Politik

Euro-Beitritt gegen den Willen von Bürgern und Regierung

Zwar plant Tschechien offiziell keinen Euro-Beitritt. Doch die großen Unternehmen in dem Land sind bereits auf die Fremdwährung umgestiegen und treiben ihre Einführung mit Druck voran.
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11.11.2023 16:08
Aktualisiert: 11.11.2023 16:08
Lesezeit: 4 min
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Zwar hat sich Tschechien verpflichtet, irgendwann den Euro einzuführen, da dies eine wichtige Bedingung für den Beitritt zur Europäischen Union war. Doch auch nach fast zwei Jahrzehnten lehnen die Bürger des Landes dies weiterhin ab, und nicht einmal ihre Regierung hat Pläne zur Einführung der Gemeinschaftswährung.

Doch der Euro spielt trotzdem eine immer wichtigere Rolle in Tschechien. Denn die Unternehmen im Land haben die Angelegenheit längst selbst in die eigenen Hände genommen und die Manager treiben die tschechische Wirtschaft immer weiter in eine Richtung, die den Vorstellungen von Bürgern und Behörden gänzlich widerspricht.

Aus den Zahlen der tschechischen Zentralbank geht hervor, dass erstmals in ihrer Geschichte die Hälfte aller ausstehenden Unternehmenskredite der Banken im Land auf Fremdwährungen lauten, ganz überwiegend auf Euro. Wohlgemerkt sind dies Kredite bei den heimischen Banken. Wenn man die Kredite ausländischer Banken einbezieht, wäre der Anteil sogar noch höher.

Doch nicht nur Kredite werden mehrheitlich in Euro aufgenommen. Hinzu kommt, dass bereits etwa 20 Prozent des gesamten inländischen Handels zwischen tschechischen Unternehmen in Euro abgewickelt werden, da viele tschechische Exporteure ihre tschechischen Lieferanten in Euro statt in Kronen bezahlen.

„Krone ist nur noch Teilzeitwährung“

„Die Krone ist nur noch eine Teilzeitwährung, weil die großen Unternehmen, die die Wirtschaft dominieren, größtenteils auf den Euro umgestiegen sind“, zitiert Bloomberg Tomas Kolar, den Vorstandsvorsitzenden der Linet Group, einem Hersteller von Hightech-Krankenhausbetten und anderen Geräten.

Kolar selbst ist wie die meisten Manager der großen Unternehmen in Tschechien ein Befürworter des Euro. Er sagt, es gebe „keinen guten Grund, den Euro nicht zu haben“, aber die tschechischen Politiker hätten „Angst, das Thema der Euro-Einführung überhaupt anzusprechen, geschweige denn es den Wählern zu erklären“.

Fast der gesamte Umsatz des tschechischen Unternehmens in Höhe von 360 Millionen Euro stammt aus dem Export an Kunden in 150 Ländern, sagt Kolar. Der CEO der Linet Group hat bereits die meisten seiner Geschäfte von Kronen auf den Euro umgestellt, um auf diese Weise mögliche Verluste durch Marktschwankungen zu minimieren.

Seit Beginn der großen EU-Osterweiterung im Jahr 2004 haben Slowenien, die Slowakei, die drei baltischen Staaten und im Januar dieses Jahres auch Kroatien den Euro eingeführt. Bulgarien strebt diesen Schritt ebenfalls an. Die Tschechische Republik sowie Ungarn und Polen haben die Abschaffung ihrer eigenen Währungen wiederholt hinausgezögert.

In Ungarn haben eine jahrelange Rezession und eine Forint-Krise einige Wirtschaftsführer dazu veranlasst, zumindest einen Zeitplan für die Euro-Einführung zu fordern. Daten zeigen, dass bereits 42 Prozent der Kredite in dem Land auf Fremdwährungen lauten, also fast so viele wie in Tschechien mit knapp 50 Prozent.

