Politik

Niger nach dem Putsch: Europäer auf dem Rückzug, Amerikaner warten ab

Lesezeit: 5 min
18.10.2023 15:25  Aktualisiert: 18.10.2023 15:25
Drei Monate nach dem Putsch werden erste Konturen der neuen Ordnung sichtbar. Frankreichs Truppen ziehen ab, die US-Armee verharrt in Wartestellung. Doch auch für die Bundeswehr stehen wichtige Weichenstellungen an.
Niger nach dem Putsch: Europäer auf dem Rückzug, Amerikaner warten ab
Die Franzosen verlassen nach dem Putsch den Niger, die Amerikaner warten ab. (Foto: dpa)
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Drei Monate nach dem von der Armee durchgeführten Umsturz im westafrikanischen Niger zeichnen sich erste Konturen der neuen Ordnung ab. Während die französischen Truppen das Land verlassen, verharren die Amerikaner in Wartestellung.

Die Putschregierung unter General Abdourahamane Tiani kündigte die militärische Zusammenarbeit mit Frankreich auf und verwies auch den Botschafter des Landes. Gegenüber den USA sind ähnliche Forderungen nicht bekannt.

Franzosen auf dem Rückzug

Frankreich hatte Anfang Oktober mit dem Abzug seiner Truppen begonnen. Der Generalstab bestätigte der Deutschen Presse-Agentur am 5. Oktober den Beginn des Rückzugs. In einer Mitteilung hieß es, alle Soldatinnen und Soldaten sollten vor Jahresende nach Frankreich zurückkehren.

Paris hatte rund 1.500 Soldaten in den Niger entsendet, die in einem Militärstützpunkt in der Hauptstadt Niamey sowie in zwei vorgelagerten Posten nahe der Grenzen zu Mali und Burkina Faso stationiert waren. Dort unterstützten sie die nigrische Regierung im Kampf gegen islamistische Milizen, die seit einigen Jahren in großen Teilen der Sahelzone zwischen Mali im Westen und der Zentralafrikanischen Republik im Osten aktiv sind.

Der Abzug aus dem Niger ist nicht der erste Rückzug Frankreichs aus der Region. In den vergangenen Jahren musste Paris bereits seine Streitkräfte aus Nigers Nachbarländern Mali und Burkina Faso abziehen, nachdem dort Fraktionen der Armee die Regierungen gestürzt hatten. Auch die Bundeswehr wird ihren Einsatz in Mali deswegen bald beenden.

Auch die Bundeswehr hat im Niger Soldaten stationiert. Was der Abzug der französischen Truppen für sie bedeutet, ist noch unklar. „Wir warten jetzt erstmal die weitere Entwicklung ab», sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius am 25. September. Der Lufttransportstützpunkt in Niamey mit seinen 100 deutschen Soldaten habe Bedeutung für den Abzug aus dem angrenzenden Mali.

Die Bundeswehr hatte im Niger Soldaten ausgebildet und bei der Ausrüstung der Armee geholfen, aber keine Einsätze durchgeführt. Nur die Franzosen waren bereit, mit eigenen Soldaten zu kämpfen. Die deutsche Beteiligung an der EU-Mission im Niger ist derzeit ausgesetzt, schreibt die Bundeswehr.

„Es ist positiv, dass Macron verstanden hat, dass der Abzug französischer Truppen unausweichlich war“, zitiert die dpa den Regionalbüroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung für die Sahelzone, Ulf Laessing. „Die Putschisten hatten ihre Legitimität aus einer Kampagne gegen die französischen Truppen und den Botschafter aus Paris gezogen. Das entfällt jetzt.“

Die Junta in Niamey feierte die Ankündigung als „neuen Schritt hin zur Souveränität des Niger.“ „Imperialistische und neokolonialistische Kräfte sind nicht mehr willkommen auf unserem nationale Territorium“, hieß es Ende September.

