Die jüngsten Entwicklungen in Deutschland zeichnen ein besorgniserregendes Bild: Im Juli 2023 verzeichnete das Statistische Bundesamt einen alarmierenden Anstieg von 23,8 % bei den Regelinsolvenzen im Vergleich zum Vorjahr. Diese Zahlen machen deutlich: Das Insolvenzrisiko für deutsche Unternehmer steigt rapide an und betrifft selbst scheinbar gut geführte Unternehmen.
Doch gibt es eine Chance, gestärkt aus einer solchen Krise hervorzugehen? Neben einem klassischen Regelinsolvenzverfahren stehen Geschäftsführung, Vorständen oder Gesellschaftern verschiedene gerichtliche Sanierungsinstrumente zur Verfügung, um das Unternehmen wieder zukunfts- und wettbewerbsfähig zu machen.
Die Autonomie in der Insolvenz
Entgegen der weit verbreiteten Meinung bedeutet Insolvenz nicht zwangsläufig das Ende der unternehmerischen Selbstbestimmung. Tatsächlich behalten Geschäftsführer oft gewisse Handlungsspielräume. Das Verfahren der Insolvenz in Eigenverwaltung, auch als Eigenverwaltungsverfahren (§ 270b Insolvenzordnung) bekannt, bietet Unternehmen unter den richtigen Bedingungen die Möglichkeit, ihren Betrieb aufrechtzuerhalten und eigenverantwortlich ihre Sanierung voranzutreiben.
Ein wesentlicher Vorteil liegt darin, dass die unternehmerische Verantwortung bei der Geschäftsführung verbleibt. Diese steuert die Sanierung eigenständig („Eigenverwaltung“) und führt den Betrieb fort. Das Gericht stellt dem Unternehmen einen Sachwalter zur Seite, der die Sanierung überwacht, vergleichbar mit einem Aufsichtsrat.
Sanierungsexperte Prof. Dr. Lucas Flöther, der auch während des großen AirBerlin-Insolvenzverfahrens beratend tätig war, unterstreicht gegenüber dem Deutschlandfunk die Vorteile: „Dieses Instrument ermöglicht strauchelnden Unternehmen, aktiv und eigenverantwortlich durch ein Sanierungsverfahren zu navigieren." Es bietet die Möglichkeit, Vermögenswerte zu erhalten, Schulden neu zu strukturieren und den Betrieb ohne Zerschlagungsgefahr nahtlos weiterzuführen.
Das Forum 270, eine Vereinigung von Experten für Unternehmensrestrukturierung, bestätigt die Beliebtheit dieses Verfahrens. Etwa die Hälfte der 50 größten Unternehmensinsolvenzen in Deutschland wurde in Eigenverwaltung durchgeführt. Auch das Modelabel Lala Berlin hat Insolvenz in Eigenverwaltung beantragt und sucht nach einem strategischen Partner, um das Unternehmen zu sanieren. Währenddessen wird der Geschäftsbetrieb wie gewohnt fortgeführt, einschließlich des Online-Verkaufs und des Warenvertriebs.
Sanierung vor der Pleite
In einem sorgfältig geplanten Eigenverwaltungsverfahren wird eine Art "Schutzmantel" über das Unternehmen gespannt. Dies ermöglicht es den Verantwortlichen, gemeinsam mit erfahrenen Sanierungsexperten die notwendigen Schritte zur Wiederherstellung der Unternehmensgesundheit zu planen und umzusetzen.
Eine spezielle Form der Eigenverwaltung ist das Schutzschirmverfahren (§ 270d Insolvenzordnung). Anders als bei der herkömmlichen Eigenverwaltung ist das Unternehmen bei Antragstellung nicht zwingend zahlungsunfähig. Allerdings muss innerhalb von höchstens drei Monaten ein Sanierungsplan erstellt werden, der als Grundlage für die Restrukturierung des Unternehmens dient. Ein Pluspunkt im Vergleich zur Eigenverwaltung: Das Unternehmen kann dem Gericht einen Sachwalter vorschlagen.
