Politik

Das Saarland stemmt sich gegen die drohende De-Industrialisierung

Lesezeit: 4 min
02.11.2023 09:32  Aktualisiert: 02.11.2023 09:32
Im Saarland sind die beiden wichtigsten Industrien unter Druck geraten. Im schlimmsten Fall droht mittelfristig ein Abwandern der Betriebe und der Verlust tausender Arbeitsplätze.
Das Saarland stemmt sich gegen die drohende De-Industrialisierung
Ein Hochöfner bei der Arbeit. Die Stahlindustrie des Saarlandes steht vor ungewissen Zeiten. (Foto: dpa)

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Im Saarland könnte es auf mittlere Sicht zum Verlust tausender Arbeitsplätze und einem schrittweisen Abwandern der Großindustrie kommen. Denn mit dem Autobau und den ihm vorgelagerten Zulieferern sowie der Stahlindustrie sind inzwischen die beiden bedeutendsten Produktivkräfte des kleinen Bundeslandes in Bedrängnis geraten.

Ford baut Präsenz im Saarland ab - so der so

Der US-Autokonzern Ford hatte Ende Juni 2022 angekündigt, die Produktion des Ford Focus im Werk Saarlouis Mitte des Jahres 2025 einzustellen. Weil das Werk im spanischen Valencia den Zuschlag für die neue Elektroauto-Plattform erhielt, war damit das Ende der Präsenz in Saarlouis besiegelt.

Im Juni des laufenden Jahres keimte noch einmal Hoffnung auf, als bekannt wurde, dass sich Ford in Gesprächen mit einem Investor für das Werk Saarlouis befand. Diese Verhandlungen jedoch scheiterten Anfang Oktober. Das Scheitern der Verhandlungen hatte den Betriebsrat nach eigenen Aussagen „völlig unvorbereitet und absolut überraschend“ getroffen.

Der potenzielle Investor hatte in der vergangenen Woche mitgeteilt, dass er die Gespräche nicht fortsetzen wolle, sagte Ford-Deutschland-Chef Martin Sander der Deutschen Presse-Agentur. Nun stehen Sozialplan-Verhandlungen an. Für den Fall, dass es keine Einigung gibt, kündigte der Betriebsrat bereits Warnstreiks und eine Urabstimmung über einen unbefristeten Arbeitskampf an.

Derzeit arbeiten bei Ford in Saarlouis 4.400 Mitarbeiter, hinzu kommen weitere 1.300 in Zuliefererbetrieben.

Der Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer erwartet selbst im Falle eines Einstiegs von Investoren eine deutliche Reduktion der Kapazitäten am Werk Saarlouis, wie er den Deutschen Wirtschaftsnachrichten sagte: „Wenn die Verkaufspläne für das Ford-Werk in Saarlouis erfolgreich umgesetzt werden können und etwa ein Autobauer aus China das Werk übernimmt, hätte man einen Teilausgleich. Der neue Autobauer hätte eine eher niedrigere Wertschöpfungstiefe mit Elektroautos und auch in den nächsten Jahren niedriger Volumen. Also muss man auch bei einer Übernahme mit deutlich weniger Beschäftigten rechnen. Natürlich wirkt sich das auch auf die heutigen Zulieferbetriebe für Ford Saarlouis aus. Ich würde davon ausgehen, dass bei solch einem Übergangen bis zu 50 Prozent der Wertschöpfung entfällt.“

Auch ZF Friedrichshafen unter Druck

Auch der weltweit aktive Zulieferer ZF Friedrichshafen steht Medienberichten zufolge mit seinem Werk in Saarbrücken vor Problemen. Wie der Blog Blackout News unter Berufung auf die Saarbrücker Zeitung berichtet, drohe am Standort der Abbau von bis zu 7.000 Arbeitsplätzen bis zum Jahr 2030.

Schon ab 2025, so sagten Teilnehmer einer Betriebsversammlung den Medien, sei ein größerer Personalabbau in Saarbrücken nicht mehr ausgeschlossen.

Mit über 9.000 Beschäftigten ist das Werk Saarbrücken der größte Arbeitgeber im Saarland und zählt zu den wichtigsten Werken von ZF.

Dudenhöffer sieht die Zukunft des Werkes eher kritisch:

Nicht ZF ist in Bedrängnis, sondern einzelne Werke, die bei der Umstellung auf Elektromobilität zum Teil sehr große Umfänge ihrer Produktion verlieren. Das gilt für das ZF-Werk in Saarbrücken, das Getriebe für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren liefert. Das Thema ist nicht neu, sondern seit gut vier Jahren in der Diskussion.

Um die Beschäftigung zu sichern braucht es neue Produkte, wie elektrische Achsen, die ZF für E-Autos liefern will. Um das Achsgeschäft bemühen sich die ZF-Werke weltweit. Klar ist, dass weltweit durch die Transformation Arbeitsplätze verloren gehen. Die Frage ist, wie stark der Abbau einzelne Werke trifft.