Bürger und Notenbank lehnen Euro-Beitritt ab

Die Tschechen sind jedoch in einer besseren Position, um die Bedingungen für den Euro-Beitritt zu erfüllen, die sogenannten Maastricht-Kriterien. Die Verschuldung des Landes ist im Verhältnis zur Wirtschaftsgröße eine der niedrigsten in der EU, und es ist auch auf dem besten Weg, die Anforderungen an Inflation und Haushaltsdefizit zu erfüllen.

Doch nur wenige Länder in Europa sind so euroskeptisch wie die Tschechische Republik. Laut der jüngsten Umfrage von Eurobarometer unter jenen EU-Mitgliedstaaten, die den Euro noch nicht eingeführt haben, gab es unter den Tschechen den geringsten Anteil an Befürwortern eines Beitritts zur Eurozone.

Zu den Bedenken der Tschechen gehören die potenziellen Kosten für die Rettung eines anderen Euro-Mitgliedstaats und die erwartete höhere Inflation. Vier der fünf derzeitigen Koalitionsparteien sind für den Euro-Beitritt, aber die dominierenden Bürgerdemokraten haben die Aufnahme konkreter Ziele in das Regierungsprogramm verhindert.

Auch die Tschechische Nationalbank ist dagegen, ihre Währung und ihre Befugnisse aufzugeben. Beamte haben argumentiert, dass eine unabhängige Geldpolitik als Puffer gegen globale Schocks dient und dass dies mögliche Vorteile wie den Wegfall von Umrechnungskosten und Währungsrisiken für Unternehmen überwiegt.

„Die Bedingungen, die derzeit für die Euro-Einführung gestellt werden, sind für die Tschechische Republik erniedrigend“, sagt der stellvertretende Zentralbankchef Jan Frait. „Meiner Meinung nach lohnt sich das für uns jetzt nicht. Wenn die Politik die Entscheidung trifft, der Eurozone beizutreten, dann sollten wir meiner Meinung nach würdigere Bedingungen aushandeln.“

Unternehmen wollen den Euro-Beitritt

Doch die Manager im Land machen Druck. Denn zwei Drittel der tschechischen Exporte gehen in die 20 Mitgliedstaaten der Eurozone. Und die verstärkten Schwankungen der Krone in den letzten Jahren haben die Attraktivität des Euro gestärkt. Die tschechische Zentralbank musste eingreifen, um die Krone zu stützen, während die Kreditkosten höher sind als im Euroraum.

Die tschechische Wirtschaft hat sich seit dem Ende des Kommunismus in vieler Hinsicht gut entwickelt. Die boomende Autoindustrie hat den rund 11 Millionen Bürgern dazu verholfen, einige der älteren Mitglieder der Europäischen Union beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf zu überholen, darunter Spanien und Griechenland.

Die zu Volkswagen gehörende Skoda Auto AS, der größte Hersteller des Landes, fordert schon seit Jahren den Euro. Es hat seine Buchhaltung in diesem Jahr bereits auf Euro umgestellt, weil es die gemeinsame Währung für die meisten seiner Transaktionen verwendet, einschließlich der Zahlungen an viele lokale Zulieferer.

Da die Exporteure das Rückgrat der Wirtschaft bilden, werden sich immer mehr Unternehmen dem „Trend der spontanen Euroisierung“ anschließen, zitiert Bloomberg Radek Spicar, den Vizepräsidenten des Industrieverbands, der über 11.000 Arbeitgeber vertritt. „Unter dem Einfluss der großen Unternehmen werden auch andere Teile der Wirtschaft allmählich dazu übergehen, ihre Geschäfte in Euro abzuwickeln.“

Als ein weiterer Schritt auf Weg zum Euro-Beitritt gibt es Gesetzesvorschläge, die es den Unternehmen in Tschechien erlauben würden, nicht nur ihre Buchhaltung in einer Fremdwährung zu führen, sondern mehrere Abgeordnete zielen darauf ab, dass die Unternehmen auch ihre Steuern in Euro, Dollar oder Pfund zahlen können.

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