Wirtschaft

Auswirkungen des Ukraine-Konfliktes auf die deutsche Wirtschaft

In der deutschen Wirtschaft herrscht Alarmstimmung: Die Auswirkungen des Ukraine-Konflikts und die darauffolgenden Sanktionen haben zu einer ernsthaften Krise geführt. Das einstige Wirtschaftswachstum bricht ein, während die Inflationsrate bedenklich ansteigt. Unternehmen bewerten ihre gegenwärtige Lage als unterdurchschnittlich. Gibt es Hoffnung auf Besserung oder müssen wir uns auf einen weiteren Anstieg von Firmeninsolvenzen einstellen?
13.10.2023 11:53
Aktualisiert: 13.10.2023 11:53
Lesezeit: 4 min
Auswirkungen des Ukraine-Konfliktes auf die deutsche Wirtschaft
Bundeskanzler Olaf Scholz (l, SPD) und Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, kommen am Rande des Gipfeltreffens der EPG für ein Gespräch zusammen. (Foto: dpa) Foto: Kay Nietfeld

Eine aktuelle Gemeinschaftsdiagnose führender Wirtschaftsinstitute geht davon aus, dass die deutsche Wirtschaft im Jahr 2023 um 0,6 Prozent schrumpfen wird. Dieser drastische Abfall im Vergleich zu den Prognosen der Bundesregierung, die ein leichtes Wachstum erwartet hatte, verdeutlicht, dass Deutschland die wirtschaftlichen Herausforderungen des Ukraine-Konflikts bisher nicht erfolgreich bewältigen konnte.

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) fiel im Vergleich zum Vorjahr im ersten Quartal 2023 um 0,2-Prozent und preis- sowie kalenderbereinigt sogar um 0,5-Prozent. Obwohl das BIP im zweiten Quartal 2023 nicht weiter gesunken ist, zeigt es, dass die deutsche Wirtschaftsleistung stagniert.

Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), bringt die bedrohliche Situation auf den Punkt: „Die deutsche Wirtschaft steht vor einer Zäsur. Der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen gegen Russland haben die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland stark beeinträchtigt (…)“.

Unsicherheiten über den Verlauf des Krieges

Die Inflation in Deutschland erreichte in den letzten Monaten ein beispielloses Hoch. Im August 2023 betrug die von Statistischen Bundesamt ermittelte Inflationsrate 6,1-Prozent, den höchsten Wert seit Beginn des Ukraine-Konflikts. Die meisten Wirtschaftsinstitute fürchten, dass die Inflation in den kommenden Monaten weiter steigen könnte, obwohl die vorläufigen Zahlen für September mit 4,5-Prozent etwas positiver ausfallen.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat ihre Prognose für die Inflationsrate in der Eurozone für 2023 auf 5,6- Prozent und für 2024 auf 3,2-Prozent festgelegt. Christine Lagarde, Präsidentin der EZB, dazu: „Die Inflation im Euroraum ist auf ein Rekordhoch gestiegen und wird sich in den nächsten Monaten weiter erhöhen. Wir werden unsere Geldpolitik straffen, um die Inflation zu bekämpfen.“

Die anhaltenden Risiken und die Unsicherheit über den weiteren Verlauf des Krieges und dessen Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben erhebliche Konsequenzen. Deutsche Unternehmen bewerten ihre aktuelle Geschäftslage im Vergleich zum langjährigen Durchschnitt als unterdurchschnittlich, wie eine Konjunkturumfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) ergab. Sie sind verunsichert, wie sich der Krieg auf ihre Geschäfte auswirken wird und ob sie ihre zukünftigen Investitionen sichern können. Viele Firmen sind gezwungen, ihre Produktion zu drosseln oder sogar vorübergehend einzustellen, was zu Umsatzeinbußen und Arbeitsplatzverlusten führt.

