Unternehmen

Bildungsurlaub – das ungenutzte Potential gegen Personalmangel

Lesezeit: 4 min
15.10.2023 15:03  Aktualisiert: 15.10.2023 15:03
Bis zu 10 Tagen Sonderurlaub für fortbildende Maßnahmen stehen den meisten Arbeitnehmern zu. Doch nur rund 2 Prozent der Berechtigten machen davon Gebrauch. Dabei bietet der Sonderurlaub Vorteile für Angestellte und Unternehmen gleichermaßen.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die letzten zwei Jahre der Pandemie haben ihre Spuren bei den Menschen hinterlassen. Besonders auffällig auch im Jahr 2023 sind deutschlandweit stark überlastete Psychotherapeuten, die kaum der überwältigenden Nachfrage nach Therapieplätzen gerecht werden können. So entstehen Wartezeiten von bis zu zwei Jahren auf eine der begehrten Behandlungsmöglichkeiten. Betroffene suchen nach Alternativen, um etwas von der psychischen Belastung runterzukommen. Gesundheitsthemen und Stressbewältigung gehören zu den oft gesuchten Begriffen im Bereich Bildungsurlaub, ergaben aktuelle Auswertungen des Bildungsurlaub Barometer. Doch noch immer haben viel zu wenig Menschen Kenntnisse über diesen Sonderurlaub, der ihnen in den allermeisten Bundesländern zusteht. Zum einen können die Betroffenen mit den ihnen zustehenden freien Tagen sich um gesundheitliche Themen kümmern, ohne sich extra dafür frei nehmen zu müssen. Zum anderen kann der aktiv kommunizierte Bildungsurlaub von Unternehmen dafür genutzt werden, seinen Mitarbeitern einen Mehrwert zu bieten und die Attraktivität des Arbeitsplatzes zu erhöhen.

Bildungsurlaub ist ein Recht, das Arbeitnehmenden zusteht

Alle Bundesländer, mit Ausnahme von Bayern und Sachsen, haben gesetzlich festgehalten, dass Mitarbeiter einen Anspruch auf Bildungsurlaub haben. Das bedeutet, dass Arbeitnehmer mit Bildungsurlaub Anspruch auf Freistellung von der Arbeit bei voller Gehaltszahlung haben. Die Gebühren für Seminare werden in der Regel von den Arbeitnehmern selbst getragen. Doch nur ein Bruchteil der berechtigten arbeitenden Bevölkerung beansprucht die Extratage. Dabei geht es nicht um Erholung oder Urlaub, sondern um Maßnahmen, die für den Job oder dem Mitarbeiter hilfreich sind. Das kann ein Sprachkurs sein oder eine Fortbildungsmaßnahme im IT-Bereich. Das Angebot ist breit gefächert. Um als Bildungsurlaub gelten zu können, müssen die Kurse staatlich zertifiziert sein. Das didaktische Konzept und die Lehrpläne eines Seminars werden von den Bundesländern begutachtet. Die Länge des Bildungsurlaubs ist auch von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt. Berlin ermöglicht beispielsweise zehn Tage Bildungsurlaub in einem Zeitraum von zwei Jahren zu nehmen. Mindestens fünf Tage pro Jahr sind es in allen teilnehmenden Bundesländern.

In Zeiten von Fachkräftemangel, steigenden Krankheitstagen aufgrund gesundheitlicher Belastungen oder Phänomenen wie “Quiet Quitting” ergibt sich hier eine gute Anreizmöglichkeit für Unternehmen und Personalverantwortliche durch unterstützende Freistellung für Bildungsurlaub den Arbeitsplatz attraktiv zu bewerben. „Ganzheitliche Weiterbildung via Bildungsurlaub ist ein Erfolgsschlüssel für Unternehmen – und zwar als 360-Grad-Benefit für individuelle Mitarbeiterzufriedenheit. Bildungsurlaub unterstützt, dass Beschäftigte sich selbstverantwortlich um ihre aktuellen Bedürfnisse kümmern. So können beispielsweise Themen, wie körperliche und mentale Gesundheit im Arbeitsleben angegangen werden und das Suchen nach Lösungen wird nicht ins Privatleben verdrängt. Auf diese Weise bleiben die eigenen Beschäftigten langfristig ein leistungsstarker, motivierter und gesunder Teil des Unternehmens“, sagt Lara Körber, Co-Gründerin des Online-Portals Bildungsurlauber, das über 15.000 Kurstermine anbietet.