Und damit kommen die Kostenstrukturen der einzelnen Werke ins Spiel und die sind in Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Ländern sehr schlecht. Damit muss man davon ausgehen, dass am Standort Deutschland stärkere Einschnitte zu erwarten sind.

ZF Saarbrücken hat damit schlechte Ausgangsbedingungen. Absolut sicher ist, dass angebaut wird. Wieviel hängt von den Anpassungen bei den Kostenbedingungen hat. Von daher kann man heute auch den in der Presse genannten Abbau von mehr als 5.000 Arbeitsplätzen nicht ausschließen.

Stahlbranche an der Saar in der Defensive

Akut gefährdet ist neben der Automobilindustrie auch die Stahlbranche des Saarlandes. Der Grund dafür ist die von der Politik erzwungene Umstellung der Produktionsprozesse – weg von fossilen Energieträgern hin zu Strom, der aus Wind- und Solarkraft stammt.

Um diese politisch gewollte Transformation überhaupt realisieren zu können, benötigt die Branche massive Subventionen der Bundesregierung. Für das Transformationsprojekt „Power4Steel“, welches die Unternehmen Saarstahl, Dillinger Hütte und SHS gemeinsam ins Leben gerufen haben, benötige man eine Förderung im Umfang von ungefähr 3,5 Milliarden Euro, so die beteiligten Unternehmen.

Seit Monaten jedoch gibt es keine Zusage für die Gelder, deren mögliche Vergabe nach Aussage einer Sprecherin des Wirtschaftsministers derzeit „intensiv“ mit der EU-Kommission beraten werde, wie die Saarbrücker Zeitung am 23. Oktober berichtete.

Stephan Ahr, Betriebsratsvorsitzender von Saarstahl, bestätigte gegenüber den Deutschen Wirtschaftsnachrichten, dass es bislang kein grünes Licht aus Berlin und Brüssel für die geforderten Beihilfen gibt.

Ein von der Industrie organisierter „Aktionstag“ habe allerdings etwas bewegen können, so Ahr zu den DWN: „Es gab eine gute Beteiligung, nicht nur von den Arbeitnehmern, sondern auch von der Bevölkerung im Saarland. Viele haben sich mit der Saarländischen Stahlindustrie solidarisiert. Viele Redner konnten die Wichtigkeit der Fördergeldzusage deutlich machen, sodass zwei Tage nach dem Stahl-Aktionstag ein persönlicher Termin mit Robert Habeck stattfinden konnte.“

„Akt der Geringschätzung“

Ahr machte seinem Unmut bereits vor einigen Wochen in einem Interview mit der Saarbrücker Zeitung Luft. Habecks Verhalten sei ein „Versagen“ und ein „beispielloser Akt der Geringschätzung gegenüber den Beschäftigten in der saarländischen Stahlindustrie sowie gegenüber allen Saarländerinnen und Saarländern.“

Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck lasse seit Monaten Briefe der IG Metall und der Betriebsräte von Saarstahl wie Dillinger Hütte unbeantwortet, kritisierte Ahr im Gespräch mit der Zeitung.

Gerade die Grünen predigten ständig die Notwendigkeit von Umwelt und Klimaschutz, ließen es aber jetzt an Unterstützung fehlen, dass die saarländische Stahlindustrie 3,5 Milliarden Euro mobilisiere, um in der größten Einzelinvestition in der Geschichte des Saarlandes die Produktion an den Stahl-Standorten auf C02-freien grünen Stahl umzustellen, schreibt die Saarbrücker Zeitung.

Stünden die Finanzzusagen der Bundesregierung nicht bis zum Ende des Jahres fest, drohte der komplette Zusammenbruch der saarländischen Stahlindustrie bis spätestens zum Jahr 2030, so Ahr. Ahr begründete dieses Zieldatum mit den langen Liefervereinbarungen in der Branche: „Das Jahr 2030 basiert auf der Einkaufsstrategie. 2027 läuft die Förderung aus, d. h., wenn die Zusage dieses Jahr nicht erfolgt, werden die Anlagenbauer nicht liefern können, da dies lange Lieferzeiten mit sich bringt.“

Mit rund 14.000 Angestellten kommt der Industrie eine immense Bedeutung für den Wohlstand des Bundeslandes und das Wohlergehen vor- und nachgelagerter Wirtschaftszweige zu. „Die Saarländische Stahlindustrie ist der größte Arbeitgeber und Ausbilder im Saarland. Sie ist ein Garant für sichere und tarifgebundene Arbeitsplätze und wichtig für die Wertschöpfung im Land“, kommentiert Ahr die Bedeutung der Branche.


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