US-Streitkräfte warten ab

Bemerkenswert ist, dass die im Land befindlichen amerikanischen Soldaten bislang nicht abgezogen wurden und dazu offenbar auch keinen dringlichen Grund sehen.

Die US-Regierung hatte den Putsch im Niger erst vor wenigen Tagen als solchen offiziell anerkannt und daraufhin Hilfsleistungen eingestellt, zu denen auch die Bereitstellung militärischer Ausrüstung und das Training nigrischer Soldaten durch amerikanische Ausbilder gehörte. France 24 berichtet, dass Washington Finanzhilfen im Umfang von 442 Millionen US-Dollar eingefroren hat, andere Quellen sprechen von etwa 200 Millionen Dollar.

Wie das Portal Army Times berichtet, bewertet die US-Armee derzeit die Lage im Land und wartet auf politische Anweisungen aus Washington. „Es gibt einige Dinge, die eingestellt wurden, aber das meiste davon betrifft uns nicht direkt“, zitiert das Portal einen amerikanischen General. „Es bedarf jetzt etwas mehr Vorsicht, wie wir diese partnerschaftliche Unterstützung anbieten. Und das können wir ohne weiterführende politische Entscheidungen nicht mehr weiter machen.“

Militärische Einsätze im Falle akuter Krisen seien weiterhin möglich, so der General, „aber das bedarf einer politischen Validierung.“

Die USA haben rund 1.000 Soldaten nach Niger entsandt. Wichtiger als die Vertretung in der Hauptstadt Niamey ist der „Luftwaffenstützpunkt 201“ im Zentrum des Landes nahe der Stadt Agades, der eine wichtige Funktion für den Einsatz amerikanischer Kampf- und Aufklärungsdrohnen innehat, welche in den Auseinandersetzungen mit den Milizen zum Zuge kommen.

Nach dem Putsch im Juli waren die in Niamey stationierten US-Soldaten in den „Luftwaffenstützpunkt 201“ verlegt worden, berichtet Foreign Policy in Focus.

Army Times zitiert einen namentlich nicht genannten Informanten, wonach die im Niger stationierten Soldaten insbesondere mit geheimdienstlicher und militärischer Aufklärung und Überwachung sowie mit dem eigenen Schutz beschäftigt seien. Darüber hinaus sei eine kleine Anti-Terror-Einheit im Land verblieben, berichtet der General.

Die US-Regierung befindet sich derzeit in Gesprächen mit der Putschregierung. Es gehe darum, „die eigenen Soldaten und Einrichtungen zu schützen und gemeinsam geteilte Sicherheitsinteressen voranzubringen“, zitiert Army Times den General.

Umbruch in Westafrika

Wie bereits erwähnt haben sich in Westafrika in den vergangenen Jahren mehrfach bedeutsame geopolitische Umwälzungen ereignet. Eine direkte Folge davon ist ein Einflussverlust der Europäer, insbesondere der Franzosen, aber auch Deutschlands. So muss die Bundeswehr nicht nur aus Mali abziehen, sondern auch mit dem Tschad kam es vor einigen Monaten zu ernsten diplomatischen Spannungen, welche in der Ausweisung des deutschen Botschafters gipfelten.

Mali und Burkina Faso haben ausländische Truppen des Landes verwiesen. Zugleich gibt es Berichte, wonach beide Seiten ihre Zusammenarbeit mit russischen Söldnern der Wagner-Gruppe ausgebaut hätten. Darüber hinaus hat die Putschregierung im Niger mit Mali und Burkina Faso ein Militärbündnis abgeschlossen, um eine drohende Invesion von Ecowas-Truppen abzuwehren und auch, um die islamistischen Milizen gemeinsam zu bekämpfen, welche im Dreiländereck Mali-Burkina Faso-Niger sehr aktiv sind.

Auch in der Zentralafrikanischen Republik machte sich der wachsende Einfluss Russlands bemerkbar. Die Europäische Union zog daraufhin im Dezember 2021 ihre Militärberater von dort ab.

