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Bürokratie-Abbau: Welche der deutschen Städte bei Digitalisierung Fortschritte macht

Lesezeit: 3 min
22.12.2023 12:43  Aktualisiert: 22.12.2023 12:43
Es gibt Städte, die sehen sich weit vorne auf dem Weg in die Zukunft. Wie Wolfsburg, das sich auf Plakatwänden als Smart City bewirbt und weg will vom Image, nur die Werkbank der veralteten Verbrenner-Motoren zu sein. Nach einem Ranking von IW Consult und O2/Telefonica ist das Streben nach digitaler Exzellenz in Wolfsburg auf dem mediokren Platz 50 allerdings ausbaufähig, während Dortmund das gleiche Problem bei der Infrastruktur hat. Auf der Deutschlandkarte der Digitalisierung sind die Spitzenreiter eher im Norden und Süden zu finden.
Bürokratie-Abbau: Welche der deutschen Städte bei Digitalisierung Fortschritte macht
Robert Habeck, Volker Wissing und Olaf Scholz beim Digital-Gipfel 2023: Dem Beispiel Estlands bei der Digitalisierung der Verwaltung kann Deutschland immer noch nicht folgen. (Foto: dpa)
Foto: Martin Schutt

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Großartige Visionen hat Alt-Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in den 16 Jahren ihrer Amtszeit nicht entworfen. Außer vielleicht 2013, als die Verwalterin einen Umbruch in den Amtsstuben versprach und sich von Fax und Druckern zu trennen wünschte. Zehn Jahre später scheinen jetzt (nach den unseligen Corona-Jahren) endlich selbst Deutschlands Gesundheitsämter das letzte Faxgerät von der Steckdose getrennt haben. Es geht voran mit der Digitalisierung, wenn auch mit sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten in Deutschlands 71 größten kreisfreien Städten.

Freiburg/Breisgau bietet 530 Services online an

Um die Spannung zu verkürzen: Freiburg im Breisgau scheint deutlich vorne zu liegen. Was schon deshalb nicht erstaunlich ist, weil der Wandel zumeist mit neuem Personal an den Schaltstellen einhergeht. Martin Horn, parteiloser Oberbürgermeister der 230,000 Bewohner zählenden Universitätsstadt im Badischen, hatte seinen Amtsvorgänger von den Grünen 2018 mit dem Wähler-Versprechen abgelöst, die Freiburger Verwaltung umzukrempeln. Er hat es gut geschafft. In gleich drei Kategorien (Bürger-Services, Leistungen für Unternehmen und praktische App-Anwendungen) befindet sich Freiburg in den Top 6 aller Städte und damit insgesamt auf Platz 1.

530 Verwaltungs-Dienstleistungen bewältigen die Behörden Freiburgs inzwischen online. Geburtsurkunden, Parkausweise, Gewerbebescheinigungen, sogar Kita-Plätze werden dort digital vergeben. Und die Bürger werden belohnt, wenn sie mitziehen. Bei der polizeilichen Meldebescheinigung oder dem Adresswechsel entfällt die Bearbeitungsgebühr, das Dokument gibt es kostenfrei im PDF-Format. Die Beamten haben so plötzlich Zeit, nützliche Vorgänge für ihre Bürger aufzuarbeiten, während die Technik die lästigen Arbeitsgänge obsolet gemacht hat.

Wobei kritisch angemerkt wird, dass es eine vollständig digitalisierte Verwaltung noch nirgends gibt. Fast jede Stadt bewegt sich bestenfalls mit Tippelschritten voran und bewältigt nach und nach neue Dienstleistungs-Aufgaben für ihre Bürger am Computer und nicht mehr auf Papier. Der Süden geht dabei mit den überzeugendsten Lösungen voran, gefolgt vom Norden, während im Westen und Osten die Zeitenwende auf sich warten lässt. So das überraschende Fazit der Studie.

