DWN: Herr Siebenkotten, würden Sie sagen, dass durchschnittliche Mittelschicht-Haushalte bereits an ihre Grenzen gestoßen sind, was die monatliche Netto-Miete betrifft? Wie groß ist Ihrer Meinung nach die Krise auf dem deutschen Mietmarkt?
Herr Siebenkotten: Man muss ganz klar sagen, dass das Wohnraum-Problem – ich spreche nicht von Wohnungsnot (wie nach dem zweiten Weltkrieg) aber von einer erheblichen Wohnungsknappheit – lange Zeit etwas war was eher nur Menschen mit „schmaleren Geldbeuteln“ betraf. Das hat sich in den letzten Jahren verändert: Die Probleme sind nicht nur größer geworden, sondern vor allem sind wir inzwischen mit ihnen in der Mittelschicht angekommen.
Es ist tatsächlich so, dass normale Doppelverdiener es heute häufig nicht schaffen, überhaupt eine Wohnung zu finden, oder nur zu Preisen, die sie sich nicht leisten können. Wenn man sich dann erstmal die alleinerziehenden Menschen vor Augen führt, die außerdem noch in Vollzeit arbeiten müssen, weil sie sonst finanziell gar nicht durchkommen … damit kommt man zu dem zweiten wichtigen Punkt: Deutschland ist ein Flickenteppich.
Wir haben eine Reihe von Gebieten, in denen es inzwischen wohnungspolitisch wirklich knallt, aber auch andere, wo es kein großes Problem ist, eine Wohnung zu finden. Diese sind in erster Linie im Osten, aber nicht nur. Es sind meistens Gebiete, die ein bisschen weiter weg von der nächsten Metropole liegen, während die Problem-Gebiete natürlich die Großstädte sowie die Universitätsstädte sind. Wichtig ist: Wir haben kein reines Ost-Problem, sondern einen gesamtdeutschen Flickenteppich.
DWN: Worauf müssen Mieter sich einstellen? Wie hoch wird dieses Jahr Ihrer Einschätzung nach die durchschnittliche Brutto-Kaltmiete in bestehenden Immobilien steigen im Vergleich zum letzten Jahr?
Herr Siebenkotten: Ich gehe davon aus, dass in den nächsten Jahren die meisten Vermieter, das, was sie legal nehmen dürfen auch nehmen werden. Bei der Frage, um wieviel werden sich die Mieten erhöhen, kann man sich nur den rechtlichen Rahmen anschauen: In einem Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt, das vom jeweiligen Bundesland auch so definiert ist, darf in drei Jahren die Kaltmiete um nicht mehr als 15 Prozent erhöht werden.
Wir, der DMB, halten das in der jetzigen Markt-Situation für deutlich zu viel und haben deswegen im Vorfeld der Bundestagswahlen den Parteien versucht klarzumachen, dass 15 Prozent viele Mieterinnen und Mieter überfordern werden. Im Koalitionsvertrag hat man sich dann auf 11 Prozent verständigt. Das wäre zwar ein kleiner Fortschritt, aber reicht nicht. Wir sind der Meinung, dass man über eine Reihe von Jahren, zum Beispiel sechs Jahre, weit unterhalb bleiben sollte - zum Beispiel nur ein Prozent pro Jahr. Parallel müsste sich im Wohnungsbau erhebliches tun.
Nach sechs Jahren würde man dann Bilanz ziehen und bei erheblichen Fortschritten beim Bau bezahlbarer Wohnungen könnte man dieses Instrument möglicherweise auch dann wieder zurücknehmen. Wir sind dafür, dass man diesen rechtlichen Rahmen temporär als Begleitinstrument zu einer Wohnungsbau-Offensive braucht, bis diese von Erfolg gekrönt ist.
DWN: Es gibt einige Vermieter, die die Mieten mehr erhöhen als erlaubt. Wie wird das kontrolliert?
Herr Siebenkotten: Ja, leider wird das gar nicht kontrolliert. Das Problem ist, wir haben es mit dem Zivilrecht zu tun: Das heißt, zwei Parteien schließen miteinander einen Vertrag, der eine vermietet, der andere mietet. Wenn keiner den Vertrag überprüft, dann wird zum Beispiel eine überhöhte Miete genommen und auch bezahlt. Da kommen wir dann direkt zu der sogenannten Mietpreisbremse.
Die Mietpreisbremse betrifft nicht das laufende Mietverhältnis (wie oben erklärt), sondern die Neu- oder Wiedervermietung. Es wird also ein neuer Mietvertrag abgeschlossen und hier gibt es eine Regel, an deren Einführung wir, der Deutsche Mieterbund, damals kräftig mitgewirkt haben. Das Gesetz sagt, dass ich, wenn ich neu vermiete, mit der Kaltmiete nicht mehr als 10 Prozent über der sogenannten ortsüblichen Vergleichsmiete liegen darf.
Wenn ich als Vermieter bei meiner Neuvermietung diese Vergleichsmiete um mehr als 10 Prozent übersteige, dann verstoße ich gegen die Mietpreisbremse. Mieter können also bei Neu- oder Wiedervermietungen rechtlich gegen einen Vermieter vorgehen, der gegen die Mietpreisbremse verstoßen hat, obwohl viele Mieter es nicht tun. Wir empfehlen im Übrigen, dass man sich als Mieter erst melden sollte, wenn der Mietvertrag schon abgeschlossen ist, weil es einen riesigen Mangel an Mietwohnungen gibt, und der Vermieter – der gegen das Gesetz verstoßen hat – sonst einfach den nächsten Interessenten nehmen würde.
