Ende Juni hatte der chinesische Außenminister Qin Gang seinen letzten öffentlichen Termin in Peking. Danach wurde er nicht mehr gesehen. Mit ihm wurden eine Reihe von zivilen und militärischen Führungspersönlichkeiten der Kommunistischen Partei Chinas abgesetzt oder vorübergehend suspendiert. In den chinesischen sozialen Medien geht das Gerücht um, Qin sei wegen einer Affäre mit der Hongkonger Moderatorin Fu Xiaotian von der Parteiführung abgesetzt worden. Er wurde durch seinen Vorgänger Wang Yi wieder ersetzt. Peking setzt ein deutliches Zeichen mit diesem Vorgehen, dass chinesische Beamte nicht nur jederzeit verschwinden können, sondern dass die Regierung auch so tun wird, als hätte es sie nie gegeben.
Doch auch Wang Yi ist mittlerweile bei der chinesischen Führung in Ungnade gefallen und glänzte bereits nach einer kurzen Amtszeit durch Abwesenheit. Was war passiert? Während des BRICS-Gipfels im August in Johannesburg war es zu einem Vorfall gekommen, der die chinesische Staatsführung Xi Xingping einen Augenblick lang in eine ratlose Situation versetzte. Auf den öffentlichen Videos sieht man, wie das Staatsoberhaupt durch eine Tür schreitet, während eine Person, die offenbar zu seiner Delegation gehörte, von Sicherheitskräften aufgehalten wird, nachdem sie versucht ebenfalls schnell durch die Tür zu schreiten. Dieser Zwischenfall soll nun dafür gesorgt haben, dass der aktuell Außenminister Wang Yi dafür zur Verantwortung gezogen wurde. Nach Aussage der chinesischen Kritikerin, die durch ihren Kanal „Lei’s real talk“ bekannt ist, wurde er dafür umgehend aufgefordert, ein öffentliches Schuldeingeständnis zu verfassen. Darin soll er die Schuld an dem Fauxpas auf sich genommen haben, so dass das Gesicht der Führung gewahrt bleiben konnte. Erst nach einem öffentlichen Akt der Rehabilitierung soll der Außenminister wieder würdig sein, seines offiziellen Amtes nachzugehen. Zuletzt sah man ihn auf der internationalen Bühne, Hände schüttelnd mit Jack Sullivan, US- Sicherheitsberater, in Malta.
Absolute Loyalität ist oberste Doktrin der Kommunistischen Parteiführung
Die chinesische Parteiführung ist nicht zimperlich, wenn es darum geht in Ungnade gefallene Top-Manager zu bestrafen. So wurden in der Vergangenheit zwei Ex-Minister zu Todesstrafen auf Bewährung und vier weitere Spitzenbeamte, die angeblich einer „politischen Clique“ angehörten, wegen Korruption und Machtmissbrauch zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Dem ehemaligen Vizeminister für öffentliche Sicherheit, Sun Lijun, wurde damals vorgeworfen, eine „politische Clique“ anzuführen und Präsident Xi Jinping gegenüber illoyal zu sein. Die Beschuldigungen lauteten Bestechung, Manipulation des Aktienmarktes und illegaler Waffenbesitz. Er wurde zu einer Todesstrafe auf Bewährung verurteilt, gleichzeitig wurden ihm die politischen Rechte auf Lebenszeit entzogen und sein gesamtes persönliches Vermögen beschlagnahmt. Die Posten in den Reihen neben Xi Jinping sind begehrt, bergen aber auch hohe Risiken in sich. Wer nicht spurt und hundert Prozent auf Linie ist, der muss mit dem Schlimmsten rechnen. Im Rahmen der Anti- Korruptionskampagne, die der mittlerweile 70-jährige Xi nach seinem Amtsantritt im Jahr 2012 begonnen hatte, wurden über eine Million Beamte bestraft, darunter Dutzende hochrangiger Militärs. Das regelmäßige Verschwinden von ranghohen Persönlichkeiten sind als politisches Signal zu werten, dass die Loyalität gegenüber der Kommunistischen Parteiführung über alles steht.
Li Shangfu, Chinas Verteidigungsminister, der ebenfalls nur wenige Monate sein Amt kleiden durfte, gilt erst seit einigen Wochen als verschwunden. Er sei angeblich in ein Korruptionsskandal verwickelt und stünde unter Hausarrest. Laut anderer Quellen, die der ZDF zitiert, soll er von seinen Pflichten als Minister entbunden worden sein.
Sowohl Qin als auch Verteidigungsminister Li wurden von Xi Jinping ernannt und galten als vertrauenswürdige Xi-Loyalisten. Das Misstrauen in seine engsten Verbündeten bleibt. In letzter Zeit fiel Xi durch ungewöhnliche Aktionen auf.