Mit Blick auf die militärische Zusammenarbeit galt der Niger bis zum Putsch als letzter verlässlicher Bündnispartner westlicher Staaten in der Region.

Ungewissheit für Amerika

Zwar verbleiben die amerikanischen Truppen vorerst im Land und die US-Regierung kann dadurch ihren Einfluss auf die neue Führung wahren. Beobachter weisen aber daraufhin, dass dieser Einfluss trügerisch ist, weil eine mögliche Zusammenarbeit mit den Putschisten die Legitimation der eigenen Präsenz im Niger untergraben würde.

So kommentiert das Magazin Responsible Statecraft:

Im Großen und Ganzen scheinen die USA nicht besonders geschickt darin zu sein, Großmachtpolitik in Afrika zu betreiben. Washington verlässt sich bei seinen Versuchen, afrikanische Regierungen zu umwerben, auf Besuche hochrangiger Beamter und eine großzügige Portion Schelte, und selbst langjährige Verbündete reagieren oft darauf, dass sie gleichzeitig den USA, Russland und China die Tür offenhalten. Darüber hinaus sollten Ängste vor einem hypothetischen russischen Einfluss kein Vorwand sein, um Kompromisse bei den angeblich zentralen amerikanischen Werten einzugehen.

(...)

Nachdem nun ein Putsch offiziell festgestellt wurde, sollte die Biden-Regierung der Versuchung widerstehen, Niger entweder eine Ausnahme zu gewähren oder eine fehlerhafte Wahl als ausreichend zu akzeptieren, um die Wiederaufnahme der Militärhilfe zu ermöglichen.

Im nächsten Jahr könnte eine neue Phase für die Militärregierungen der Region beginnen, da in Mali, Burkina Faso und Tschad Wahlversprechen fällig werden. In Mali ist der Zeitplan bereits ins Wanken geraten, was an sich schon eine Zurechtweisung der USA nach sich ziehen sollte.

Wann immer es zu Wahlen kommt, besteht darüber hinaus eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Abstimmungen zu Bedingungen stattfinden, die von den Juntas diktiert werden, die entweder ihre eigenen Mitglieder aufstellen oder versuchen, Zivilisten als Schachfiguren einzusetzen.

Die USA sollten diese Wahlen sorgfältig prüfen. Tatsächlich gehörte die Entscheidung der Westmächte, die grobe Einschüchterung und Manipulation von Wahlen in Ländern der Sahelzone zu ignorieren, zu den Faktoren, die zu den jüngsten Staatsstreichen beitrugen, bei denen die schwache Legitimität ziviler Politiker ausgenutzt wurde.

Die Feststellung des Putsches in Niger sollte also der Anfang und nicht das Ende einer weniger kompromissbereiten Haltung Washingtons sowohl gegenüber den Putschversuchen selbst als auch gegenüber den politischen Machenschaften der Putschisten in der Sahelzone sein.

Niger: geopolitisch bedeutsam

Das Land mit seinen etwa 26 Millionen Einwohnern ist aus Sicht der Europäer und Amerikaner geostrategisch bedeutsam. Durch den Niger führt beispielsweise eine zentrale Migrationsroute von Subsahara-Afrika über Libyen nach Europa.

Für Frankreich spielen die großen Uranvorkommen des Landes eine wichtige Rolle, das zu den wichtigsten Lieferanten für die mehr als 50 französischen Kernkraftwerke gehört.

In Westafrika wird Frankreich weiter mit Truppen im Senegal und der Elfenbeinküste präsent sein. Außerdem sind im zentralafrikanischen Gabun - wo im August ein Militärcoup die seit Jahrzehnten regierende Herrscherfamilie stürzte - sowie im ostafrikanischen Dschibuti französische Soldaten stationiert. Insgesamt sind in den vier Ländern gut 3.000 Kräfte verfügbar, die gegebenenfalls Einsätze unterstützen können. Paris beteiligt sich zudem an internationalen Missionen.


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