schnitt um 2,7 Prozent pro Jahr besser als Aktien von großen Unternehmen, wie aus dem „Credit Suisse Global Investment Returns Yearbook 2023“ hervorgeht.

Wissenschaft ist sich uneins

Faktor-Investoren halten daher auf lange Sicht Überrenditen von bis zu 1,5 Prozentpunkten pro Jahr für möglich. So viel soll ein Faktor-Portfolio besser rentieren als marktbreite ETFs auf Indizes wie den MSCI World.

Indes brachten Faktoren historisch gesehen teils mehrere Jahrzehnte lang keine Outperformance ein. Manche Anhänger raten daher zu sogenannten Multifaktor-ETFs. Diese kombinieren mehrere Faktorstrategien in einem ETF, um zu verhindern, dass eine einzige negative Faktorprämie die Performance unter den Marktschnitt zieht.

Wissenschaftler sind indes geteilter Meinung. Manche sind für Faktor-Investing und Multifaktor-ETFs, andere sind komplett dagegen. Etwa erklärt der Finanzprofessor Olaf Stotz gegenüber DWN, es mache Sinn, 20 Prozent des Portfolios in mehrere Faktoren zu investieren. Hieraus würden sich Renditechancen erwarten lassen.

Stotz nennt als Beispiel ein Portfolio aus einem marktbreiten Weltaktien-ETF und ETFs auf die Faktoren Quality, Size und Value. „Für den Faulen ist ein Multifaktor-ETF empfehlenswert, für den etwas Engagierteren würde ich einzelne Faktor-ETFs empfehlen.“

Auch der bekannte Vermögensberater Gerd Kommer spricht sich für Multifaktor-Investing aus, wobei Kommer Multifaktor-ETFs für besser erachtet als ein selbst zusammengebautes Portfolio aus einzelnen Faktor-ETFs. Wer mehrere Faktor-ETFs kombiniere, „holt zum Teil – indirekt und unabsichtlich – auch falsche, negative Prämien in sein Portfolio“, erklärt Kommer in einem Blogbeitrag.

Etwa seien in einem Small-Cap-ETF auch unweigerlich Growth-Unternehmen, was die Value-Prämie eines etwaigen Value-ETFs im Portfolio schmälern würde. Kommer hat kürzlich sogar einen Multifaktor-ETF lanciert, der die Strategien Momentum, Value, Size, Quality und Investment kombiniert (ISIN: IE0001UQQ933).

Stimmen gegen Multifaktor-ETFs

Andere Wissenschaftler lehnen Faktor-Investing indes komplett ab und sprechen sich für ein reines Weltportfolio auf Indizes wie den MSCI World oder den FTSE All-World aus – etwa Hartmut Walz und der Mannheimer Finanzprofessor Martin Weber.

Die Kombination von mehreren Faktoren bringe nichts, erklärte etwa Hartmut Walz gegenüber DWN. Mal sei der eine Faktor minimal positiv, mal der andere. Am Ende gelte aufgrund der erhöhten Kosten von Faktor-ETFs, dass außer Spesen nichts gewesen sei.

Der Finanzwissenschaftler Javier Estrada würde Privatanlegern ebenfalls nicht zu Multifaktor-ETFs raten. Es gebe mindestens zwei bessere Möglichkeiten, erklärt er auf DWN-Anfrage.

„Eine Möglichkeit für diejenigen, die ein deutliches Exposure in Faktoren wünschen, besteht darin, über Ein-Faktor-ETFs in diese Faktoren zu investieren, möglicherweise durch gleiche Gewichtung der relevanten ETFs“, schreibt er. „Eine andere Möglichkeit besteht darin, einfach sehr breit diversifizierte, sehr kostengünstige ETFs des breiten Marktes zu kaufen, idealerweise des globalen Aktienmarktes.“

Der Professor aus Barcelona hat in einer aktuellen Studie die Performance von 54 Multifaktor-ETFs untersucht, die mindestens drei Faktorstrategien miteinander kombinieren. Demnach war die Performance schwach. „Diese Produkte konnten die marktweiten, kapitalisierungsgewichteten Indizes – oder kostengünstige ETFs, die diese nachbilden –, in Bezug auf Rendite, risikobereinigte Rendite und Abwärtsschutz weitgehend nicht übertreffen“, schreibt Estrada in der Studie.

Laut den Ergebnissen erzielte der durchschnittliche Multifaktor-Fonds eine Rendite von 9,4 Prozent pro Jahr. Das waren 2,2 Prozentpunkte weniger als der jeweilige Vergleichsindex (11,6 Prozent).

Performance ist „größtenteils eine Enttäuschung“

Dieser Renditeunterschied könne „weder vollständig noch größtenteils“ durch die höheren Kosten der Multifaktor-ETFs erklärt werden, noch durch ein geringeres Risiko, berichtet Estrada. Die Kurse von Multifaktorfonds hätten nämlich mehr geschwankt als die Kurse der jeweiligen Vergleichsindizes wie des MSCI ACWI (Standardabweichung von 16,3 Prozent zu 15,7 Prozent).

