Politik

Schuldspruch im Brüsseler Terrorprozess gesprochen

Dutzende Tote, mehrere Hundert Verletzte – die islamistischen Terroranschläge 2016 haben Brüssel und ganz Belgien tief ins Mark getroffen. Das ist auch beim Schuldspruch nach über sieben langen Jahren noch zu spüren.
26.07.2023 09:27
Lesezeit: 3 min
Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..
Schuldspruch im Brüsseler Terrorprozess gesprochen
Die Angeklagten sitzen in einem speziell entworfenen Glaskasten vor vermummten Sicherheitsbeamten während des Beginns des Prozesses um die Brüsseler Terroranschläge vom 22. März 2016. (Foto: dpa) Foto: Olivier Matthys

Die Anspannung aller ist förmlich zu spüren. Der Gerichtssaal in Brüssel ist am Dienstagabend prall gefüllt – Zuschauer, Journalisten, Opfer und Angehörige der islamistischen Anschläge von 2016 in der belgischen Hauptstadt warten gebannt auf die Entscheidung der Geschworenen. Nach stundenlangem Warten geht es dann ganz schnell. In rasendem Tempo liest die Präsidentin des Gerichts die lang erwarteten Schuldsprüche vor.

Sechs von zehn angeklagten Männern wurden demnach des terroristischen Mordes verurteilt. Das berichtete die belgische Nachrichtenagentur Belga. Zwei angeklagte Brüder wurden von allen Vorwürfen freigesprochen. In der Verhandlung, die sich bis in die Nacht zum Mittwoch zog, ging es zunächst nur um den Schuldspruch. Wie genau die Strafen aussehen, wird ab September entschieden.

35 Todesopfer bei Terroranschlägen

Bei den Terroranschlägen am Flughafen der belgischen Hauptstadt und in einer U-Bahn Station am 22. März 2016 starben 32 Menschen, 340 wurden verletzt. Auch für drei weitere Menschen, die nach den Anschlägen durch Krankheit oder Suizid starben, werden nach Entscheidung der Geschworenen die Angeklagten zur Rechenschaft gezogen. Die offizielle Zahl der Todesopfer erhöhte sich laut Belga damit auf 35.

Zusammen mit vermummten Sicherheitskräften saßen die Angeklagten am Dienstag in einem Glaskasten hinter ihren Verteidigern. Als es endlich los ging, wurde es mucksmäuschenstill im eher trostlosen Saal.

Wie Belga berichtete, sind sechs Angeklagte auch des versuchten terroristischen Mordes schuldig. Diese sechs und zwei weitere Angeklagte wurden der Beteiligung an Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung schuldig gesprochen. Ein Angeklagter fehlte jedoch vor Gericht: Es wird davon ausgegangen, dass er mittlerweile wohl in Syrien gestorben ist.

Für ihre 18-tägigen Beratungen war die Jury an einem unbekannten Ort untergebracht und von der Außenwelt völlig abgeschottet. Besonders zufrieden mit ihrem Urteil war Anwalt Michel Degrève, der einen der freigesprochenen Brüder vertrat. Man sei «sehr zufrieden» mit dem Ergebnis, sagte er. „Der Gerechtigkeit wurde Genüge getan.“

Salah Abdeslam: Der Drahtzieher

Der prominenteste Angeklagte war wohl Salah Abdeslam, der als Drahtzieher bei den Pariser Anschlägen gilt: Vor den Anschlägen in Brüssel hatten Extremisten bei einer Anschlagsserie am 13. November 2015 in der französischen Hauptstadt 130 Menschen getötet und 350 weitere verletzt. Die Anschläge in Paris und Brüssel wurden wohl von derselben Terrorzelle eingefädelt, daher standen von den in Paris Verurteilten auch sechs in Brüssel vor Gericht.

Abdeslam wurde nach Belga-Angaben in Brüssel wegen Beteiligung an Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung, terroristischen Mordes und versuchten terroristischen Mordes schuldig gesprochen – und das, obwohl er sich am Tag des Anschlags im Gefängnis befand.

Er wurde bereits im Prozess um die Anschläge in der französischen Hauptstadt zu lebenslanger Haft verurteilt und in einem separaten Verfahren zu 20 Jahren Gefängnis, weil er kurz vor seiner Festnahme in Brüssel 2016 auf Polizisten geschossen hatte.

