Der wendige Beamte Gatzer hatte noch kurz vor seiner Entlassung mit FDP-Finanzminister Christian Lindner eine Haushaltssperre veranlasst, um den Schaden zu reparieren, der durch die verfassungswidrige Umbuchung der Corona-Hilfsgelder in Höhe von 60 Milliarden Euro in einem Klima- und Transformationsfonds entstanden war. Mit der Haushaltssperre verfügte Gatzer, dass nun die Ministerien keine über die bereits bewilligten Ausgaben hinaus tätigen können, ohne die Zustimmung des Finanzministeriums eingeholt zu haben. Doch das ministerielle Rundschreiben des Staatssekretärs hat eine pikante Note – es war Gatzer selbst, der das Schlamassel maßgeblich zu verantworten hat. Nun hat Minister Lindner den Staatssekretär mit einigen dürren Worten - „Hat sich um unser Land verdienst gemacht" - in den einstweiligen Ruhestand versetzt, also entlassen. Nachfolger soll der bisherige Leiter der Grundsatz-Abteilung im Finanzministerium, Wolf Reuter, werden.
Der Schattenmann
Die Geschichte des ministeriellen Schattenmannes ist eine Geschichte wechselnder Finanzminister, die teils aus Bequemlichkeit, teils aus Einsicht in die Unvollkommenheit ihrer Kompetenz, auf die Dienste des Beamten nicht verzichten wollten. Gatzer war schon in gleicher Funktion zuerst dem SPD-Finanzmister Peer Steinbrück zu Diensten, ging dann dem CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble zur Hand, tüftelte später für den damaligen SPD-Finanzminister und heutigen Bundeskanzler Olaf Scholz den Verfassungsbruch aus, mit denen Milliardengelder im Bundeshaushalt hin und her geschoben wurde, um jetzt zusammen mit dem FDP-Minister Lindner eine massive Haushaltskrise zu verantworten.
Es ist im Nachhinein kaum verständlich, warum sich eigentlich kein Minister einmal die Frage gestellt hat, ob es dem Staatssekretär Gatzer nicht völlig egal ist, wer unter ihm gerade Minister ist. Tatsächlich hätte es allerspätestens dem schneidigen Liberalen Lindner auffallen müssen, dass mit Werner Gatzer, dem Juristen mit SPD-Parteibuch, eine liberale Finanzpolitik kaum durchzusetzen ist. So kam es denn auch: Von Anfang an – so rügte es der Bundesrechnungshof in seinem letzten Gutachten - jonglierte Lindner und seine Truppe mit Neben- und Schattenhaushalte. Milliarden verschwanden aus dem regulären Bundeshaushalt und fanden sich – ähnlich wie bei Hütchenspielern – einigermaßen versteckt in Nebenhaushalten.
"Ausufernde Topfwirtschaft"
Deutlich wie selten prangerte der Rechnungshof die „ausufernde Topfwirtschaft“ an. Insgesamt zählte der Rechnungshof 29 verschiedene Töpfe und Haushalte. Dies führe dazu, dass es Parlament und Öffentlichkeit immer schwerer falle, einen klaren Blick auf die tatsächliche Finanzlage der Bundesrepublik zu bekommen. Schon damals, es war im Sommer dieses Jahres, äußerte der Rechnungshof verfassungs- und haushaltsrechtliche Bedenken bei der Verschiebung der Corona-Hilfsgelder. Geradezu prophetisch wies der Rechnungshof auf die erheblichen Auswirkungen hin, sollte das Bundesverfassungsgericht die Umwidmung für verfassungswidrig erklären – die Bundesregierung sei mit diesem Schritt ein „hohes finanzwirtschaftliches Risiko“ eingegangen.
Gatzer war seit 18 Jahren Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und damit der mit Abstand längst dienende Staatssekretär der Bundesregierung. Begonnen hatte der aus Köln stammende Jurist in der Haushaltsabteilung, die damals der Staatssekretär Manfred Overhaus geleitet hatte. Overhaus war als Sparkommissar gefürchtet. Der einstige Chef der CSU-Landesgruppe Michael Glos hatte einmal gespottet, dass Overhaus schon „Nein“ sage, bevor ihn jemand überhaupt etwas gefragt hätte. Gatzer kletterte zügig die Leiter der Beamtenkarriere empor, ehe er dann unter Minister Steinbrück Staatssekretär wurde.
Seitdem galt Gatzer im Finanzministerium als geradezu unverzichtbar. Keiner, so hieß es, kenne das Ministerium so gut wie er, keiner habe so viel Erfahrung bei Haushaltsverhandlungen. Und so beließen die wechselnden Finanzminister den Staatssekretär Gatzer im Amt, obwohl die Staatssekretäre eigentlich politische Beamte sind und damit jederzeit von einem Minister ohne Angaben von Gründen entlassen werden können. Das aber führte dazu, dass Gatzer immer mehr zur grauen Eminenz des Hauses wurde und am Ende es so war, dass das Ministerium den Minister führte und nicht andersherum.
Das Finanzloch
Nun ist die Not groß, denn nicht nur fehlen plötzlich 60 Milliarden Euro im Haushalt, auch noch der ungleich größere Schattenhaushalt „Wirtschaftsstabilisierungsfonds“ steht auf verfassungsrechtlich wackligem Grund. Dieser Fonds wurde 2022 eingerichtet und mit Kreditermächtigungen in Höhe bis zu 200 Milliarden Euro ausgestattet. Sollte auch dieser Fonds verfassungswidrig sein, wofür manches spricht, würden schon im nächsten Jahr weitere 20 Milliarden Euro fehlen. Das Desaster wäre perfekt und die Bundesrepublik Deutschland stünde vor dem größten Finanzloch ihrer Geschichte. Völlig unklar ist auch, wann überhaupt der Haushalt für das nächste Jahr beschlossen werden kann.
Eine Auswirkung ist jetzt schon klar. Für viele Projekte fehlt jetzt das Geld, darunter auch für die dringend erforderliche Sanierung der Deutschen Bahn. Denn mit Geldern des verfassungswidrigen Klima- und Transformationsfonds sollte auch der Schienenverkehr erneuert werden, allein für das nächste Jahr waren 5,3 Milliarden Euro fest eingeplant. Auf einer Sondersitzung ihres Aufsichtsrates will die Bahn nun herausfinden, wie sich das Haushaltsdebakel auf die geplanten Investitionen der Bahn auswirkt. Dabei trifft es sich, dass der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn von jemanden geleitet wird, der die Haushaltszahlen parat hat: Chef der Aufsichtsrates der Deutschen Bahn ist der in den einstweiligen Ruhestand versetzte Staatssekretär Werner Gatzer.