Politik

„Eine Partei von Sahra Wagenknecht könnte ein zweistelliges Ergebnis erreichen“

Lesezeit: 3 min
04.09.2023 11:01  Aktualisiert: 04.09.2023 11:01
Der Meinungsforscher Hermann Binkert sieht gute Chancen für eine neue Partei rund um Sahra Wagenknecht. Bei der Europawahl im nächsten Jahr könnte sie nach seiner Meinung ein zweistelliges Ergebnis einfahren.
„Eine Partei von Sahra Wagenknecht könnte ein zweistelliges Ergebnis erreichen“
Potenzial für zweistelliges Ergebnis: Sahra Wagenknecht (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die Linkspartei befindet sich endgültig in einer lebensbedrohenden Zerreißprobe. Nachdem es Partei und Fraktion nicht gelungen ist, Nachfolgekandidaten für die zurückgetretenen Vorsitzenden der Bundestagsfraktion, Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali, zu finden und diese notgedrungen die Bundestagsfraktion weiterführen müssen, ist die Linkspartei nur noch eingeschränkt handlungsfähig. Gleichzeitig wird die Gründung einer neuen Partei rund um die Links-Parteirebellin Sahra Wagenknecht immer wahrscheinlicher. Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten sprachen mit dem Gründer und Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstitutes INSA, Hermann Binkert, über die Potenziale für eine neue Partei. Das 2009 in Erfurt gegründete Institut gilt als intimer Kenner der politischen Stimmung in Deutschland und insbesondere in den Neuen Ländern.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Sollte nun Sahra Wagenknecht eine neue Partei gründen, auf welche Stimmungslage würde diese neue Partei treffen?

Hermann Binkert: Die demoskopische Lage für die Gründung einer neuen Partei ist so günstig wie selten zuvor. Auf der einen Seite haben wir eine aus drei Parteien bestehende Regierung, deren Zustimmungswerte auf ein geradezu historisch niedriges Maß gesunken ist. Gleichzeitig aber ist es der Union aus CDU und CSU bisher nicht gelungen, nennenswert Kapital daraus zu schlagen, weil die Union immer noch ihren Weg in der Opposition sucht. Soll sie eher konstruktiv mit der Regierung zusammenarbeiten oder einen scharfen Oppositionskurs fahren. Insofern stieße eine neugegründete Partei in eine Lücke.

DWN: Wird diese Lücke denn nicht längst von AfD besetzt?

Binkert: Ja und nein. Natürlich gelingt es der AfD momentan ziemlich gut, den Protest zu bündeln. Trotzdem hat die Mehrheit der Wahlberechtigten Vorbehalte gegenüber der AfD. Wenn dann auch das personelle Angebot einer neuen Partei überzeugend ist, dürfte diese durchaus Chancen haben.

Die Popularität Wagenknechts

DWN: Gibt es dafür Anzeichen?

Binkert: Zumindest bei Sahra Wagenknecht. In unserem aktuellen Politikerranking schaffte sie es gerade auf den dritten Platz. Das ist ein sehr beachtlicher Wert, zumal sie selbst ja gar kein herausgehobenes Amt hat. Es wird dann aber darauf ankommen, wer darüber hinaus diese neue Partei repräsentiert.

DWN: Wo liegen die Potentiale für eine solche Partei, wie könnte der typische Wähler einer Sahra-Wagenknecht-Partei aussehen?

Binkert: Ich würde versuchen, mich diese Frage durch eine Negation zu nähern. Ich würde also die Frage stellen, wer würde am wenigsten eine solche Partei wählen? Das ist ganz klar, der typische Wähler der Grünen. Die potenziellen Wähler einer Wagenknecht-Partei sind von den Wählern der Grünen am weitesten entfernt – sowohl inhaltlich als auch kulturell. Das heißt natürlich im Gegenzug, die Grünen müssten von allen Parteien am wenigsten eine Abwanderung ihrer Wähler befürchten.

Potenziale einer neuen Partei

DWN: Und welche Partei würde am ehesten ihre Wähler verlieren?

Binkert: Den größten Zuspruch bekäme eine neue Wagenknecht-Partei aus dem Lager der Linkspartei und aus dem der AfD. Dabei bekäme sie aller Wahrscheinlichkeit nach mehr Stimmen von der AfD als von der Linkspartei, allein schon deshalb, weil das Reservoir der AfD größer ist. Trotzdem wären die Folgen für die Linkspartei ungleich dramatischer.

