Finanzen

Rezession in der Eurozone: Staaten und Zentralbanken in der Klemme

In der Eurozone verdichten sich die Anzeichen für einen kräftigen Abschwung. Vor- und nachlaufende Indikatoren zeichnen kein gutes Bild. Eine Wirtschaftskrise könnte angesichts der angespannten Situation aber weitreichende Folgen haben. Staaten und Zentralbanken müssen sich in der Krise beweisen.
06.11.2023 18:27
Aktualisiert: 06.11.2023 18:27
Lesezeit: 4 min
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Schenkt man einschlägigen Indikatoren Glauben, steuern die Länder der Eurozone derzeit auf einen kräftigen Wirtschaftsabschwung zu. Sowohl vorlaufende Indikatoren wie Einkaufsmanagerindizes und das sogenannte „Verbrauchervertrauen“ als auch nachlaufende Datenreihen wie die Arbeitslosigkeit zeichnen kein positives Bild.

Unternehmen werden vorsichtiger

Die Unternehmensstimmung im Euroraum hat sich im Oktober eingetrübt. Der Einkaufsmanagerindex von S&P Global fiel zum Vormonat um 0,7 Punkte auf 46,5 Punkte, wie S&P am Montag in London nach einer zweiten Umfragerunde mitteilte. Dabei handelt es sich um den tiefsten Stand seit 35 Monaten. Eine erste Erhebung wurde damit bestätigt.

Im September hatte sich die Stimmung noch leicht verbessert. Mit weniger als 50 Punkten wird eine wirtschaftliche Schrumpfung signalisiert.

Die Volkswirtschaften der Eurozone verharrten damit nicht nur im rezessiven Bereich, kommentierte S&P das Resultat für den Währungsraum. Der Abschwung habe sich gegenüber September sogar nochmals leicht beschleunigt. Hauptgrund dafür sei die stärkere Abwärtsdrift des Dienstleistungssektors. Die Industrieproduktion hingegen sei genauso stark zurückgefahren wie im September.

„Mit Ausnahme Spaniens steckten alle übrigen von der Umfrage erfassten Länder in der Krise“, zitiert die Nachrichtenagentur Reuters Analysten von S&P Global. In Deutschland und Frankreich schrumpfte die Wirtschaftskraft demnach weiter stark, und in Italien sei der Output so stark gesunken wie zuletzt vor einem Jahr.

„Das internationale Geschäft, zu dem auch der Tourismus gehört, hat mit einem der stärksten Rückgänge seit 2014 einen schweren Schlag erlitten“, sagte Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt des S&P-Partners Hamburg Commercial Bank. In diesem Bereich sei seit Juni ein Abwärtstrend zu verzeichnen. Das deute darauf hin, dass der Tourismus, der vor allem für die südeuropäischen Länder eine wichtige Stütze darstelle, immer weiter zurückgeht.

Bürger drosseln Ausgaben

Die Stimmung der Deutschen ist mit Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung so schlecht wie seit einem halben Jahr nicht mehr. Das entsprechende Konsumbarometer verringerte sich im November um 1,24 auf 93,82 Punkte und fiel damit auf den niedrigsten Stand seit Mai, wie der Handelsverband Deutschland (HDE) am Montag mitteilte.

Im Ergebnis planten die Deutschen weniger Konsumausgaben ein, während die Sparneigung steige. Damit sei ein deutliches Anziehen der privaten Ausgaben im restlichen Jahr eher unwahrscheinlich, hieß es. „Es ist nach Lage der Dinge nicht ausgeschlossen, dass von der eingetrübten Stimmung eine dämpfende Wirkung auf die Weihnachtseinkäufe ausgehen kann.“

Der Pessimismus der Verbraucher steht laut HDE im Kontrast zu der konjunkturellen Lage: „In der Gesamtwirtschaft zeigt sich eine gewisse Stabilisierung der Entwicklung, die durchaus zuversichtlich stimmen kann“, hieß es. „Die befragten Konsumenten teilen hingegen diesen Optimismus nicht.“

Auch die GfK- und NIM-Konsumforscher hatten einen Rückgang ihres Barometers für November vorausgesagt. Das HDE-Konsumbarometer basiert auf einer monatlichen Umfrage unter 1.600 Personen. Sie werden zu Anschaffungsneigung, Sparneigung, finanzieller Situation und zu anderen konsumrelevanten Faktoren befragt.

Arbeitslosigkeit in Europa steigt

Auch die Entwicklung der Arbeitslosigkeit – ein nachlaufender Indikator – signalisiert eine konjunkturelle Eintrübung. Wie aus aktuellen Daten von Eurostat hervorgeht, ist die Arbeitslosenquote in der Eurozone im September auf 6,5 Prozent angestiegen. Im August lag sie demnach noch bei 6,4 Prozent.

Demnach ergab sich nominal ein Anstieg um 69.000 Personen. Insgesamt sind rund 11 Millionen Menschen in den 19 Euro-Ländern arbeitslos.

