Die letzten zwei Jahre der Pandemie haben ihre Spuren bei den Menschen hinterlassen. Besonders auffällig auch im Jahr 2023 sind deutschlandweit stark überlastete Psychotherapeuten, die kaum der überwältigenden Nachfrage nach Therapieplätzen gerecht werden können. So entstehen Wartezeiten von bis zu zwei Jahren auf eine der begehrten Behandlungsmöglichkeiten. Betroffene suchen nach Alternativen, um etwas von der psychischen Belastung runterzukommen. Gesundheitsthemen und Stressbewältigung gehören zu den oft gesuchten Begriffen im Bereich Bildungsurlaub, ergaben aktuelle Auswertungen des Bildungsurlaub Barometer. Doch noch immer haben viel zu wenig Menschen Kenntnisse über diesen Sonderurlaub, der ihnen in den allermeisten Bundesländern zusteht. Zum einen können die Betroffenen mit den ihnen zustehenden freien Tagen sich um gesundheitliche Themen kümmern, ohne sich extra dafür frei nehmen zu müssen. Zum anderen kann der aktiv kommunizierte Bildungsurlaub von Unternehmen dafür genutzt werden, seinen Mitarbeitern einen Mehrwert zu bieten und die Attraktivität des Arbeitsplatzes zu erhöhen.
Bildungsurlaub ist ein Recht, das Arbeitnehmenden zusteht
Alle Bundesländer, mit Ausnahme von Bayern und Sachsen, haben gesetzlich festgehalten, dass Mitarbeiter einen Anspruch auf Bildungsurlaub haben. Das bedeutet, dass Arbeitnehmer mit Bildungsurlaub Anspruch auf Freistellung von der Arbeit bei voller Gehaltszahlung haben. Die Gebühren für Seminare werden in der Regel von den Arbeitnehmern selbst getragen. Doch nur ein Bruchteil der berechtigten arbeitenden Bevölkerung beansprucht die Extratage. Dabei geht es nicht um Erholung oder Urlaub, sondern um Maßnahmen, die für den Job oder dem Mitarbeiter hilfreich sind. Das kann ein Sprachkurs sein oder eine Fortbildungsmaßnahme im IT-Bereich. Das Angebot ist breit gefächert. Um als Bildungsurlaub gelten zu können, müssen die Kurse staatlich zertifiziert sein. Das didaktische Konzept und die Lehrpläne eines Seminars werden von den Bundesländern begutachtet. Die Länge des Bildungsurlaubs ist auch von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt. Berlin ermöglicht beispielsweise zehn Tage Bildungsurlaub in einem Zeitraum von zwei Jahren zu nehmen. Mindestens fünf Tage pro Jahr sind es in allen teilnehmenden Bundesländern.
In Zeiten von Fachkräftemangel, steigenden Krankheitstagen aufgrund gesundheitlicher Belastungen oder Phänomenen wie “Quiet Quitting” ergibt sich hier eine gute Anreizmöglichkeit für Unternehmen und Personalverantwortliche durch unterstützende Freistellung für Bildungsurlaub den Arbeitsplatz attraktiv zu bewerben. „Ganzheitliche Weiterbildung via Bildungsurlaub ist ein Erfolgsschlüssel für Unternehmen – und zwar als 360-Grad-Benefit für individuelle Mitarbeiterzufriedenheit. Bildungsurlaub unterstützt, dass Beschäftigte sich selbstverantwortlich um ihre aktuellen Bedürfnisse kümmern. So können beispielsweise Themen, wie körperliche und mentale Gesundheit im Arbeitsleben angegangen werden und das Suchen nach Lösungen wird nicht ins Privatleben verdrängt. Auf diese Weise bleiben die eigenen Beschäftigten langfristig ein leistungsstarker, motivierter und gesunder Teil des Unternehmens“, sagt Lara Körber, Co-Gründerin des Online-Portals Bildungsurlauber, das über 15.000 Kurstermine anbietet.