Kurse werden teilweise gefördert

Je nachdem, wo die Kurse stattfinden, variieren die Kosten. Kurse an der Volkshochschule sind für 100 Euro bereits buchbar. Nach oben hin sind allerdings keine Grenzen gesetzt. Zwei Wochen Spanisch lernen und Paella kochen auf Ibiza gibt es für 720 Euro, wobei der Flug und die Unterkunft extra hinzukommt. Unternehmen, die neue Mitarbeiter einstellen, könnten eine Beteiligung der Kosten am Bildungsurlaub anbieten, um die Attraktivität für das Unternehmen zu erhöhen. Dies macht zum Beispiel Sinn, wenn der Kurs einen Bezug zur Arbeit hat. Oft bezuschussen Krankenkassen die Kurse, wenn es sich um Gesundheitsseminare handelt. Das Bildungsministerium unterstützt zudem Erwerbstätige mit geringem Einkommen. Mit der Bildungsprämie erhalten Berufstätige, die weniger als 20.000 Euro verdienen, eine Kostenerstattung von 50% der Ausgaben bis maximal 500 Euro. Bund und Länder bieten unterschiedliche Förderprogramme an, je nachdem welches Ziel verfolgt wird oder um welche Zielgruppe es sich handelt

Junge Talente können Weiterbildungsstipendium beantragen

Es gibt viele Weiterbildungsangebote, die auch gefördert werden, doch der Förderdschungel bereitet Schwierigkeiten, die passenden zu finden. Für unter 25-jährige wird es bspw. ab 2024 deutlich mehr Weiterbildungsstipendien geben. Statt 6000 erhöht die Bundesregierung die Zahl nun auf 6.500 für Fachkräfte, die ihre berufliche Ausbildung abgeschlossen haben. Die Förderung umfasst Zuschüsse für die Kosten von fachlichen oder berufsübergreifenden Weiterbildungen in Höhe von insgesamt maximal 8.700 Euro, verteilt auf drei Förderjahre. Die Weiterbildung muss grundsätzlich berufsbegleitend durchgeführt werden. Auch Kosten für berufsbegleitende Studiengänge, die auf der Ausbildung oder Berufstätigkeit aufbauen, können bezuschusst werden.

Nationale Weiterbildungsstrategie soll Kräftemangel abfedern

Der Staat hat ein berechtigtes Interesse an der Weiterbildung seiner Arbeitnehmer und bündelt diese in der nationalen Weiterbildungsstrategie (NWS), denn der Fachkräftemangel schreit nach neuen Lösungen. Als Folge findet Mitte November die erste nationale Weiterbildungskonferenz in Berlin statt. Hier soll der fachliche Diskurs mit Expertisen aus der Praxis sowie den Austausch und die Vernetzung erfolgen. Ideen, Impulse und Inspiration für den weiteren Umsetzungsprozess der NWS sollen entwickelt und aufgenommen werden. Im September 2022 fiel der Startschuss von der Bundesregierung und den Partnern für die Fortsetzung und Weiterentwicklung der NWS. Deutschland hat sich im Rahmen der EU-2030-Strategie das Ziel gesetzt, die Weiterbildungsbeteiligung auf einen Wert von 65 Prozent zu steigern. Darüber hinaus soll eine gezieltere und adressatengerechte Unterstützung heterogener Zielgruppen – wie etwa Geringqualifizierter und Klein- und Mittelständischer Unternehmen (KMU) – sowie der Aufbau digitaler Kompetenzen stattfinden.

