Politik

Kleidervorschrift: Eine Gesetzesanpassung soll die „Gefühle Chinas“ schützen

Ein neues, geplantes Gesetz ist Xi Jinpings jüngster Versuch, das Volk und die Parteigenossen auf Spur zu bringen. Es enthält Verbote für Kleidungsmerkmale, die die Würde Chinas belasten könnten.
22.10.2023 12:18
Aktualisiert: 22.10.2023 12:18
Lesezeit: 4 min

Seit der Corona-Pandemie geht ein Ruck durch China. Ein Propagandaruck, der die Menschen wieder stärker an die Ideologie der Parteiführung binden möchte. Denn der Ausbruch des Virus in Wuhan hat auch unter der Bevölkerung zeitweise im Land für größeren Unmut gesorgt. Nicht nur die Vertuschungsversuche beim Ausbruch und die Sanktionierung des Arztes, der das Virus publik gemacht hatte, hinterließ damals in weiten Teilen der Bevölkerung Verunsicherung und vor allem in den sozialen Medien viele kritische Kommentare. Auch danach während des Lockdowns gab es viele Proteste. Alsbald und noch während der Pandemie sah man in den öffentlichen Bussen in Peking Monitore mit Propagandavideos rauf und runter laufen, die zur Vorsicht mahnten, interessanterweise auch vor aus dem Ausland importierten Lebensmitteln wie Fisch oder Fleisch. Darüber hinaus ein Video, dass täglich lief: Es zeigte Menschenmassen am Platz des Himmlischen Friendens, alle mit einer roten patriotischen Flagge schwingend in der Hand. Gemeinsam sangen sie eine Hymne und den Refrain auf chinesisch „Ich liebe China“.

Staatliches Mitspracherecht bei der Kleiderordnung?

Es bröckelt in China an vielen Stellen. Die Wirtschaft im eigenen Land läuft alles andere als rund. Die Beziehungen zu vielen ausländischen Staaten sind feindlich oder problematisch. Nach Säuberungsaktionen in der Führungsriege, die in der vergangenen Zeit zum Verschwinden einiger ranghöchster Minister geführt haben und der Verschärfung des Spionagegesetzes im Sommer dieses Jahres, geht es nun weiter. Es scheint, als ob Chinas Führung mit aller Macht versuche, das Volk an die selbst ernannten ideologischen Werte erinnern zu wollen. Nicht jedem sind diese recht. Das strenge Regiment im asiatischen Land, indem Konformismus über Individualität steht, ist dabei eines der letzten Volksventile zu verschließen: Die Freiheit bei der Kleidungswahl. Nicht dass es nicht auch hier in Bereichen wie Schule oder anderen öffentlichen Institutionen bereits klare Vorschriften gegeben hätte. Dennoch war im privaten Bereich bisher die Kleidung, eine der wenigen Möglichkeiten seiner Individualität noch Ausdruck zu verleihen. Das nutzte bisher vor allem die jüngere Generation, die in mancherlei Hinsicht gewagtere Outfits trägt als im Westen. Doch auch dieser Spaß soll ihnen nun genommen werden, Kleidung als Grundlage der Kultur darf nicht mehr als Freischein für gelebte Individualität und Kritik stehen, wenn sie „die Gefühle Chinas“ verletzt.

Freiheit bei der Jugend drückt sich im Kleidungstil aus

Besonders die Jugend nutzt ihren Kleidungstil als Ausdruck ihrer momentanen mentalen Verfassung. Ein Schlagwort, das China im Jahr 2022 im Sturm erobert hat lautet übersetzt so viel wie "verrotten lassen" und toppt bereits die weit verbreitete zynische Version von "flachlegen“, was so viel bedeutet wie gar nichts tun. Die Sprüche etablierten sich in den letzten besonders herausfordernden Jahren, die durch das langsame Wirtschaftswachstum, die Jugendarbeitslosigkeit und die ständigen Lockdowns während der Pandemie gekennzeichnet waren. Statt Hektik war nun bei der chinesischen Jugend der "Goblin-Modus" angesagt. Der von Oxford zum Wort des Jahres gewählte Ausdruck "goblin mode" beschreibt eine Art von Verhalten, das unverblümt, selbstsüchtig, faul, schlampig oder gierig ist in einer Weise, die soziale Normen oder Erwartungen ablehnt. Dies drückt sich in einem (modisch) ungepflegtem Äußeren aus. Gruppenweise rückt die chinesische Jugend vom Mainstream ab. Abgrenzung um jeden Preis steht bei ihnen im Vordergrund. Die Gruppe der sogenannten „yabi“ wächst. Es ist ein zusammengesetztes Wort aus ya, was "sub" wie in Subkultur bedeutet, und bi, einem abwertenden Begriff in einer Reihe von chinesischen Schimpfwörtern, wie „shabi“, was so viel wie Idiot bedeutet. Doch nun könnte die Demokratisierung ihres Modeempfindens empfindlich getroffen werden.