Kurse werden teilweise gefördert
Je nachdem, wo die Kurse stattfinden, variieren die Kosten. Kurse an der Volkshochschule sind für 100 Euro bereits buchbar. Nach oben hin sind allerdings keine Grenzen gesetzt. Zwei Wochen Spanisch lernen und Paella kochen auf Ibiza gibt es für 720 Euro, wobei der Flug und die Unterkunft extra hinzukommt. Unternehmen, die neue Mitarbeiter einstellen, könnten eine Beteiligung der Kosten am Bildungsurlaub anbieten, um die Attraktivität für das Unternehmen zu erhöhen. Dies macht zum Beispiel Sinn, wenn der Kurs einen Bezug zur Arbeit hat. Oft bezuschussen Krankenkassen die Kurse, wenn es sich um Gesundheitsseminare handelt. Das Bildungsministerium unterstützt zudem Erwerbstätige mit geringem Einkommen. Mit der Bildungsprämie erhalten Berufstätige, die weniger als 20.000 Euro verdienen, eine Kostenerstattung von 50% der Ausgaben bis maximal 500 Euro. Bund und Länder bieten unterschiedliche Förderprogramme an, je nachdem welches Ziel verfolgt wird oder um welche Zielgruppe es sich handelt
Junge Talente können Weiterbildungsstipendium beantragen
Es gibt viele Weiterbildungsangebote, die auch gefördert werden, doch der Förderdschungel bereitet Schwierigkeiten, die passenden zu finden. Für unter 25-jährige wird es bspw. ab 2024 deutlich mehr Weiterbildungsstipendien geben. Statt 6000 erhöht die Bundesregierung die Zahl nun auf 6.500 für Fachkräfte, die ihre berufliche Ausbildung abgeschlossen haben. Die Förderung umfasst Zuschüsse für die Kosten von fachlichen oder berufsübergreifenden Weiterbildungen in Höhe von insgesamt maximal 8.700 Euro, verteilt auf drei Förderjahre. Die Weiterbildung muss grundsätzlich berufsbegleitend durchgeführt werden. Auch Kosten für berufsbegleitende Studiengänge, die auf der Ausbildung oder Berufstätigkeit aufbauen, können bezuschusst werden.
Nationale Weiterbildungsstrategie soll Kräftemangel abfedern
Der Staat hat ein berechtigtes Interesse an der Weiterbildung seiner Arbeitnehmer und bündelt diese in der nationalen Weiterbildungsstrategie (NWS), denn der Fachkräftemangel schreit nach neuen Lösungen. Als Folge findet Mitte November die erste nationale Weiterbildungskonferenz in Berlin statt. Hier soll der fachliche Diskurs mit Expertisen aus der Praxis sowie den Austausch und die Vernetzung erfolgen. Ideen, Impulse und Inspiration für den weiteren Umsetzungsprozess der NWS sollen entwickelt und aufgenommen werden. Im September 2022 fiel der Startschuss von der Bundesregierung und den Partnern für die Fortsetzung und Weiterentwicklung der NWS. Deutschland hat sich im Rahmen der EU-2030-Strategie das Ziel gesetzt, die Weiterbildungsbeteiligung auf einen Wert von 65 Prozent zu steigern. Darüber hinaus soll eine gezieltere und adressatengerechte Unterstützung heterogener Zielgruppen – wie etwa Geringqualifizierter und Klein- und Mittelständischer Unternehmen (KMU) – sowie der Aufbau digitaler Kompetenzen stattfinden.
Doch es gibt einen Haken. „Wir brauchen mehr Bildungsurlaube mit Kinderbetreuung – denn ohne Kinderbetreuung bleibt Weiterbildung für viele Eltern und Alleinerziehende eher Theorie statt Realität und führt zu Ungerechtigkeit in Bezug auf Bildungschancen“, beschreibt Körber das Problem. Auf Ihrer Plattform haben sie deshalb einen Filter etabliert, mit dem man zumindest die wenigen Seminare findet, die auch Kinderbetreuung anbieten. Hier ist noch deutlicher Nachholbedarf auf Seiten der Anbieter. Allerdings ist auch das Thema Kinderbetreuung generell in Deutschland ein problematisches. Seit Jahren beklagen Eltern zu wenig Krippen- und Kindergärtenplätze. Der chronische Mangel an pädagogischen Fachkräften und Erziehern wird sich so schnell nicht ändern lassen. Um das Thema Bildungsurlaub ganzheitlich zum Erfolg zu führen, braucht es auch unterstützende Rahmenbedingungen von Seiten der Politik.