Doch es gibt einen Haken. „Wir brauchen mehr Bildungsurlaube mit Kinderbetreuung – denn ohne Kinderbetreuung bleibt Weiterbildung für viele Eltern und Alleinerziehende eher Theorie statt Realität und führt zu Ungerechtigkeit in Bezug auf Bildungschancen“, beschreibt Körber das Problem. Auf Ihrer Plattform haben sie deshalb einen Filter etabliert, mit dem man zumindest die wenigen Seminare findet, die auch Kinderbetreuung anbieten. Hier ist noch deutlicher Nachholbedarf auf Seiten der Anbieter. Allerdings ist auch das Thema Kinderbetreuung generell in Deutschland ein problematisches. Seit Jahren beklagen Eltern zu wenig Krippen- und Kindergärtenplätze. Der chronische Mangel an pädagogischen Fachkräften und Erziehern wird sich so schnell nicht ändern lassen. Um das Thema Bildungsurlaub ganzheitlich zum Erfolg zu führen, braucht es auch unterstützende Rahmenbedingungen von Seiten der Politik.

 

                                                                            ***

Sofia Delgado ist freie Journalistin und arbeitet seit 2021 in Stuttgart, nachdem sie viereinhalb Jahre lang in Peking gelebt hat. Sie widmet sich gesellschaftskritischen Themen und schreibt für verschiedene Auftraggeber. Persönlich priorisiert sie die Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit, als dringendste Herausforderung für die Menschheit.

 


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Zu Weihnachten Zukunft schenken

Gerade zu Weihnachten wünschen sich viele Menschen, etwas von ihrem Glück zu teilen und sich für diejenigen zu engagieren, die es nicht...

 

DWN
Unternehmen
Unternehmen Quiet Quitting: Der stille Job-Rückzug mit gefährlichen Folgen
22.12.2024

Ein stiller Rückzug, der Unternehmen erschüttert: Quiet Quitting bedroht die Substanz deutscher Betriebe. Warum immer mehr Beschäftigte...

DWN
Politik
Politik Steuern und Abgaben: Mehrheit der Steuerzahler zahlt 2025 noch mehr – mit oder ohne Ampel!
22.12.2024

Das „Entlastungspaket“ der Ampel ist eine Mogelpackung, denn Steuersenkungen sind nicht vorgesehen. Im Gegenteil: Ab dem 1. Januar 2025...

DWN
Technologie
Technologie DWN-Sonntagskolumne: Künstliche Intelligenz Hype Cycle - Zwischen Revolution und Enttäuschung
22.12.2024

Ist künstliche Intelligenz nur ein Hype oder der Beginn einer Revolution? Zwischen hohen Erwartungen, Milliardeninvestitionen und...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Psychische Gewalt am Arbeitsplatz: Ursachen, Folgen und Lösungen
22.12.2024

So können Unternehmen gegen verbale Übergriffe aktiv werden- Beleidigungen, Drohungen und Beschimpfungen: Rund ein Drittel der...

DWN
Politik
Politik Migrationskrise: Asyl-Rekordhoch in Deutschland und die illegale Migration an den Grenzen geht ungebremst weiter
22.12.2024

In Deutschland leben fast 3,5 Millionen Geflüchtete, von Asylsuchenden über anerkannte Flüchtlinge bis zu Geduldeten. Das ist ein neuer...

DWN
Finanzen
Finanzen Kindergeld beantragen: Tipps und wichtige Infos für 2025
22.12.2024

Wussten Sie, dass Sie Kindergeld bis zu sechs Monate rückwirkend erhalten können? Dies gilt sowohl für Ihr erstes Kind als auch für...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Märchen vorbei? Steht Deutschlands Automobilindustrie vor dem Aus?
22.12.2024

Volkswagen in der Krise, Mercedes, BMW & Co. unter Druck – und hunderttausende Jobs stehen auf dem Spiel. Wie kann der Kampf um...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Credit Suisse-Debakel: Ausschuss sieht Schuld bei Bank
22.12.2024

Die Nervosität an den Finanzmärkten war im Frühjahr 2023 groß - drohte eine internationale Bankenkrise? Für den Schweizer...