Mit einer zweitägigen mündlichen Verhandlung hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts damit begonnen, auf der Ebene des Bundestages die Berliner Chaoswahl vom 26. September 2021 aufzuarbeiten. Bei der Wahl in Berlin, bei der gleichzeitig die Abgeordneten für den Bundestag, das Berliner Abgeordnetenhauses und die Berliner Bezirksparlamente gewählt wurden, war so ziemlich alles schiefgelaufen, was nur schieflaufen konnte: Wahlzettel in den Kabinen fehlten – und wenn welche eilig nachgeliefert wurden, dann oft die falschen.
Vor den viel zu wenigen Wahlkabinen bildeten sich lange Schlangen, mit dem Ergebnis, dass auch nach 18 Uhr noch gewählt wurde, obwohl längst die Hochrechnungen bekannt waren. Der Bundesrichter und frühere saarländische Ministerpräsident Peter Müller bemerkte dazu trocken, dass man sich eine solche Situation wie in Berlin vor einigen Jahrzehnten in einem „diktatorischen Entwicklungsland“ hätte vorstellen können, aber nicht mitten in Deutschland. Schon zuvor hatte folglich das Berliner Landesverfassungsgericht die Wahl zum Abgeordnetenhaus für ungültig erklärt.
Die Sorgen der Linkspartei
Nun also muss das Bundesverfassungsgericht darüber befinden, welche Teile der Bundestagswahl in Berlin wiederholt werden müssen, denn es gilt als äußerst unwahrscheinlich, dass die Bundesrichter auf eine Wiederholung komplett verzichten. Das Bundesverfassungsgericht dürfte sich am Ende zwischen einer teilweisen oder einer kompletten Wiederholung in Berlin entscheiden. Dies wird allerdings bei der Linkspartei mit allergrößter Sorge gesehen, es geht um nicht weniger als um ihre parlamentarische Existenz.
Ihre Vertretung im Deutschen Bundestag verdankt die Linkspartei einer Sonderregelung. Diese Regelung besagt, dass eine Partei auch dann in den Bundestag zieht und den begehrten Fraktionsstatus erhält, wenn sie nicht die Fünf-Prozent-Hürde geschafft hat. Voraussetzung dafür ist, dass diese Partei mindestens drei Wahlkreise direkt gewonnen hat. Genau dies war bei der Wahl 2021 der Fall: Mit 4,9 Prozent scheiterte die Linkspartei zwar knapp an der Fünf-Prozent-Hürde, doch was ihre parlamentarische Existenz rettete, war der Gewinn von genau Direktmandaten: einem in Leipzig, zwei in Berlin.
Das Mandat in Lichtenberg
Direkt in Berlin haben das Urgestein der Partei, Gregor Gysy für Treptow-Köpenick, und die Lichtenbergerin Gesine Lötsch die Mandate geholt. Doch das Mandat in Lichtenberg wackelt bedrohlich. Lötzsch hatte das Mandat mit nicht einmal 8000 Stimmen Vorsprung gewonnen, bei insgesamt mehr als 290.000 Bürgern in Lichtenberg kein allzu komfortabler Vorsprung. Zudem lag die Linkspartei bei den Zweitstimmen hinter der SPD. Kein Wunder, dass die Linkspartei gerade dabei ist, ihre finanziellen Reserven zu mobilisieren, um die Ergebnisse in Berlin und besonders das in Lichtenberg bei einer möglichen Nachwahl zu verteidigen. Berichten zufolge rechnet die die Linkspartei bei einer teilweisen Wahlwiederholung mit Kosten in Höhe von 300.000 Euro, bei einer kompletten Wiederholung gar mit 800.000 Euro. Dass die Linkspartei keine Kosten scheut, ist nur zu verständlich – die Verteidigung des dritten Mandats ist für die Linkspartei geradezu eine Existenzfrage.
Verlöre die Parte dieses Mandat, wären die Folgen für die Partei unabsehbar: In diesem Falle hätte die Linkspartei nur noch zwei Abgeordnete – Gregor Gysi und den Leipziger Sören Pellmann. Alle anderen 37 Abgeordnete würden sofort ihr Mandat verlieren, darunter die gesamte Fraktions- und Parteispitze. Darüber hinaus müssten auch praktisch alle Mitarbeiter der Fraktion entlassen werden, da die Linkspartei die Zuschüsse verlöre, die einer Fraktion zustehen – und die sind erheblich: Jede Fraktion bekommt einen monatlichen Zuschuss in Höhe von 469.507 Euro.
Dazu kommt noch ein monatlicher Beitrag für jedes Mitglied der Fraktion in Höhe von 9801 Euro. Zudem erhalten die Oppositionsfraktionen einen sogenannten „Oppositionszuschlag“. Dieser Zuschlag umfasst 15 Prozent des Grundbetrages für eine Fraktion und zehn Prozent für jedes Mitglied. Mit dem „Oppositionszuschlag“ sollen die Fraktionen in die Lage versetzt werden, zusätzliches Personal anzuheuern, um der Regierung inhaltlich etwa auf Augenhöhe zu begegnen, da eine Regierung ja stets auf die Informationen in den Ministerien zurückgreifen kann.
Der Weg in die Bedeutungslosigkeit
Zudem verlören die beiden Abgeordneten das Recht, Große Anfragen zu stellen oder eine Aktuelle Stunde zu beantragen, zudem würde Ihre Redezeit im Plenum des Bundestages deutlich knapper ausfallen. Kurzum: Mit einem Schlag wäre die Rolle der Linkspartei in der Bundespolitik beendet und sie wäre kaum mehr als eine Regionalpartei.
Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die Parteiführung mit Bangen nach Karlsruhe zum Bundesverfassungsgericht blickt. Mit der Entscheidung des Gerichts wird im September gerechnet. Sollte die Linkspartei bei Nachwahlen ihr Mandat und damit den Fraktionsstatus verlieren, so könnte das ein Schlag sein, von dem sich die Partei, die seit geraumer Zeit bei Wahlen nur noch Niederlagen erleidet, nicht wieder erholen könnte.