Insgesamt blicken Unternehmer pessimistisch auf die kommenden Monate und erwarten, dass sich die wirtschaftliche Durststrecke verlängert. Wie das ifo-Institut feststellte, verschlechtert sich die Stimmung in deutschen Chefetagen zunehmend. Der ifo-Geschäftsklimaindex fiel zum vierten Mal in Folge, von 87,4 Punkten im Juli auf 85,7 Punkte im aktuellen Stand - der niedrigste Wert seit August 2020.

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) erläuterte: „Der Geschäftsklimaindex zeigt, dass sich die deutsche Wirtschaft in einer schwierigen Phase befindet. Die hohen Energiepreise und die Inflation belasten die Unternehmen und Verbraucher stark."

Aussichten für Wirtschaft getrübt

Auch bei Verbrauchern macht sich die Unsicherheit bemerkbar und sie zeigen Zurückhaltung. Die aktuellen Umfragen zur Verbraucherstimmung in Deutschland bestätigen die angespannte Situation: Im September 2023 erreichte der Konsumklima-Index einen Wert von -25,6 Punkten und die Prognose für den Monat Oktober deutet auf eine weitere Verschlechterung hin. Diese Entwicklungen spiegeln sich in verschiedenen Aspekten wider, darunter die Einkommensaussichten, die Konjunkturerwartungen und die Bereitschaft der Verbraucher, größere Anschaffungen zu tätigen.

Neben der Inflation werden die hohen Energiepreise als Hauptgründe für den Konsumrückgang genannt. Da Russland ein wichtiger Energielieferant für Deutschland ist, belasten die steigenden Energiekosten nicht nur Unternehmen, die höhere Produktionskosten haben, sondern auch die Verbraucher. Sie müssen mehr für Energiequellen wie Gas, Öl und Strom aufwenden, was ihre Kaufkraft verringert.

Zudem haben sich die Lieferkettenprobleme, die bereits seit Beginn der Corona-Pandemie bestanden, durch den Ukraine-Konflikt verschärft. Es kommt zu Engpässen bei wichtigen Vorprodukten und Rohstoffen, da Russland und die Ukraine bedeutende Produzenten dieser Güter sind. Diese Engpässe wiederum führen zu Produktionsausfällen bei Unternehmen und einem Rückgang des Angebots auf dem Markt. Insgesamt gaben 77-Prozent der Unternehmen in Deutschland an, von Lieferkettenproblemen betroffen zu sein, wobei die Industrie besonders stark betroffen ist, da sie auf Importe aus vielen Ländern angewiesen ist.

Diese Schwierigkeiten haben bereits begonnen, die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland zu beeinträchtigen und leider wird in absehbarer Zukunft keine Besserung erwartet. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte prognostiziert, dass Deutschland im Vergleich zu anderen führenden Industriestandorten weiter an Attraktivität verlieren wird

Insolvenzwelle und Branchenkrise

Im Vergleich zu den Jahren vor der Ukraine-Krise zeigen auch die Unternehmensinsolvenzen in Deutschland einen deutlichen Anstieg. Im Jahr 2023 wurden bereits 13.993 Unternehmensinsolvenzen gemeldet. Im August stieg die Anzahl der beantragten Regelinsolvenzen im Vergleich zum Vorjahresmonat um 13,8-Prozent an, im Juli wurde sogar ein Anstieg von 23,8-Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum verzeichnet.

Stefan Kooths, der Chefvolkswirt des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), kommentierte diese Entwicklung treffend: „Die Insolvenzzahlen sind ein Spiegelbild der wirtschaftlichen Lage in Deutschland. Die Unternehmen sind unter Druck und viele werden nicht überleben.“

Einige Branchen sind stärker von den Auswirkungen des Krieges betroffen: Die Automobilindustrie leidet besonders unter den hohen Energiepreisen und den Lieferkettenproblemen. Besonders hart trifft es kleine Zulieferer, da Unterbrechungen in den Lieferketten für wichtige Komponenten wie Halbleiter zu Produktionsausfällen geführt haben. Ein symbolträchtiges Beispiel hierfür ist der Zulieferer des Mercedes-Sterns, das Unternehmen BIA aus Forst bei Bruchsal.

