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Milliarden-Absatz: Lohnen sich Expresszertifikate?

Lesezeit: 4 min
27.10.2023 17:50  Aktualisiert: 27.10.2023 17:50
Anleger investieren derzeit hohe Summen in Expresszertifikate. Diese können Renditen von 3 Prozent und mehr abwerfen. Lohnt sich das?
Milliarden-Absatz: Lohnen sich Expresszertifikate?
Die Kosten von Zertifikaten sind relativ hoch. (Foto: istockphoto.com/solarseven)
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Expresszertifikate finden derzeit reißenden Absatz. Allein im Juli wuchs das Marktvolumen um eine Milliarde Euro auf 22,9 Milliarden Euro, wie der Bundesverband für strukturierte Wertpapiere (BSW) berichtet. Insgesamt stehen Expresszertifikate für knapp ein Viertel des Zertifikatemarkts in Deutschland.

Die größten Emittenten von Expresszertifikaten sind genossenschaftlich organisierte Banken: Vorne lag im Juni die Dekabank – ein Ableger der Sparkassen – mit 39,3 Prozent Marktanteil. Danach kam die DZ Bank mit 28,5 Prozent (also Volks-, Raiffeisen- und Spardabanken).

Laut dem Branchenmedium Finanz-Szene haben zuletzt vor allem die Sparkassen Zertifikate vertrieben. Allein im ersten Quartal sollen es über 9 Milliarden Euro gewesen sein. Auch im zweiten Quartal sei der Derivateabsatz hoch geblieben.

Nicht geeignet für Kleinanleger

Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg sieht in dem steigenden Zertifikateabsatz ein echtes Problem. „Aus unserer Beratung wissen wir, dass Verbrauchern, die nach einem Festgeld fragen, regelmäßig stattdessen Zertifikate und andere Produkte mit hohen Provisionen angeboten werden“, erklärt er gegenüber DWN, ohne auf eine bestimmte Bank Bezug zu nehmen.

Banken würden nicht bloß Festzins-Anleihen empfehlen, sondern auch komplexe Zertifikate mit Totalverlustrisiko. Diese würden ein vielseitiges Auszahlungsprofil aufweisen, das von der Performance eines Index abhänge. „Derartige Produkte sind für überhaupt keinen Kleinanleger bedarfsgerecht“, erklärt Nauhauser und verweist dabei auf ein Expresszertifikat einer großen deutschen Bank.

Expresszertifikate beziehen sich meist auf einen Index oder eine Einzelaktie. Liegt der Kurs zu einem bestimmten Stichtag über einem Schwellenwert, wird das Zertifikat vorzeitig fällig und der Anleger erhält den vollen Nennwert und einen festen Betrag zurück (daher der Name „Express“).

Ebenfalls erhält der Anleger eine Rendite, wenn der Index zum Laufzeitende oberhalb einer bestimmten Schwelle liegt. Liegt der Index allerdings unter einen bestimmten Wert – oft liegt dieser 30 bis 35 Prozent tiefer –, drohen hohe Verluste.

„Anleger tragen das Risiko eines seltenen, dafür aber hohen Verlustes“, erklärt Stiftung Warentest. Oft sei der Sicherheitspuffer zwar großzügig bemessen, aber bei einem richtigen Crash reiche dieser nicht aus.

Die Produkttester kritisieren außerdem die Komplexität von Zertifikaten. „Ihre Verzinsung oder Fälligkeit ist an zig Bedingungen geknüpft, die selbst für Finanzkenner schwer durch­schaubar sind und die meisten Anleger völlig über­fordern.“ Bereits im Jahr 2009 habe man Zertifikate untersucht und dabei mehrfach Wertpapiere gefunden, die mehrere Dutzend an Auszahlungsbedingungen aufgewiesen hätten. Der krasseste Fall sei ein Zertifikat mit über 200 Bedingungen gewesen.

Die Informationsblätter seien unübersichtlich. Weder sei ein Kostenvergleich zwischen verschiedenen Zertifikaten möglich, noch lasse sich aus den Angaben erschließen, wie die Berechnungen von Zukunftsszenarien zustande gekommen seien.

Relativ hohe Kosten

Die Kosten von Zertifikaten sind relativ hoch. Laut einer Studie des wissenschaftlichen Beirats des Branchenverbands BSW betragen sie 0,71 Prozent pro Jahr. Wenn man die Absicherungskosten des Emittenten hinzurechne, lägen die Gesamtkosten bei knapp über 1 Prozent, heißt es auf der BSW-Internetseite. Zum Vergleich: Aktien-ETFs oder Geldmarktfonds liegen bei circa 0,2 Prozent. Eine Festgeldanlage ist sogar kostenfrei und wirft derzeit bis zu 4,75 Prozent Zinsen ab (Laufzeit: ein Jahr).

Anleger unterliegen einem Emittentenrisiko. Sollte der Herausgeber des Expresszertifikats bankrott gehen (also nicht die Depotbank), drohen Verluste bis hin zu einem Totalausfall. Bei den Landesbanken, den Sparkassen und den Genossenschaftsbanken bietet zwar die Institutssicherung zusätzlichen Schutz. Diese gesetzliche Einlagensicherung würde einspringen, wenn eine der Banken vor einer Insolvenz stehen würde. Gleichwohl ist aber fraglich, ob die gesetzliche Einlagensicherung in einer schweren Krise halten würde.