Schuldig in allen drei Punkten wurde Belga zufolge auch der Angeklagte Mohamed Abrini gesprochen. Er sollte am Flughafen Zaventem eigentlich eine weitere Bombe zünden, flüchtete aber und wurde durch Überwachungsbilder als „Mann mit Hut“ bekannt. Auch er wurde bereits in Paris zu lebenslanger Haft verurteilt.

Mehr als 900 Nebenkläger

Das öffentliche Interesse am Prozess war riesig: Mit mehr als 900 Nebenklägerinnen und -klägern wurde er deshalb in den umgebauten Räumlichkeiten des früheren Nato-Hauptquartiers im Nordosten der Stadt geführt.

Begonnen hatte der Mammutprozess holprig und war über Wochen von juristischen Kleinkriegen geprägt. Wegen eines Streits über die Sicherheitsvorkehrungen musste etwa der ursprünglich für Mitte Oktober geplante Beginn um knapp zwei Monate verschoben werden.

Zwischendurch hatten die Angeklagten auch nicht am Prozess teilgenommen – aus Protest gegen ihre Transportbedingungen und die regelmäßigen Durchsuchungen, bei denen sie sich ausziehen mussten.

Opfer und Opferorganisationen hatten in den vergangenen Jahren immer wieder unzureichende und komplizierte Unterstützung des Staats beklagt. Die Anwältin Maryse Alié, die für die Organisation Life4Brussels (Leben für Brüssel) die Opfer vertritt, sagte in der Nacht zum Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur, es seien zwar teilweise Entscheidungen gefallen, die ein Berufsrichter anders getroffen hätte.

„Aber insgesamt begrüßen wir dieses Urteil, die Arbeit der Geschworenen, ihre Konzentration, ihre Entschlossenheit und ihre Hingabe. Von Anfang an war es eine gute Übung der Gerechtigkeit.“ Um das Strafmaß für die Verurteilten wird es ab September gehen. Dann werden die Geschworenen sich erneut beraten. (dpa)

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Stimmung hellt sich auf – Hoffnung für Autobranche und Chemie
16.09.2025

Nach langer Durststrecke gibt es wieder positive Signale für die deutsche Wirtschaft. Das ZEW-Konjunkturbarometer zeigt einen deutlichen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutsche Gasspeicher über Zielmarke von 70 Prozent hinaus gefüllt- Winter-Risiken bestehen
16.09.2025

Die deutschen Erdgasspeicher sind derzeit zu rund 75 Prozent gefüllt und haben damit das für den 1. November festgelegte Ziel von 70...

DWN
Politik
Politik Taiwan veröffentlicht neuen Zivilschutzleitfaden für möglichen China-Angriff
16.09.2025

Taiwan hat ein aktualisiertes Handbuch zum Zivilschutz vorgestellt, das die Bevölkerung auf einen möglichen militärischen Angriff Chinas...

DWN
Politik
Politik Nord-Stream-Anschläge: Italien erlaubt Auslieferung von Ukrainer nach Deutschland
16.09.2025

Drei Jahre nach den Explosionen an den Nord-Stream-Gaspipelines in der Ostsee rückt ein Gerichtsverfahren in Deutschland näher. Ein...

DWN
Finanzen
Finanzen EU-Kommission billigt deutsche Haushaltsstrategie trotz hoher Neuverschuldung
16.09.2025

Die Europäische Kommission hat den von der Bundesregierung geplanten Schuldenkurs bis 2031 gebilligt. Trotz geplanter Milliardenkredite...

DWN
Immobilien
Immobilien Mietrecht in Deutschland: Expertenkommission nimmt Arbeit auf
16.09.2025

Im Bundesjustizministerium hat eine neue Expertenkommission zum Mietrecht ihre Arbeit begonnen. Nach Angaben des Ministeriums soll das...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Unbekannte Superhelden: Ohne Finanzchefs droht Unternehmen der Stillstand
16.09.2025

Die Rolle der Finanzchefs verändert sich rasant: Statt nur Zahlen zu verwalten, gestalten sie die Strategie, treiben Digitalisierung und...

DWN
Politik
Politik Drohnenvorfall: Polen stoppt Flug über Regierungsgebäuden
16.09.2025

Ein Drohnenvorfall über Regierungsgebäuden in Warschau sorgt für Alarm. Polen nimmt zwei Weißrussen fest – und die NATO verstärkt...