Auch die Baubranche schwächelt: Gestiegene Kosten für Baumaterialien senken die Nachfrage am Immobilienmarkt, was zu Pleiten bei namenhaften Projektentwicklern geführt hat - darunter Centrum, Euroboden, die Gerchgroup und Development Partners. Der Einzelhandel leidet ebenfalls unter der Inflation. Prominente Beispiele für Firmenpleiten in dieser Branche sind die Supermarktkette Real, der Modehändler Peek & Cloppenburg und der Schuhhändler Reno.

Insgesamt steht die deutsche Wirtschaft vor erheblichen Herausforderungen. Auch wenn es noch zu früh ist, um sicher vorherzusagen, wie sich die Situation entwickeln wird, zeigen die aktuellen Indikatoren, dass zumindest kurzfristig keine Besserung in Sicht ist. Die Wirtschaft wird weiterhin mit den Auswirkungen des Ukraine-Konflikts und den globalen Unsicherheiten kämpfen müssen und es wird Zeit brauchen, bis sie sich wieder auf einen stabilen Wachstumspfad begibt.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Geldanlage: Mit einem Fondsdepot mehr aus dem eigenen Geld machen

Wer vor zehn Jahren 50.000 Euro in den Weltaktienindex investiert hat, kann sich heute über mehr als 250.000 Euro freuen! Mit der...

DWN
Panorama
Panorama Elf Tote in Schweden: Was ist passiert?
05.02.2025

Nach einer Schießerei an einer Erwachsenenbildungseinrichtung in Schweden bleiben viele Fragen offen. Mindestens elf Menschen starben,...

DWN
Politik
Politik Grönland wählt am 11. März - und verbietet ausländische Spenden an Politik
05.02.2025

Aus Angst vor Wahlmanipulation und angesichts geopolitischer Begehrlichkeiten greift Grönland durch: Ausländische und anonyme Spenden an...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft US-Strafzölle: Wie die deutsche Wirtschaftsleistung massiv bedroht wird
05.02.2025

US-Strafzölle auf Importe aus Kanada, Mexiko und China könnten gravierende Folgen für die deutsche Wirtschaft haben. Experten des...

DWN
Panorama
Panorama Russischer Geheimdienst hinter Auto-Sabotagen vermutet
05.02.2025

Eine Serie von Sabotageakten gegen Autos sorgt für Unruhe in Deutschland. Die Polizei vermutet dahinter einen russischen Geheimdienst, der...

DWN
Technologie
Technologie Shein und Temu im Visier der EU-Kommission
05.02.2025

Die EU-Kommission will gegen den massenhaften Import billiger Produkte von Plattformen wie Shein und Temu vorgehen. Im Fokus stehen...

DWN
Politik
Politik Mehrheit bei Migrationsvotum durch AfD: Für mehr als die Hälfte der Deutschen kein Problem
05.02.2025

Bei den Demonstrationen gegen Merz und die AfD war viel Empörung zu spüren. Doch diese Proteste spiegeln nur die Meinung einer – wenn...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Rüstungskonzern KNDS übernimmt Alstom-Werk in Görlitz und sichert Arbeitsplätze
05.02.2025

Der Rüstungskonzern KNDS übernimmt das Alstom-Werk in Görlitz. In einer feierlichen Zeremonie unterzeichneten die Unternehmen eine...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Investments 2025: „Gold ist der beste Maßstab für den Wert von Bitcoin, den wir haben“
05.02.2025

Bitcoin-ETFs, politische Entscheidungen und die Goldkorrelation bestimmen die Spielregeln für Bitcoin 2025. Was das für Anleger bedeutet,...