Der zweitplatzierten Digital-Verwaltung von Ingolstadt folgen Hamburg, Braunschweig und Ulm. Gleich vier Städte in Bayern (Augsburg, Erlangen, Nürnberg und München) liegen vor Bremen auf Platz 10. Im Gegensatz zu den progressiven Pionieren unterscheiden die Wissenschaftler in ihrem Digital-Index die vorsichtigen Pragmatiker (Bielefeld und Bochum jeweils auf Platz 26) von den defensiven Nachzüglern. Ludwigshafen, Trier, Koblenz, Oberhausen, Mülheim an der Ruhr fallen in letztere Kategorie. Die Aufforderungen der Politik sind dort genauso an der Realität der tristen Amtstuben abgeprallt, heißt es, wie jegliche Ermahnungen des Bundesrechnungshofs.

Freilich ist auch nicht mit größeren Anstrengungen zu rechnen, wenn das nötige und teilweise auch zugesagte Geld nicht mehr zur Verfügung steht oder nicht abgerufen und eingesetzt wird. Nachdem in 2023 gut 300 Millionen Euro aus Mitteln des Bundesinnenministeriums ungenutzt blieben. sollen 2024 statt der im Haushalt eingeplanten 377 Millionen Euro plötzlich drei Millionen in die Digitalisierung der Verwaltung fließen. Eileen O`Sullivan, Stadträtin für Digitalisierung in Frankfurt/Main, entlarvte diesen Hang unlängst auf der Smart Country Convention in Berlin „als Greenwashing der Digitalisierung“. Es hapere an der Umsetzung der ambitionierten Versprechen.

In Ost wie West hinken Behörden dem Süden hinterher

In Sachen digitaler Infrastruktur ist wiederum Ingolstadt weit vorne, besagt der Survey, sogar vor München und Berlin. Vor allem in punkto Breitband und Mobilfunk ist die Donaustadt mit einer Netzabdeckung von über 90 Prozent Spitzenreiter und hat extra ein eigenes Telekommunikations-Unternehmen installiert, um die Stadt überall mit Glasfaser zu versorgen. - bereits 1000 Kilometer der Kabel und Leitungen wurden verbuddelt. Schließlich ist Audi der wichtigste Arbeitgeber der Stadt, der Automobilhersteller will samt Zulieferern das autonome Fahren voranbringen, was ohne das modernste 5G-Mobilfunknetz eine bloße Utopie bliebe. Doch auch in Sachen Verwaltung schafft die oberbayerische Stadt mit ihren 140,000 Einwohnern den begehrten Platz 2 im Ranking.

Auf den vorderen Plätzen in den Top 10 digitaler Infrastruktur liegen Regensburg auf Platz 4, gefolgt von Bremerhaven, Oldenburg und Hamburg, dann Gelsenkirchen, vor Düsseldorf und Rostock auf Platz 10. Die hinteren fünf Ränge des Rankings belegen Remscheid, Jena, Halle an der Saale, Saarbrücken und Solingen.

Wie schaut es generell aus mit der Verfügbarkeit von 5G-Mobilfunk im Lande? Laut Bundesnetzagentur würden fast 80 Prozent aller Flächen im Bundesgebiet zumindest von einem der Netzbetreiber versorgt. Um noch mehr Druck auf die Anbieter auszuüben, erwägt der Bund auf die Versteigerung auslaufender Frequenzen zu verzichten. Längere Nutzungsrechte für die bisherigen Wettbewerber sollen Anreiz sein, schnell mehr Funkmasten in Betrieb zu nehmen.

Bei der Breitband-Versorgung indessen sieht es immer noch traurig aus. Ende 2022 lagen die Anschlüsse sowohl bei Privat- als auch Geschäftskunden bei gerade mal einem Viertel. Ob sich das Mikado-Spiel aus Kupfer, Glasfaser und Koaxialkabeln unter der Erde schnell genug entwirren lässt, bleibt die große Frage. Bis 2050 erwartet die Bundesnetzagentur eine Abdeckung von 50 Prozent, was den Pionier-Städten noch gelingen mag, aber in Regionen der Zauderer zu weiterer Ernüchterung führen könnte.

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Peter Schubert ist stellvertretender Chefredakteur. Seit dem 1. November schreibt er bei den DWN über Immobilien, Politik und Wirtschaft.


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