Ein weiterer Nachteil ist der größere Verwaltungsaufwand. Die Laufzeit von Expresszertifikaten ist begrenzt und die Papiere können vorzeitig fällig werden. Anleger müssen sich also immer wieder um das Geld kümmern.

Hintergrund ist, dass viele Banken weiter sehr geringe Zinsen anbieten. Laut einer Umfrage von Verivox zahlte jede fünfte Bank im Juli Nullzinsen. Besonders verbreitet waren Nullzinsen bei den Genossenschaftsbanken (also Volks-, Raiffeisen-, Sparda- und PSD-Banken; 23 Prozent) und den Sparkassen (19 Prozent). Bei den großen, bundesweit aktiven Banken war der Anteil deutlich geringer (4 Prozent).

Niels Nauhauser sieht die geringen Zinsen bei den Sparkassen kritisch. „Diese Geschäftspolitik ermöglicht es ihnen, Verbrauchern Zertifikate verkaufen zu können, an denen sie weitaus mehr Geld verdienen. Die Renditen der Festzins-Anleihen liegen weit unterhalb der Renditen sogar für Bundesanleihen“, erklärt der Abteilungsleiter Altersvorsorge, Banken, Kredite gegenüber DWN.

Die Sparkassen und Genossenschaftsbanken verweisen auf die Nullzinspolitik der EZB. Man habe in der Niedrigzinsphase viele Kredite an Kunden und Unternehmen ausgegeben und nicht wie andere Banken Einlagen bei der EZB geparkt. Das schränke nun den Spielraum für Zinserhöhungen ein, erklärte kürzlich Peter Schneider, Präsident des Sparkassenverbands Baden-Württemberg. Außerdem habe man die allermeisten Kunden vor Negativzinsen bewahrt.

Der Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands, Roman Glaser, betonte, auch die Verzinsung der Einlagen unterliege Marktgesetzen und liege in der Eigenverantwortung der jeweiligen Bank. Der größte Feind des Sparers sei die derzeitige Inflation. Die EZB habe mit ihrer Geldpolitik zu spät die heraufziehende Inflation bekämpft, die nunmehr die Realverzinsung der Einlagen schmälere.

Was können Anleger tun?

Anleger können als Alternative eine deutsche Staatsanleihe kaufen, um Zinsen einzustreichen. Laut dem Anleihen-Finder der Börse Stuttgart rentieren Bundesanleihen mit zwei Jahren Restlaufzeit aktuell bei über 3 Prozent (etwa ISIN DE000BU22031).

Allerdings drohen bei weiteren Zinserhöhungen der EZB Verluste, wenn Anleger die Anleihe nicht bis zur Endfälligkeit halten. Angesichts einer modifizierten Duration von 1,9 (ISIN DE000BU22031) würde der Kursverlust 1,9 Prozent betragen, wenn die Zinsen um einen Prozentpunkt (100 Basispunkte) steigen. Umgekehrt winken bei Zinssenkungen aber auch Kursgewinne.

Eine weitere Alternative sind Festgeldanlagen. Laut Stiftung Warentest sind bis zu 4,75 Prozent bei einem Festgeld mit einjähriger Laufzeit drin. Bei drei Jahren Laufzeit liegt die Verzinsung bei maximal 4,25 Prozent. Die zehn besten Angebote lagen im Schnitt über 4 Prozent (ein Jahr Laufzeit: 4,28 Prozent; drei Jahre Laufzeit: 4,07 Prozent). Kunden kommen aber nur in Notfällen oder zu hohen Abschlägen vorzeitig an das Geld heran.

Direktbanken bieten teils auch dauerhaft höhere Tagesgeldzinsen. Laut der Vergleichsseite Verivox gilt das etwa für die ING (1,0 Prozent Nominalzins), die Postbank (1,25 Prozent) und die Consorsbank (1,0 Prozent).

Gleichwohl machen Anleger mit Zinsanlagen oder Bundesanleihen weiter Verluste. Die Renditen liegen unter der Inflationsrate von 4,5 Prozent vom September. Aktien versprechen langfristig höhere Wertzuwächse. Auch Gold bot auf lange Sicht einen Inflationsschutz. Risikofreudigere Anleger könnten also stattdessen die Aktien- oder Goldquote erhöhen.

***

Elias Huber arbeitet als freier Journalist in Frankfurt am Main und schreibt vor allem über Konjunktur, Edelmetalle und ETFs sowie die ökonomische Lehre der Österreichischen Schule. 

Jede Anlage am Kapitalmarkt ist mit Chancen und Risiken behaftet. Der Wert der genannten Aktien, ETFs oder Investmentfonds unterliegt auf dem Markt Schwankungen. Der Kurs der Anlagen kann steigen oder fallen. Im äußersten Fall kann es zu einem vollständigen Verlust des angelegten Betrages kommen. Mehr Informationen finden Sie in den jeweiligen Unterlagen und insbesondere in den Prospekten der Kapitalverwaltungsgesellschaften.

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