Die Gefühle des Volkes dürfen nicht verletzt werden

Geplant ist die Änderung eines bereits bestehenden Gesetzes. Dabei könnte das Tragen von "Kleidung oder Symbolen in der Öffentlichkeit, die dem Geist des chinesischen Volkes abträglich sind und die Gefühle des chinesischen Volkes verletzen" in Zukunft zu Geldstrafen von bis zu 680 Dollar oder 15 Tagen Polizeigewahrsam führen. In den Rechtsvorschriften ist nicht festgelegt, was als Straftat gilt. Der Revisionsentwurf wurde am 28. August von Chinas oberstem Gesetzgeber beraten und veröffentlicht. Die Bevölkerung konnte bis zum 30. September Stellungnahmen abgeben, bevor das Gesetzgebungsverfahren fortgesetzt wurde. Rechtsexperten und Beobachter drängen bereits auf Klärung der Definition, um selektive Strafverfolgung, Machtmissbrauch, Populismus oder extremen Nationalismus vorzubeugen.

Wo fängt die Verletzung nationaler Gefühle an und wo hört sie auf? Gilt künftig das Tragen eines japanischen Kimonos des ehemaligen Gegners Japan bereits als eine Verletzung und wenn ja, müsste dann auch das Gesetz auf den Verzehr japanischer Speisen oder das Anschauen japanischer Serien ausgeweitet werden? Solche Gedanken stellte der chinesische Rechts- und Politikwissenschaftler Zhao Hong zum Diskurs in die Öffentlichkeit. Andere Rechtsexperten sagten, es sei nicht praktikabel, eine Stelle zu autorisieren, die feststellen könne, ob das Gefühl verletzt sei. Wer soll dies sein? Ordnungshüter wie die Polizei? Wo wäre die Grenze zu ziehen zwischen persönlicher und öffentlicher Verletztheit? Entscheidet ein Ordnungshüter als befugte Person persönlich, so könnte die Grenze mal strenger, mal lascher ausfallen, je nachdem, was er persönlich über die Auslegung als Verletzung interpretiert. Es wäre ein Akt der Willkür. Denn die Grenze zur Verteidigung der chinesischen nationalen Würde und Gefühle ist bei jedem woanders. Je nachdem, welche persönlichen Ansprüche man damit verknüpft. Statt Sicherheit würde diese Gesetzeserweiterung, für mehr Unruhen und Spaltung im Land sorgen. Auch die persönliche Kreativität, die sich bisher durch das Tragen ausgefallender oder provokanter Kleidung noch zeigen durfte und die in anderen Lebensbereichen bereits stark eingeschränkt ist, würde ein Stück weit mehr durch die Vorschrift unerwünscht bleiben.

Die Marschrichtung gibt die Partei vor

Wie die BBC berichtet, wurde im März dieses Jahres eine Frau von der Polizei festgenommen, die auf einem Nachtmarkt eine Nachbildung einer japanischen Militäruniform trug. Im August wurden Menschen, die Kleidung mit Regenbogenmuster trugen, der Zutritt zu einem Konzert der taiwanesischen Sängerin Chang Hui-Mei in Peking verweigert.

Kontrolle über alles und jeden, dass scheint die Maxime und das oberste Gebot im Riesenreich zu sein. Im Jahr 2019 hat die Kommunistische Partei Chinas eine Empfehlungsschrift herausgegeben, mit Tipps zum Thema Benehmen in der Öffentlichkeit, Reisen mit einem geringeren CO2-Fußabdruck und moralische Sätze zur Stärkung des "Vertrauens" in Herrn Xi und die Partei. Sowohl im Innenverhältnis mit dem Volk als auch im Außenverhältnis mit dem Ausland erfolgen Maßnahmen, die darauf abzielen Chinas politische Leitlinien nicht in Frage zu stellen.

Das Gesetz über die Immunität ausländischer Staaten, das im Januar 2024 in Kraft treten soll, wird Ausländern den Schutz der Immunität verweigern, wenn ihre kommerziellen Aktivitäten eine "direkte Auswirkung auf das chinesische Hoheitsgebiet" haben. Das Gesetz über die patriotische Erziehung und ein neues Sicherheitsgesetz für Hongkong stehen als nächstes an. Der Würgegriff der chinesischen Führung ist deutlich zu spüren und zeigt auf, was es vom eigenen Volk und vom Ausland erwartet. Erst 2020 schrieb die junge Chinesin Eva Zhong auf dem Online-Kanal „Dear Asian Youth“ über die Freiheit sich in China zu kleiden: „Denken Sie daran, dass die Art, die Länge oder das Design des Stoffes an Ihrem Körper niemanden außer Ihnen etwas angeht.“ Dies könnte bald nicht mehr zutreffen.

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Sofia Delgado

                                                                            ***

Sofia Delgado ist freie Journalistin und arbeitet seit 2021 in Stuttgart, nachdem sie viereinhalb Jahre lang in Peking gelebt hat. Sie widmet sich gesellschaftskritischen Themen und schreibt für verschiedene Auftraggeber. Persönlich priorisiert sie die Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit, als dringendste Herausforderung für die Menschheit.

 

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