Die Landesregierungen Berlins und Brandenburgs wollten zum Wochenende noch unbedingt ein Ausrufezeichen beim Thema Flughafen setzen. In einer gemeinsamen Erklärung forderten die beiden Wirtschaftsminister, Senatorin Franziska Giffey und ihr Potsdamer Amtskollege Jörg Steinbach (beide SPD) die verbesserte Anbindung vom BER an internationale Ziele. Insbesondere die wenigen Interkontinental-Verbindungen von Schönefeld in die weite Welt seien unbefriedigend. „In Sachen Erreichbarkeit bleiben wir deutlich hinter anderen Regionen zurück“, klagt Giffey.
Während es an anderen Flughafen des Landes 180 Destinationen in alle Kontinente gibt, sind es „in Berlin gerade mal sechs“, so Giffeys bittere Analyse. „Die Zahl und Frequenz der Mittel- und Langstreckenverbindungen sind weder für die Hauptstadtregion noch für Ostdeutschland ausreichend“. Der BER müsse „der Funktion als Drehkreuz gerecht werden können.“ Weit gefehlt!
Nicht etwa ermutigendes Feedback von Lufthansa oder Eurowings, gar optimistische Nachrichten von den Billigfliegern Ryanair oder Easyjet waren die Folge. Stattdessen ließ die US-Fluggesellschaft United Airlines in aller Öffentlichkeit Knall auf Fall die Hoffnung platzen, der angeblich zum Winter nur vorübergehend eingestellte Flug zum Dulles International Airport (IAD) nach Washington würde im Frühjahr 2024 natürlich wieder aufgenommen. Wird er nicht!
„Modernstes Drehkreuz in Europa“
Im Gegenteil: Es gibt immer weniger statt von Wirtschaftsvertretern erhofften neuer Verbindungen. So hat nämlich auch Delta Airlines den Direktflug zu New Yorks Großflughafen JFK auf Eis gelegt.
Die Flughafengesellschaft freilich feiert sich dafür, dass künftig der norwegische Low-Cost-Carrier Norse Atlantic Airways ins sonnige Miami fliegt. Schön für die Touristen, doch alles andere als jenes Signal zur Stärkung der transatlantischen Beziehungen, welches US-Botschafterin Amy Gutmann im Mai 2023 vernommen hatte. „Der Direktflug nach Washington hätte zu keinem besseren Zeitpunkt kommen können“, meinte Gutmann angesichts des wachsenden Nato-Gesprächsbedarfes während des Ukraine-Krieges. Es war im Übrigen der erste Direktflug dieser Art seit 20 Jahren, als die ersten Versuche von United Airlines und Lufthansa (damals noch in Tegel) scheiterten, Berlin endlich dauerhaft mit dem Nordosten der USA zu verbinden.
Als die drei Eigentümer, Berlin und Brandenburg mit je 37 Prozent und der Bund mit den restlichen 26 Prozent Anteilen den 2020 eröffneten Flughafen ihrer Bestimmung übergaben hofften alle Beteiligten, dass die Planungspleiten und Baupannen nach fast zwei Jahrzehnten der Vergangenheit angehörten. Doch offenkundig scheint nach Ausscheiden des alten (für die sechs Milliarden teure Errichtung des Airports) zuständigen Flughafen-Chefs Engelbert Lütke Dahldrup ein Jahr später keine glückliche Nachfolgeregelung gelungen zu sein. Die Öffentlichkeit hört nur wenig Positives von Geschäftsführerin Aletta von Massenbach, die laut „Berliner Morgenpost“ samt Prämien und Zuschlägen mit einem Jahresgehalt von 532.000 Euro die höchstdotierte Managerin der öffentlichen Hand in Berlin und Potsdam ist.
Als man die vom Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport als kaufmännische Geschäftsführerin abgeworbene Juristin im Sommer 2021 vom Aufsichtsrat zum CEO berufen hatte, fragte man sich in der Branche kleinlaut, ob es überhaupt eine neue Vision gibt, für den bei der Öffnung noch als „modernstes Drehkreuz in Europa“ gefeierten Flughafen? Bauchschmerzen hatten da wohl einige so wie der Bundestags-Finanzexperte Sven-Christian Kindler von Grünen, der seinerzeit eine europaweite Ausschreibung gefordert hatte und nicht lediglich eine Art interner Lösung auf kurzem Dienstweg.
Denn wie hatte der langjährige Lufthansa-Chef Heinz Ruhnau schon kurz nach dem Mauerfall gefordert: Berlin, 1926 Gründungsort der Lufthansa, und Hauptstadt des wirtschaftlichen wichtigsten Landes in Europa benötige „als Bekenntnis einen Flughafen mit am besten sechs Landebahnen“. Ruhnau sprach sich beim Streit um den richtigen Standort damals zwar noch für das brandenburgische Sperenberg aus und dezidiert gegen das vom damaligen Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) mit aller Macht forcierte Schönefeld am Stadtrand Berlins. Dass sein Ausblick mutig war, konnte Ruhnau in der Einheitseuphorie niemand absprechen.