Diese Option eignet sich, wenn ein Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten gerät, noch solvent ist und die angestrebte Sanierung nicht von vornherein aussichtslos erscheint. Dabei behält die Geschäftsführung die Kontrolle über das Unternehmen, arbeitet eng mit dem vorläufigen Sachwalter zusammen und versucht, das Unternehmen wieder auf Kurs zu bringen.
Die Durchführung solcher Sanierungsverfahren wurde vor genau einem Jahrzehnt durch das „Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen" (ESUG) ermöglicht. Damals hatte die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) die Vision, das negative Image von Unternehmensinsolvenzen zu verbessern und stattdessen den Weg für eine „Kultur der zweiten Chance" zu ebnen.
Professionellen Sanierungsexperten
In den meisten Fällen werden Geschäftsführer, Vorstände oder Gesellschafter zum ersten Mal mit Eigenverwaltung oder Schutzschirmverfahren konfrontiert. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass das Verfahren von einem erfahrenen Sanierungsexperten unterstützt wird.
Dieser Experte stellt sicher, dass sämtliche gesetzlichen Vorschriften eingehalten und der Sanierungsprozess zügig umgesetzt wird. Er fungiert als Hauptansprechpartner für das Gericht, den Sachwalter und den Gläubigerausschuss und wird oft als CRO (Chief Restructuring Officer), Sanierungsgeschäftsführer oder CIO (Chief Insolvency Officer) bezeichnet.
In jedem Fall muss eine erfolgreiche Eigenverwaltung oder ein Schutzschirmverfahren gründlich vorbereitet werden. Dies beinhaltet die Finanzierungsplanung des Verfahrens, die Erstellung eines Restrukturierungskonzepts sowie die Kommunikation mit den beteiligten Stakeholdern wie Finanzierern, Kunden und Lieferanten. Es ist auch entscheidend, den laufenden Geschäftsbetrieb entsprechend vorzubereiten und eine detaillierte Eigenverwaltungsplanung auszuarbeiten. Bei einem Schutzschirmverfahren ist zusätzlich die Erstellung einer speziellen Bescheinigung erforderlich.
Schließlich ist das Einreichen des Insolvenzantrags und des Antrags auf Anordnung der Eigenverwaltung sowie die Abstimmung mit dem Gericht wesentliche Schritte, um einen reibungslosen Verlauf des Verfahrens sicherzustellen. Wenn Unternehmen diese Herausforderungen bewältigen, können sie gestärkt aus der Insolvenz hervorgehen.
Der optimale Zeitpunkt
Ein zu spätes Eingeständnis der Insolvenz kann zusätzliche finanzielle Schäden verursachen und die Chancen auf eine erfolgreiche Sanierung schmälern. Die Schulden könnten sich weiter anhäufen, Lieferanten bleiben auf unbezahlten Rechnungen sitzen und die Aussichten für eine gelungene Sanierung verschlechtern sich. Auf der anderen Seite kann ein zu früher Insolvenzantrag das Unternehmen unnötig in Bedrängnis bringen und seinen Ruf beeinträchtigen.
In Deutschland schreibt die Insolvenzordnung (§ 15a InsO) vor, dass ein Insolvenzantrag unverzüglich gestellt werden muss, sobald Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung festgestellt werden. Dies erfordert eine sorgfältige Überwachung der finanziellen Situation und eine ehrliche Einschätzung der Zukunftsaussichten. Oftmals kann die Zusammenarbeit mit erfahrenen Insolvenzberatern und Wirtschaftsprüfern entscheidend sein, um den besten Zeitpunkt für einen Insolvenzantrag zu ermitteln.
Falls Maßnahmen wie die Eigenverwaltung und das Schutzschirmverfahren nicht den erhofften Erfolg bringen, wechselt das Verfahren normalerweise zum Regelinsolvenzverfahren. Hierbei erfolgt die Verwaltung nicht mehr in Eigenregie, sondern unter der Aufsicht eines Insolvenzverwalters oder Treuhänders, der die Interessen der Gläubiger vertritt und die Liquidation des Unternehmens überwacht. Der Nachteil von Insolvenzregelverfahren besteht darin, dass sie oft zum Verlust der Unternehmenskontrolle und zur Zerschlagung des Betriebs führen.