DWN: Inwiefern?

Binkert: Die Linkspartei würde endgültig in den westlichen Ländern von der politischen Landkarte verschwinden. Sie könnte sich unter Umständen in den Neuen Ländern halten, aber dann nur auf einem deutlich niedrigeren Niveau. Auf jeden Fall wäre sie dann eine schwache auf den Osten begrenzte Regionalpartei.

DWN: Wann könnte eine Sahra-Wagenknecht-Partei zu Wahlen antreten und welches Ergebnis könnte sie dann erreichen?

Binkert: Für Sahra Wagenknecht sprechen die bereits eingangs beschriebene allgemeine Stimmungslage in Deutschland wie auch der politische Terminplan.

Die Bedeutung der Europawahl

DWN: Letzteres müssen sie erklären.

Binkert: Eine Premiere bei der Europawahl im Juni nächsten Jahres hätte für eine solche Partei viel Sinn. Bei Europawahlen sind die Menschen eher bereit, etwas Neues zu wagen und ihren Unmut in der Wahlkabine auszudrücken. Sollte also Sahra Wagenknecht bei der Europawahl gut abschneiden, wäre dies eine ausgezeichnete Voraussetzung für die dann darauffolgenden drei Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Und ein Wahlerfolg dort wäre dann das ideale Sprungbrett für die Bundestagswahl im Herbst 2025.

DWN: Und was wäre das Potenzial für diese Partei bei den Europawahlen?

Binkert: Eine Partei von Sahrah Wagenknecht könnte bei der Europawahl ein zweistelliges Ergebnis erreichen.

DWN: Herr Binkert, die Deutschen Wirtschaftsnachrichten danken für das Gespräch.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Kostenloses Experten-Webinar: Die Zukunft der personalisierten Medizin aus der Cloud - und wie Sie davon profitieren

Eine individuelle Behandlung für jeden einzelnen Menschen - dieser Traum könnte nun Wirklichkeit werden. Bei der personalisierten Medizin...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Streik am Bau: Gewerkschaft kündigt Proteste in Niedersachsen an
10.05.2024

Die IG Bauen Agrar Umwelt hat angekündigt, dass die Streiks am Bau am kommenden Montag (13. Mai) zunächst in Niedersachsen starten...

DWN
Politik
Politik Selenskyj drängt auf EU-Beitrittsgespräche - Entwicklungen im Ukraine-Krieg im Überblick
10.05.2024

Trotz der anhaltenden Spannungen an der Frontlinie im Ukraine-Krieg bleibt Präsident Selenskyj optimistisch und setzt auf die...

DWN
Finanzen
Finanzen DAX-Rekordhoch: Deutscher Leitindex springt auf Allzeithoch über 18.800 Punkten
10.05.2024

Der DAX hat am Freitag zum Handelsstart mit einem Sprung über die Marke von 18.800 Punkten seinen Rekordlauf fortgesetzt. Was bedeutet das...

DWN
Politik
Politik Corona-Aufarbeitung: Spahn spricht sich für breite Analyse aus mit allen Blickwinkeln
10.05.2024

Im deutschen Parlament wird zunehmend eine umfassende Analyse der offiziellen Corona-Maßnahmen, einschließlich Masken und Impfnachweisen,...

DWN
Politik
Politik Pistorius in den USA: Deutschland bereit für seine Aufgaben
10.05.2024

Verteidigungsminister Boris Pistorius betont in Washington eine stärkere Rolle Deutschlands im transatlantischen Bündnis. Er sieht den...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Europäische Unternehmen sehen düstere Aussichten in China
10.05.2024

Die jährliche Geschäftsklimaumfrage der EU-Handelskammer in Peking zeigt, dass europäische Unternehmen ihre Wachstumschancen in China so...

DWN
Technologie
Technologie Lithium-Abbau in Deutschland: BGR-Forscher starten Tiefenförderung in der Lüneburger Heide
10.05.2024

Der Weg zu einer nachhaltigen Elektromobilität führt möglicherweise durch die Lüneburger Heide: Die Die Bundesanstalt für...

DWN
Finanzen
Finanzen Genomsequenzierung: Investieren in die personalisierte Medizin der Zukunft
09.05.2024

Genomsequenzierung, Gentherapie, personalisierte Medizin: Die Medizin- und Pharma-Industrie steht vor einem Wendepunkt. Gleichzeitig sind...