Anfang des Monats ließ er das G20-Treffen in Neu-Delhi ausfallen, und letzten Monat fand eine geplante Rede von ihm vor einem wichtigen Wirtschaftsforum während des BRICS-Gipfels in Südafrika nicht statt. Er schickte Vizepräsident Han Zheng zur Generalversammlung der Vereinten Nationen, und seine Teilnahme am APEC-Treffen der Staats- und Regierungschefs im November in San Francisco ist noch unbestätigt.
Korruption und Misstrauen in den obersten Reihen der Militärspitze
Erst kürzlich folgte eine Säuberung an der Spitze von Chinas Raketenstreitkräften, die das schnell wachsende Atomwaffenarsenal des Landes überwachen. Dazu gehört auch der angebliche Selbstmord von Wu Guohua, stellvertretender Kommandeur der Rakententruppe im Juli dieses Jahres. Drei Monate zuvor verstarb der Generalleutnant Wang Shaojun, ehemaliger Leiter des Zentralen Sicherheitsbüros. Laut „South China Morningpost“ wurde der Tod des Generalleutnants mit einer unerklärlichen Verzögerung von drei Monaten bekannt gegeben. Die Todesursache bleibt unbekannt. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass um diese Zeit die Journalistin Fu Xiaotian und angebliche Geliebte von Qin Gang aus der Öffentlichkeit verschwand, die Ermittlungen gegen die Spitze der Raketenstreitkräfte bekannt wurden und der Tod von Wang Shaojun erfolgte.
Durch die Ernennung Ende Juli eines neuen Kommandeurs für die Raketentruppe erkennt Xi indirekt auch die Probleme innerhalb der Truppe an.
Xi Jinping hat gerade keine leichte Aufgabe seine Landsleute und seine Führungsriege von seinen Fähigkeiten zu überzeugen, sein Land in den Wohlstand zu führen und seinen nationalistischen Traum, den Grossmachtstatus Chinas bis 2049 wiederherzustellen. Die Konflikte um die Übernahme Taiwans brodeln und könnten schon bald eskalieren. Dass ausgerechnet im Militärbereich die Säuberung erfolgt, könnte darauf schließen lassen, dass nicht alle Verantwortlichen politisch loyal hinter der Planung und Vorbereitung eines möglichen Angriffs auf Taiwan stehen. Dies bleibt jedoch Spekulation.
China wird zunehmend zum Problemkind der Welt
Die Beziehungen zwischen den USA und China sind seit einiger Zeit auf einem Tiefpunkt. Zuletzt kündigte Biden an, bestimmte US-Investitionen in Zukunftsbereiche wie Halbleiter und Künstliche Intelligenz in China einzuschränken. Generell sind verschlechternde Beziehungen zwischen China und vielen westlichen Ländern zu beobachten. Auch Deutschland hat seine China-Strategie neu ausgerichtet. Ziel ist es künftig, die Werte und Interessen in der komplexen Beziehung zu China besser zu verwirklichen. Dazu gehört aktuell unter anderem auch die genaue Überprüfung durch das Bundeswirtschaftsministerium in zwölf Fällen in Bezug auf eine geplante Beteiligung chinesischer Investoren an deutschen Unternehmen. Aber auch die Entscheidung, dass die staatseigene KfW-Bank ab dem kommenden Jahr keine Kredite mehr an China vergibt, zeugt von einem raueren Wind.
Italien plant derweil den Ausstieg aus dem gemeinsamen Seidenstraßenprojekt mit China. Immer wieder fallen die Begriffe „decoupling“ und „derisking“ im europäischen Kontext mit China. Innerhalb des eigenen Landes ist eine Verlangsamung der Wirtschaft zu beobachten, die durch eine schwache Inlandsnachfrage nach der Corona-Pandemie und einer Immobilienkrise gekennzeichnet ist. Dazu eine alternde Bevölkerung und eine hohe Jugendarbeitslosigkeit. Dies führt zu fraglichen Maßnahmen, die den Glauben an die Partei und Staatsführung quasi erzwingen wollen. Für viele Mitarbeiter in nichtstaatlichen Unternehmen seien Lernveranstaltungen und die Lektüre über
„Xi-Jinping-Gedanken“ offenbar laut Business Insider mittlerweile zur Pflicht geworden. Erst im Frühjahr wurden die Mitarbeiter der Finanzunternehmen Franklin Templeton und Blackrock verpflichtet, an einer Vorlesung über das Festhalten an der Parteiführung in der Branche teilzunehmen, berichtet Bloomberg.