Finanzen

Zinssenkungsfantasie beherrscht das Marktgeschehen

Lesezeit: 3 min
06.12.2023 09:43  Aktualisiert: 06.12.2023 09:43
Insbesondere die als dovish interpretierte Rede des US-Notenbankvorsitzenden Jerome Powell war es, die den Märkten am vergangenen Freitag zu einem weiteren Schub nach oben verhalf. Mittlerweile sehen die Investoren die Sache nüchterner, auch Gold korrigiert seinen überschwänglichen Preisanstieg und notiert bereits wieder tiefer als vor Powells Ansprache.

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Angesichts der sich mehrenden Anzeichen dafür, dass es der amerikanischen Notenbank gelingen könnte, die Inflation zu zähmen ohne die Wirtschaft in die Rezession zu stürzen, verzeichneten US-Aktien den besten Monat seit fast anderthalb Jahren und den zweitbesten November seit den 1980er Jahren, was die durchaus vorhandenen Skeptiker eindrucksvoll widerlegte und die Hoffnung auf weitere Kursgewinne nährte. Zu verdanken war diese Entwicklung vor allem dem Geschehen an den Anleihemärkten, an denen die Renditen in Erwartung zeitnah einsetzender Zinssenkungen weiter fielen. Händler rechnen mittlerweile mit Zinssenkungen der Fed um mindestens 125 Basispunkte im kommenden Jahr. Diese zunehmenden Wetten per Beginn des Jahres 2024 haben maßgeblich dazu beigetragen, dass Gold trotz der Versuche der Fed, diesen Optimismus zu dämpfen, den höchsten Stand seiner Geschichte erreichte. Das Edelmetall konnte sich seit Oktober in der Spitze um beeindruckende 18 % erholen, zunächst aufgrund der Nachfrage nach sicheren Häfen inmitten des Israel-Hamas-Konflikts und dann aufgrund des Einbruchs des Dollars und eben der nachgebenden Renditen von Staatsanleihen.

Inflation im Griff

Sowohl bei den Wirtschaftsdaten als auch bei den politischen Signalen markierte die vergangene Woche einen Wendepunkt im Kampf der US-Notenbank gegen die stärkste Inflationswelle in den USA seit den frühen 1980er Jahren. Der jüngste Stand des von der Fed bevorzugten Inflationsindikators - dem PCE-Kerndeflator, der die volatilen Lebensmittel- und Energiekosten herausrechnet - zeigte am Donnerstag, dass die jährliche Preissteigerungsrate mit 3,5 % nun unter der Jahresprognose der Entscheidungsträger liegt. Im September hatte die Fed noch eine Inflationsrate von 3,7 % für das Jahresende erwartet. Das liegt natürlich immer noch über dem ausgerufenen 2 %-Ziel, aber es ist auch nicht mehr allzu weit davon entfernt. Und es zeigt, dass Powell und seine Kollegen gute Arbeit geleistet haben, um die Rate von dem Anfang 2022 erreichten Höchststand von 5,57 % herunterzubringen. Powell bewertete die aktuelle Zinslage mit den Worten, dass diese nun „weit in den restriktiven Bereich hineinreichen“, sein Stellvertreter bezeichnete die derzeitige Zinssetzung noch konkreter als „die restriktivste seit 25 Jahren“. Beides wurde vom Markt als Signal für das Erreichen des Zins-Tops interpretiert. Powells Nachsatz, „es wäre verfrüht, mit Zuversicht darauf zu schließen, dass wir eine ausreichend restriktive Haltung erreicht haben, oder darüber zu spekulieren, wann die Politik gelockert werden könnte" ging, wie so oft, in der ersten Euphorie unter. Nichtsdestotrotz hat sich zumindest „der Markt“ auf eine erste Zinssenkung im März eingeschossen.

Hierzulande zeigt sich ein sehr ähnliches Bild. Laut EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel ist eine Fortsetzung des laufenden Straffungszyklus auch im Euro-Raum unwahrscheinlich, nachdem die Verbraucherpreise in der vergangenen Woche auch hier eine bemerkenswerte Verlangsamung ihres Anstiegs zeigten. Zwar wollte sich Schnabel, die bis dato eine starke Verfechterin des Zinserhöhungskurses war, nicht über den Zeitpunkt einer möglichen Senkung äußern, allerdings preisen die Geldmärkte bereits 150 Basispunkte bis Ende 2024 ein, der erste 25-Punkte-Schritt könnte schon im März erfolgen.

