Für alle drei Parteien, die in Berlin die Bundesregierung bilden, ist der Ausgang der Doppelwahl von Bayern und Hessen alarmierend. Geradezu verheerend ist das Ergebnis für die SPD. In Bayern rutschten die Genossen auf geradezu blamable 8,4 Prozent. Und in Hessen, das über Jahrzehnte ein Stammland der SPD war und die Wiesbadener Staatskanzlei fast wie ein Erbhof von Genosse zu Genosse weitergereicht wurde, schmierte die SPD auf gerade 15,1 Prozent ab. Nicht einmal einen einzigen Wahlkreis konnte die SPD in Hessen gewinnen. Im Vergleich zur vorangegangenen Wahl hat die SPD in Hessen insgesamt 105.000 Stimmen verloren, allein 73.000 an die CDU und 24.000 an die AfD.
Ratlose Ampel
Kaum besser verlief der Abend für den Regierungspartner FDP. In Bayern landeten die Liberalen bei drei Prozent und in Hessen rettete sich die Partei gerade noch so mit genau fünf Prozent in den Wiesbadener Landtag. Auch die Grünen, die einst angetreten waren, neue Volkspartei zu sein, haben an diesem Wahlsonntag deutlich Federn lassen müssen. In Bayern landeten sie mit 14,4 Prozent auf den vierten Platz und in Hessen, wo sie mit dem durchaus anerkannten Vize-Ministerpräsidenten und Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir antrat und sich sogar Hoffnungen machte, die Staatskanzlei zu erobern, reichte es mit 14,8 Prozent auch nur zum vierten Platz.
Ratlosigkeit herrschte bei den Spitzenvertretern der Ampelparteien am Tag danach, als sie zu den Beratungen zusammenkamen, um die Ergebnisse des Sonntags zu analysieren. Die Grünenchefin Ricarda Lang gab der FDP öffentlich den Rat, ihr Verhalten zu überdenken. Sie würde „der FDP nicht empfehlen, jetzt einfach immer mehr vom selben noch mal zu machen“. Damit meinte Lang die Versuche der FDP, ihr Profil innerhalb der Koalition zu schärfen.
Das Ultimatum der FDP
Doch genau an diesem Punkt ist die FDP jetzt – wenn nicht sogar schon einen Schritt weiter. Am Wahlabend sagte der Generalsekretär Bijan Djir-Sarai einen Satz, der in seiner ganzen Tragweite nur als Ultimatum an die Partner von SPD und Grünen verstanden werden kann. „Wir müssen in der Koalition zu Wirtschaft und zum Mega-Thema Migration Lösungen finden“, sagte Djir-Sarai, um dann wörtlich hinzuzufügen: „Dazu werden wir uns zusammensetzen und analysieren, welches gemeinsame Verständnis oder ob wir überhaupt ein gemeinsames Verständnis entwickeln können.“ Im Klartext heißt das nichts anderes: Sollte man zu den Fragen Wirtschaft und Migration nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommen, ist diese Koalition beendet. Auch der Energie-Experte der FDP, Frank Schäffler, hat der Ampel-Regierung die Schuld für die Pleiten seiner Partei bei den Wahlen zugeschoben: „Die Ampel hängt wie ein Mühlstein um unseren Hals und zieht uns in den Abgrund.“ In einer Stellungnahme sagte FDP-Parteichef und Vizekanzler Christian Lindner, dass nun die Zeit für eine Bestandsaufnahme gekommen sei: „Insgesamt muss man feststellen, dass die Koalition den Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger nicht entspricht.“ Dies gelte vor allem für die Bereiche Wirtschaft, Migration und Energiepolitik. Eine erste Gelegenheit für eine kritische Bestandsaufnahme könne der seit längerem geplante Koalitionsausschuss am 20. Oktober sein.
Mit diesen Äußerungen macht sowohl der Generalsekretär als auch der Parteivorsitzende deutlich, dass die FDP bewusst jene Themen in der Koalition kritisch zur Sprache bringen will, die Herzensanliegen der Grünen sind. Dabei dürfte der FDP-Spitze klar sein, dass sie damit auf eine Konfrontation mit den Grünen zusteuert. An der Formulierung dieser Strategie wird die FDP-Spitze wohl schon länger gearbeitet haben, denn das Debakel der Wahlen kam für die FDP-Spitze keinesfalls überraschend. Dass man den Wiedereinzug in den bayrischen Landtag wohl nicht schaffen würde, war schon lange zuvor antizipiert worden, doch in den Tagen vor der Wahl wurde klar, dass auch in ihrem Stammland Hessen die FDP gefährlich schwächelte. Nicht ohne Grund hatte die FDP-Bundesgeschäftsstelle die Party zum Wahlabend in der Parteizentrale abgesagt.
Das Urteil der Meinungsforscher
Tatsächlich scheint einiges für die Analyse der FDP zu sprechen. Der Meinungsforscher Manfred Güllner sieht das Ergebnis als einen Ausdruck für die wachsende Entfremdung zwischen der Regierung und ihren Parteien einerseits und der arbeitenden Bevölkerung andererseits. Die Regierungsparteien hätten sich, so der Meinungsforscher, aus der „gesellschaftlichen und politischen Mitte der Gesellschaft entfernt“. Es werde den Ampelparteien sehr schwerfallen, bis zu den nächsten Landtagswahlen im nächsten Jahr Vertrauen zurückzugewinnen.
Noch pointierter formuliert es der Meinungsforscher Hermann Binkert im Gespräch mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten (DWN): „Das Thema Migration war das entscheidende Thema bei den Wahlen am Sonntag.“ Das Abschneiden der AfD, die in Bayern auf 14,6 und in Hessen gar auf 18,4 Prozent gekommen ist, sieht er als ein Beweis dafür, dass diese Partei inzwischen auch in den westlichen Flächenländern fest etabliert sei. Gleichzeitig sieht Binkert für die Ampelkoalition kaum noch eine Zukunft. In den demoskopischen Untersuchungen haben die Parteien der Ampel insgesamt 15 Prozentpunkte gegenüber ihren Ergebnissen bei der Bundestagswahl verloren: „Die Ampel ist praktisch am Ende.“
Auch in der Kanzlerpartei SPD wächst die Unruhe spürbar. Noch am Wahlabend hatte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert gesagt, dass die „allgemeine Stimmungslage den Menschen aufs Gemüt drückt und dass mehr Orientierung erforderlich ist." Diese Aussage haben nicht wenige in der SPD als kaum verhüllte Aufforderung an den Kanzler verstanden, seinen Regierungsstil zu überdenken, denn es sei offensichtlich, dass diese Orientierung nicht zuletzt auch und vor allem vom Bundeskanzler kommen müsse. Inzwischen gilt es in der SPD flügelübergreifend als ausgemacht, dass Scholz dringend seine Kommunikation verbessern muss. Die SPD, das ist inzwischen unter den Genossen ziemlich einhellige Meinung, müsse in der Regierung sichtbarer werden. Lediglich eine Schiedsrichterrolle bei dem Dauerstreit zwischen Grüne und FDP einzunehmen, reiche auf Dauer nicht aus.
Mit Bangen sehen nun die Regierungsparteien der Europawahl am 9. Juni und vor allem den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen im Herbst entgegen. Schon seit Wochen liegt in diesen Ländern die AfD in den Umfragen vorn. Sollte es also den Ampelparteien bis dahin nicht gelingen, auf den Gebieten Wirtschaft und vor allem Migration zu überzeugenden Lösungen zu kommen, droht ihnen wohl an den Wahlurnen ein einziges Strafgericht.