DWN: Zu dem Gebäudeenergiegesetz: Was sollte die Bundesregierung jetzt unmittelbar tun, um Mieter vor gestiegenen Energiekosten und den bevorstehenden Sanierungs-Wellen, in Verbindung mit dem Gesetz, zu schützen? Die Sanierungskosten kommen auf den Vermieter zu aber werden zum Teil auf die Mieter übertragen. Stimmt das?
Herr Siebenkotten: Das Gesetz zeichnet sich so ab: Die handelnde Person ist ausschließlich der Vermieter/Eigentümer. Nach deutschem Recht ist der Eigentümer zuständig für seine Immobilie und der Mieter hat kein Mitspracherecht. Der Vermieter könnte sich zum Beispiel für eine Kombination aus Photovoltaik und Wärmepumpe für seine energetische Sanierung oder für ein System, das mit Wasserstoff läuft, entscheiden.
Es geht mietrechtlich um eine Modernisierung. Im Gesetz gibt es das schon seit einiger Zeit und die energetische Sanierung fällt unter diesen Modernisierungs-Begriff. Das bedeutet, der Vermieter muss die Sanierung durchführen, kann aber, nachdem er die Investition getätigt hat, die dafür aufgewandten Kosten an den Mieter weiterreichen - und zwar nach derzeitigem Recht acht Prozent der auf die Wohnung entfallenden Sanierungskosten pro Jahr.
Wir sagen ganz klar, das ist viel zu viel und sollte auf allerhöchstens vier Prozent begrenzt sein. Man muss ja davon ausgehen, dass die laufenden Energiekosten ausschließlich und komplett vom Mieter getragen werden. Beim Strom hat der Mieter meistens einen direkten Vertrag und wenn erhöhte Kosten auftreten, trägt das allein der Mieter. Deshalb sagen wir: Natürlich muss die Sanierung her, aber das, was der Mieter bezahlen sollte, muss deutlich weniger sein. Wenn der Mieter 10 oder 11 Jahre lang weiter mietet, dann hat der Eigentümer seine Kosten nach derzeitiger Rechtslage komplett vom Mieter ersetzt bekommen und muss im Ergebnis keinerlei eigenen Anteil tragen.
Das Problem der energetischen Sanierung ist sowieso nur zu lösen, wenn genügend staatliche Förderung erfolgt. Deutlich mehr Mittel müssen zur Verfügung gestellt werden weil sonst die Sanierung nicht stattfinden wird. In dem Sinne ist ein sogenannter "Speed- Bonus“, ein Geschwindigkeits-Bonus, eine sehr gute Idee: Wer schneller fertig wird mit seiner Sanierung, bekommt zum Beispiel nochmal 20 Prozent an staatlichen Förderungen - allerdings erstmal nur als selbstnutzender Eigentümer.
DWN: Was sind jetzt die dringendsten Lösungen für die aktuelle Krise auf dem deutschen Mietmarkt?
Herr Siebenkotten: Der Staat muss den Wohnungsbau ankurbeln, am besten mit einem doppelten oder dreifachen finanziellen Wums, um es in der Sprache des Bundeskanzlers zu sagen. Wir brauchen dringend einen solchen heftigen Wums. Der Staat muss jede Menge Geld in die Hand nehmen um Investitionen im Wohnungsbau anzustoßen und das würde natürlich auch der deutschen Wirtschaft helfen. Vor allen Dingen ist es jetzt wichtig, mehr Wohnraum zu schaffen.
Zweitens muss man natürlich auch dafür sorgen, dass dieser Wohnraum bezahlbar ist, indem das, was vom Staat gefördert wird, an bestimmte Bedingungen gebunden ist. Wir als Mieterbund sagen, wir brauchen jetzt unbedingt ein Sondervermögen für den Wohnungsbau, das ist von elementarer Bedeutung.
Es gibt natürlich das Problem der Schuldenbremse aber es gibt auch viele Ökonomen, die sagen, es muss jetzt richtig Geld in die Wirtschaft gepumpt werden um damit auch weiterhin Investitionen anzukurbeln. Das wichtigste ist: Mit voller Wucht in den Wohnungsbau zu investieren und somit auch der Bauindustrie aus der Krise helfen. Zweitens muss unbedingt sichergestellt werden, dass die neuen Wohnungen auch bezahlbar sind und bezahlbar bleiben.
DWN: Herr Siebenkotten, vielen Dank für das Interview!
Zur Person: Lukas Siebenkotten ist deutscher Jurist und war seit dem 1. September 2008 Direktor des Deutschen Mieterbundes (DMB). Im Juni 2019 wurde er zum Präsidenten des Verbands gewählt. Seit 2008 ist er Geschäftsführer des DMB-Verlags, seit 2009 Mitglied des Vorstands der DMB-Rechtsschutzversicherung AG und seit 2017 Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung Warentest. Von 1995 bis 1999 war Siebenkotten Bürgermeister der Stadt Willich.