Gold mit Blow-Off-Top

Während die Aktienmärkte auf diese Aussichten zwar positiv aber nicht wirklich euphorisch reagierten, schoss Gold bereits zum Wochenschluss auf den höchsten Stand seit Mai und beendete die Woche nahe seines bisherigen Allzeithochs. Dieses fiel mit Beginn des asiatischen Handels in der Nacht auf Montag, wo die Gold-Futures an der New Yorker Terminbörse Comex bis auf über 2.150 Dollar anstiegen. Diese Preisexplosion ist jedoch mit bloßer Zinsfantasie oder am Wochenende neu hinzugekommenem Safe-Haven-Bedarf auf Grund von Berichten über Angriffe auf Schiffe im Roten Meer nicht zu erklären. Allerdings traf die vorhandene Nachfrage durch die Kombination aus dem bullischem Vorwochenschluss, der sich manifestierenden Zinssenkungshoffnung und den fortschreitenden Spannungen im Nahen Osten auf eine zu Beginn des asiatischen Handels naturgemäß dünne Angebotssituation. Das Auslösen kurz über dem bisherigen Allzeithochs befindlicher Stopp-Aufträge katapultierte Gold praktisch ohne Zwischenkorrektur in den ersten 30 Minuten des Handels in bisher unerreichte Gefilde. Der unmittelbar folgende Rücklauf bis unter den Freitagsschluss zeigt jedoch die fehlende fundamentale Substanz hinter diesem Squeeze. Zum Tagesende notierte Gold im Tagesvergleich sogar mehr als 2 % im Minus. In einem wirtschaftlichen Umfeld ohne Rezession und mit immer noch überdurchschnittlich hohen Zinsen dürfte bis auf weiteres allzu großes, und vor allem nachhaltiges, Anlegerinteresse am Goldmarkt ausbleiben. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Anzeichen für niedrigere Zinsen verstärken werden, falls ja, ist das Potenzial jedoch groß, auch, weil die Grundstimmung für Gold momentan sehr positiv ist.

Auf andere Märkte, wie beispielsweise Erdöl, hat sich das Zinsthema bislang nicht ausgewirkt, obwohl gerade das „schwarze Gold“ üblicherweise stark von sinkenden Finanzierungskosten und einem damit einhergehenden fallenden US-Dollar profitiert. Eigene Fundamentaldaten, vor allem bezüglich eines erstaunlich schnell wachsenden Angebots, überschatten die ja realistisch betrachtet noch immer ungewisse Zinsentwicklung und drücken auf die Preise. Hinsichtlich der Fähigkeit der OPEC+-Gruppe, den laufenden Abwärtstrend mit ihren jüngst beschlossenen Produktionskürzungen zu wenden, herrscht berechtigte Skepsis.

US-Arbeitsmarktzahlen sind das Datengroßereignis der Woche

Aktuell laufen sich die Märkte warm, für die am Freitag zur Veröffentlichung anstehenden US-Arbeitsmarktdaten, die weiteren Aufschluss über den zu erwartenden Zinspfad geben dürften. Angesichts der angeregten Diskussionen über Zinssenkungen, weiche Landungen, Abschwächung am Arbeitsmarkt etc., wird dieser Bericht über die Beschäftigtenzahlen außerhalb der Landwirtschaft mit so viel Spannung erwartet, wie schon lange nicht mehr. Nachdem sich zwei Jahre lang alles um die Inflation drehte, ist nun der Punkt erreicht, an dem die Arbeitsmarktdaten wieder interessanter werden. Die Ökonomen erwarten, dass die Zahl der Beschäftigten in den USA im November um 180.000 angestiegen ist, nachdem sie im Oktober um 150.000 zugenommen hatte. Als Grund für den größeren Anstieg im November wird die Rückkehr der streikenden Arbeiter in der Fahrzeugindustrie gesehen. Aber selbst damit würde der durchschnittliche Stellenzuwachs in den letzten drei Monaten immer noch um etwa 100.000 unter dem zu Beginn des Jahres verzeichneten Tempo liegen. Die Arbeitslosenquote wird unverändert bei 3,9 % erwartet. In der Zwischenzeit werden die JOLTS-Stellenangebote, der ISM-Service-Index (dieser gibt einen Hinweis auf die Geschäftsbedingungen des Service-Sektors), sowie die ADP-Beschäftigungsänderung und die Erstanträge auf Arbeitslosenunterstützung die Wartezeit verkürzen.

                                                                            ***

Markus Grüne (49) ist langjähriger professioneller Börsenhändler in den Bereichen Aktien, Derivate und Rohstoffe. Seit 2019 arbeitet er als freier Finanzmarkt-Journalist, wobei er unter anderem eigene Börsenbriefe und Marktanalysen mit Fokus auf Rohstoffe publiziert. 


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