Die Arbeitslosenquote in der gesamten EU wird von Eurostat für den September mit 6,0 Prozent angegeben und hat sich damit verglichen mit August nicht verändert.

Prekär sind nach wie vor die hohen Werte bei der Jugendarbeitslosigkeit in der Eurozone und in der EU. „Im September 2023 waren in der EU 2,741 Millionen junge Menschen (unter 25 Jahren) arbeitslos, davon 2,232 Millionen im Euroraum. Die Jugendarbeitslosenquote in der EU lag bei 14,2 Prozent gegenüber 14,1 Prozent im August und 14,0 Prozent im Euroraum gegenüber 13,9 Prozent im Vormonat. Im Vergleich zu August 2023 stieg die Jugendarbeitslosigkeit in der EU um 38.000 und im Euroraum um 21.000 Personen an. Im Vergleich zu September 2022 sank die Jugendarbeitslosigkeit in der EU um 133.000 und im Euro um 119.000“, schreibt die Behörde in ihrem Bericht.

EZB setzt Zinsanhebungen aus

Die Europäische Zentralbank hat die im Juni 2022 begonnene Serie von Leitzins-Anhebungen angesichts der ökonomischen Schwächeperiode in Europa auf Eis gelegt. Zuletzt verzichtete das Führungsgremium der Bank am vergangenen Donnerstag auf weitere Anhebungen über den aktuellen Wert von 4 Prozent hinaus.

Wie der EU Observer berichtet, sprach EZB-Chefökonomin Isabel Schnabel von „ersten Anzeichen dafür, dass der Arbeitsmarkt schwächer wird.“

Die EZB rechnet damit, dass die Arbeitslosigkeit in Europa auch im kommenden Jahr weiter steigen wird. Gründe dafür seien die restriktive Wirkung der hohen Leitzinsen auf die Wirtschaft und insbesondere auf die Kreditvergabe sowie der Umstand, dass sich der Abschwung vermehrt im Abbau von Arbeitsplätzen äußern werde.

Angesichts dieses unsicheren Ausblicks dürfte die Zentralbank die Leitzinsen auf absehbare Zeit nicht mehr erhöhen. Im Gegenteil: sollte die Rezession auf breiter Front einsetzen, dürfte eine erneute Lockerung der Geldpolitik diskutiert werden.

EZB-Ratsmitglied Klaas Knot sagte vor einigen Tagen, er glaube, dass sich die Leitzinsen auf „Flughöhe“ befänden, „wo sie für einige Zeit verharren können.“

Staaten und Zentralbanken in der Klemme

Die Situation in Europa und weltweit ist heute sehr schwierig und die Notenbanken stehen angesichts der drohenden Rezession vor einem Dilemma:

Staaten, Unternehmen und Haushalte haben in den vergangenen Jahrzehnten in enormem Umfang Schulden aufgenommen – ein Phänomen, welches seit 2008 infolge der von den Zentralbanken künstlich gedrückten Zinsen deutlich an Dynamik hinzugewann.

Um einen unkontrollierten Zusammenbruch dieser extremen Schuldenvolumina zu verhindern, bedarf es niedriger Zinsen – und zwar bei steigenden Verbindlichkeiten tendenziell sinkende Zinsen.

Um jedoch die nachhaltig hohe Inflation und den dahinter stehenden Geldmengenüberhang abzubauen, sind die Notenbanken gezwungen, die Leitzinsen zu erhöhen und Instrumente der expansiven Geldpolitik wie beispielsweise die Ankäufe von Staatsanleihen drastisch zurückzufahren.

Verkürzt dargestellt stehen die Zentralbanken vieler Länder – und auch die EZB – heute vor der Wahl zwischen einem Zusammenbruch des Schuldenturms und damit einhergehender unkontrollierter realwirtschaftlicher Bereinigung (Wirtschaftskrise) oder einer außer Kontrolle geratenen Geldentwertung (Hyper-Inflation) als Folge einer Rückwendung zur expansiven Geldpolitik samt neuer Geldschwemme.

Finanzielle Repression am Horizont?

Der Ökonom und Finanzmarktexperte Daniel Stelter prognostiziert angesichts der enormen Schulden in den USA und Europa sowie teurer geopolitischer Herausforderungen wie den Kriegen in der Ukraine und im Gazastreifen sowie dem starken Zustrom von Migranten, dass Staaten sehr restriktive Maßnahmen ergreifen werden.

Auf seinem Blog Beyond The Obvious schreibt Stelter: „Höhere Steuern, weniger Sozialleistungen und weniger Konsum werden die Wirtschaft prägen. Doch angesichts der hohen Schulden dürfte das nicht genügen. Noch extremer als im und nach dem Zweiten Weltkrieg wird man deshalb auf finanzielle Repression setzen müssen. Mit einer Kombination aus direkter Staatsfinanzierung durch die Notenbanken, hoher Inflation, weit negativen Realzinsen und Beschränkungen des Kapitalverkehrs werden die Regierungen so sicherstellen, dass die Staatsschulden relativ zum nominalen BIP nicht untragbar werden. Investoren und Unternehmer sollten sich darauf einstellen.“

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