Ausgerechnet Ruhnau Nachfolgerschaft bei Deutschlands nationalem Carrier, von Jürgen Weber, über Wolfgang Mayrhuber, Christoph Franz bis zu Carsten Spohr 2014, ließen immer genau das vermissen: ein aus der Historie der Lufthansa erwachsene Verantwortung für die Hauptstadt,
Man hatte Frankfurt als Hub Nummer 1 in Deutschland groß gemacht und konzentrierte sich derweil auf Ausbau des Standortes München, der 1992 im Erdinger Moos eröffnet wurde und mittlerweile über ein Aufkommen von 44,5 Millionen Passagieren zählt. Versuche, Fernflüge in Berlin anzubieten, blieben halbherzig. Das Unternehmen überließ dem einstigen Mallorca-Shuttle AirBerlin den mit Milliarden subventionierten Standort Berlin leichtfertig und freute sich insgeheim, dass sich im Jahr gleich nach der Pleite von AirBerlin die Hub-Pläne in der Hauptstadt zwar in heißer Luft auflösten, die Lufthansa gleichwohl 2017 mit der bislang besten sommerlichen Quartalsbilanz ihrer Firmengeschichte abgeschlossen werden konnte. Ein gutes Geschäft.
Große Vergangenheit, bescheidene Zukunft?
Auch ohne selbst die Fahne hochzuhalten, ist Berlin stattdessen nun mit der Tochter Eurowings, dem laut CEO und Flottenchef Jens Bischof als „Urlaubsflieger Nummer 1“ , der Platzhirsch im Süden der Hauptstadt. In Zahlen heißt das: Sechs Maschinen von Eurowings haben ihren Standort in Schönefeld. Laut Lufthansa-Chef Spohr sei dies sein „Konzept für die Geburtsstadt“.
Wie die Ministerin Giffey und ihr Kollege Steinbach dies finden, haben sie öffentlich nicht gesagt. Dass Spohr vor wenigen Tagen erst für seine Lufthansa einen operativen Gewinn von allein 1,5 Milliarden Euro im letzten Quartal vermelden konnte und damit fast genau jenes Ergebnis nach dem Aus von AirBerlin anknüpfen konnte, dürfte beiden bewusst sein. Für Lufthansa war es dank hoher Ticket-Preise „ein Rekord-Sommer“, jubelte Spohr. Für den BER ist es ein Zurück auf Los.
Michael Engel, Geschäftsführer des Branchenverbandes BDI verweist darauf, dass „weder Nachfrage noch Potenzial, Langstreckenflüge wirtschaftlich sinnvoll auszulasten, ist in der Hauptstadtregion groß genug“. Berlin fliegt billig, nicht weit, und wenn doch mal, dann erst von anderen Drehkreuzen aus.
So appellieren die Landesregierungen von Berlin und Brandenburg in ihrer Erklärung vom Wochenende nun an den Bund, endlich regulatorische Hürden zu beseitigen und zusätzlichen Start- und Landerechten in Berlin nicht länger im Wege zu stehen. Es dürfte dabei vor allem um die Fluggesellschaft Emirates gehen, die unbedingt am BER in die Bresche springen möchte, aber schon länger zugunsten der Staatslinie Lufthansa ausgebremst wird. „Eine schwierige Situation“, so die Analyse des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner (CDU). Er weiß, was am Airport für die Hauptstadt auf dem Spiel steht. Seit Jahren schon versuchte die Flughafen-Geschäftsführung neue Anbieter anzulocken, „leider mit eher durchwachsenem Erfolg“, heißt es im Roten Rathaus.
Die bittere Alternative wäre es dann eher dem Dringen von Ryanair und Easyjet nach Berliner Sonderkonditionen nachzugeben. Diese hat beständig Michael O´ Leary, der streitlustige Gründer der irischen Fluggesellschaft RyanAir, eingefordert. Die Flughafengebühren in Berlin (wie auch in Frankfurt) seien viel zu teuer, maulte O´ Leary, obendrein natürlich auch die Bundessteuer. Sowohl Ryanair als auch Easyjet strichen daraufhin selbst bei den Kunden beliebte und erfolgreiche Europa-Verbindungen am Standort Berlin zusammen. Sie haben dadurch ganz neue Anbieter wie die spanische Airline Volotea auf das Vorfeld gelassen. Volotea hat für den Winter Direktflüge nach Lyon und Verona im Programm, alles andere fliegt sie freilich per Eurowings an, im Codesharing.
Diese Alternative hat Flughafen-Chefin Massenbach mit der Entscheidung für ihr „Under one Roof“-Konzept ad acta gelegt. Nämlich das immer noch am Autobahn-Zubringer gut sichtbar ausgeschilderte Terminal 5 endgültig zu schließen. Hierbei handelt es sich mitnichten etwa um ein geplantes Erweiterungs-Terminal, sondern das vor 20 Jahre ertüchtigte alte Abfertigungsgebäude des DDR-Flughafens Schönefeld. Mit einem Familienfest wurde es freigezogen, die Gemeinde Schönefeld hofft dort nun auf ein günstiges Kongresszentrum. Lange dachte man, vielleicht mit diesem Terminal zweiter Klasse eine unterschiedliche Preispolitik rechtfertigen zu können.
Bis die Corona-Epidemie dies zunichtemachte und die Flughafen-Gesellschaft in ihrer Not die Billigflieger ins Hauptterminal zu schleusen begann, um nicht in die Insolvenzgefahr zu geraten. Ein Hin und Her, dass nun die Passagiere zwingt, für Fernreisen stets auf Frankfurt und München, Amsterdam, Zürich, Paris oder London auszuweichen. Um hingegen nach Asien zu reisen, kommen Reisende kaum noch um Shopping-Aufenthalte in Istanbul, Dubai oder Doha herum.
Ob die BER-Verantwortlichen jemals ein Erfolg bringendes Konzept für den Flughafen entwickeln können, scheint ungewisser denn je. Dass in Schönefeld extra ein Gate zur Abfertigung des großen Airbus 380 eingerichtet wurde, lässt erkennen, welche Irrwege seither geflogen wurden. Ein Drehkreuz ist und bleibt Berlin derzeit nur auf dem Papier.