„Die wenigen Multifaktor-Fonds, die die marktbreiten Benchmarks übertreffen, erreichen dies nur geringfügig, und die vielen anderen Fonds, die schlechter abschneiden, tun dies um eine viel größere Marge“, schreibt Estrada weiter. Weder teuere noch größere Multifaktorfonds hätten besser abgeschnitten. Einzig die älteren Fonds hätten signifikant bessere Performances eingefahren.

Der relativ kurze Beobachtungszeitraum von 2014 bis 2022 lasse noch kein endgültiges Urteil zu, fährt Estrada fort. Dennoch sei die Performance „größtenteils eine Enttäuschung“. „Sowohl Privatanleger als auch institutionelle Anleger dürften besser dran sein, vielleicht sogar weitaus besser, wenn sie den Aktienanteil ihrer Portfolios mithilfe allgemein verfügbarer, marktbreiter, kapitalisierungsgewichteter, kostengünstiger Indexfonds und ETFs diversifizieren.“

Gegenüber DWN führt Estrada die enttäuschende Performance auf zwei Ursachen zurück. Erstens seien Multifaktor-ETFs teuer im Vergleich zu Ein-Faktor-ETFs und besonders zu marktbreiten ETFs. „Ein weiterer Grund ist, dass Multifaktor-ETFs offenbar kein ,Geheimrezept’ haben, das im Laufe der Zeit ein optimales Engagement in jeden Faktor ermöglicht.“

Welche Multifaktor-ETFs gibt es in Deutschland?

Auch in Deutschland war die Performance von globalen Multifaktor-ETFs eher enttäuschend, wie eine DWN-Analyse nahelegt. Demnach sind aktuell vier globale Multifaktor-ETFs für Privatanleger zugelassen, die ein Fondsvermögen über 100 Millionen Euro aufweisen. Nur einer konnte den „SPDR MSCI ACWI IMI ETF“ (TER: 0,17%; ISIN: IE00B3YLTY66) eindeutig schlagen, der 99 Prozent der weltweiten Aktienmarktkapitalisierung abbildet.

Zwei der Multifaktor-ETFs, die älter als fünf Jahre sind, lagen hinter dem SPDR-ETF. Dabei handelt es sich um den „HSBC Multi-Factor Worldwide Equity“ (TER: 0,25%, Ausschütter, 485 Aktien, Faktoren: Value, Momentum, Quality, Size, Low Volatility; Fondsvermögen: 1066 Mio. Euro, ISIN: IE00BKZGB098) und den „iShares Edge MSCI World Multifactor“ (TER: 0,5%; Thesaurierer, 465 Aktien, Faktoren: Value, Momentum, Size und Quality; Fondsvermögen: 460 Mio. Euro; ISIN: IE00BZ0PKT83).

Beide ETFs rentierten auf Fünf-Jahressicht zum Monatsende Juni geringer als der marktbreite ETF (54,8 Prozent versus 53,6 Prozent beim HSBC-ETF und 41,1 Prozent beim ishares-ETF). Auch das Rendite-Risiko-Verhältnis war nicht besser (0,52 versus 0,52 beim HSBC-ETF und 0,38 beim ishares-ETF).

Bei den beiden anderen Multifaktor-ETFs, die jünger als fünf Jahre sind, waren die Ergebnisse durchmischt. Dabei handelt es sich um den „JPMorgan Global Equity Multi-Factor“ (TER: 0,2%; Thesaurierer; 517 Aktien; Faktoren: Value, Momentum und Quality; Fondsvermögen: 126 Mio. Euro; ISIN: IE00BJRCLL96) und den „Invesco Quantitative Strategies ESG Global Equity Multi-Factor“ (TER: 0,3%; Thesaurierer, 222 Aktien; Faktoren: Value, Momentum, Quality; Fondsvermögen: 109 Mio. Euro; ISIN: IE00BJQRDP39).

Der JPMorgan-Fonds war der einzige ETF, der den marktbreiten SPDR-ETF schlagen konnte. Vorne lag er auf Drei-Jahressicht bei der Rendite (45,1 versus 42,8 Prozent) und dem Rendite-Risiko-Verhältnis (0,86 versus 0,83). Beim Invesco-ETF war die Rendite leicht höher (43,7 Prozent), aber das Rendite-Risiko-Verhältnis schlechter (0,76).

                                                                            ***

Elias Huber arbeitet als freier Journalist in Frankfurt am Main und schreibt vor allem über Konjunktur, Edelmetalle und ETFs sowie die ökonomische Lehre der Österreichischen Schule. 

Jede Anlage am Kapitalmarkt ist mit Chancen und Risiken behaftet. Der Wert der genannten Aktien, ETFs oder Investmentfonds unterliegt auf dem Markt Schwankungen. Der Kurs der Anlagen kann steigen oder fallen. Im äußersten Fall kann es zu einem vollständigen Verlust des angelegten Betrages kommen. Mehr Informationen finden Sie in den jeweiligen Unterlagen und insbesondere in den Prospekten der Kapitalverwaltungsgesellschaften.

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