Es war ein Treffen der besonderen Art, das Anfang Juni in Kiew stattgefunden hat. Der Direktor der IA, William Burns, war unter größter Geheimhaltung in die Ukraine gereist. Seine Agenda: Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selensky und seinen engsten Militärberatern sowie den Leitern der ukrainischen Nachrichtendienste.
Die Strategie Kiews
Bei diesem Treffen, über das nun erstmals die Washington Post berichtet, soll Selensky seine weiteren Schritte gegenüber Burns dargelegt haben. Demnach sehe die ukrainische Strategie vor, zuerst die russischen Truppen von ihrem Nachschub von der Krim abzuschneiden und gleichzeitig möglichst viel von den Russen besetztes Territorium zurückzugewinnen, um dann mit Moskau in Friedensgespräche einzutreten. Russland sei nur dann zu Verhandlungen bereit, wenn es sich selbst bedroht fühle, habe ein Militärberater dem CIA-Direktor versichert.
Im Zentrum der ukrainischen Strategie stehe, so die Washington Post, die detailliert über die Geheimmission des CIA-Direktors berichtet, der Versuch, weitreichende Artillerie und Raketensystem so nahe wie möglich an die Grenze zur russisch besetzten Halbinsel Krim zu bringen, um so die durch die Krim führenden russischen Versorgungslinien zu bedrohen. Ein Abschneiden der russischen Truppen vom Nachschub aus der Krim wäre eine ernsthafte Bedrohung und würde die Verteidigung weiter Teile des besetzten Territoriums nachhaltig erschweren, wenn nicht sogar unmöglich machen. Gleichzeitig sei es zudem das Ziel des ukrainischen Generalstabes, auch weite Teile der östlichen Ukraine zurückzugewinnen. Sollte dies erreicht sein, sehe Kiew den Zeitpunkt für gekommen, um mit Moskau in Gespräche zu treten. Militäranalysten nennen die Pläne Kiews zwar „ambitioniert“, ihre Umsetzung sei aber „nicht unmöglich“.
Unterdessen hat der oberste ukrainische Militärkommandant, General Waleri Saluschni, erklärt, dass ihn die angeblich langsamen Fortschritte der Gegenoffensive nicht beunruhigen würden – man gehe systematisch und sorgsam vor. Tatsächlich wäre eine solche Vorgehensweise des Generalstabs in Kiew konsistent mit den vorangegangenen ukrainischen Offensiven. Auch zuvor hatten die Ukrainer stets besonderen Wert auf die Unterbrechung der russischen Nachschublinien gelegt, ehe sie zu größeren Operationen antraten. Dazu passt auch ins Bild, dass die Ukraine russische Kommunikations- und Kommandostrukturen ins Visier nehmen. So soll es jetzt der Ukraine gelungen sein, mit einem gezielten Raketenangriff den stellvertretenden Chef der südlichen Streitkräfte in der Ukraine, den russischen Generalleutnat Oleg Tskov, auf seinem Kommandoposten getötet zu haben. Inzwischen scheinen die ukrainischen Streitkräfte zumindest im Raum Bachmut beständig an Boden zu gewinnen.
Der Militär-Analyst Rob Lee vom Foreign Policy Research Institute, einem in Philadelphia beheimateten sicherheits- und geopolitischen Think Tank, hält es für durchaus möglich, dass es der Ukraine mittels der weitreichenden Raketensysteme vom Typ HIMARS gelingen könne, die russischen Verbände vom Nachschub aus der Krim abzuschneiden. Dies wäre der Moment, so der Analyst, in dem dann der Ukraine Durchbrüche gelingen könnten.
Suche nach einer Friedenslösung
Bei den Gesprächen, die CIA-Direktor Burns in Kiew geführt hatte, wurde der amerikanischen Seite deutlich, dass Selensky und seine führenden Berater bereits damit begonnen haben, sich konkret mit der Frage auseinanderzusetzen, wie eine Friedenslösung aussehen könne, die auch für Russland akzeptabel sei. Im Zentrum dieser Überlegung stehe, so der Bericht der Washington Post, die Krim-Frage. Im Idealfall, so die Überlegungen Kiews, würde die glaubhafte Drohung einer ukrainischen Rückeroberung der Halbinsel Moskau dazu bewegen, alle Sicherheitsgarantien zu akzeptieren, die der Westen der Ukraine gibt. Denn eine Preisgabe der Krim mit dem Hafen der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol wäre für Moskau ein militärisches wie auch ein politisches Desaster. Wie diese Garantien im Einzelnen des Westens jedoch aussehen sollen, sei aber noch nicht klar.
Der Gesprächskanal der Nachrichtendienste
Die Reise des CIA-Direktors nach Kiew hat noch vor der Rebellion der Wagner-Söldnergruppe unter ihrem Gründer und Kommandeur Jewgeni Prigoschin stattgefunden. US-Präsident Joe Biden hat mehrfach versichert, dass weder Washington noch Kiew irgendetwas mit der Rebellion der Wagner-Söldner zu tun gehabt hätten. Um diesem Dementi Nachdruck zu verleihen, wurde auch CIA-Direktor Burns eingeschaltet. Burns, der, bevor er Direktor der CIA wurde, US-Botschafter in Russland war, hat einen ganz besonderen Kanal nach Moskau: nämlich zu seinem direkten Counterpart, dem Chef des russischen Auslands-Nachrichtendienst SWR, Sergei Naryschkin. Dieser ist ein langjähriger Weggefährte von Wladimir Putin und stammt wie dieser aus Sankt Petersburg. Berichten zufolge soll Naryschkin in den 80er-Jahren zusammen mit Putin in einer Hochschule des KGB studiert haben. Später war Naryschkin Leiter der Präsidialverwaltung im Kreml, ehe er dann 2016 Chef des russischen Auslandsdienstes wurde.
Das Telefonat zwischen Naryschkin und Burns dürfte auch recht unkompliziert gewesen sein, Dolmetscher brauchen sie jedenfalls nicht. Naryschkin spricht fließend Englisch und Burns Russisch.