Politik

Berlin will Bürger-Votum ignorieren und den alten Flughafen Tempelhof bebauen

Berlins Bürger sind seit Jahren stolz darauf, dass sie erfolgreich für den ehemaligen Flughafen Tempelhof als Freifläche mitten in der Hauptstadt gekämpft haben. Die Landesregierung will sich nun wegen der Wohnungsnot über das Votum hinwegsetzen. Bebauung durch die kalte Küche, nennen es Kritiker. Eine Blaupause auch für andere Kommunen bundesweit?
02.01.2024 16:43
Aktualisiert: 02.01.2024 16:43
Lesezeit: 4 min
Berlin will Bürger-Votum ignorieren und den alten Flughafen Tempelhof bebauen
Wohncontainer für Geflüchtete vor dem früheren Hangar auf dem ehemaligen Flughafen Berlin-Tempelhof: Vor dem Hintergrund der Wohnungsnot ist das alte Flugfeld im Berliner Senat wieder im Gespräch für Wohnungsbau. (Foto: dpa) Foto: Bernd von Jutrczenka

Die Wohnungsnot ist kein spezielles Berliner Problem. Aber wie es die Hauptstadt zu lösen versucht, findet dann doch oftmals bundesweite Beachtung. In Zentrum Berlins weckt derzeit mal wieder der alte Flughafen Tempelhof Begehrlichkeiten bei Politik und Immobilienwirtschaft. Nach einem Volksbescheid anno 2014 als Freifläche gesichert und somit eigentlich für jegliche Art von Bebauung sakrosankt, scheinen sich die Regierenden über dieses Votum mit fadenscheinigen Argumenten hinwegsetzen zu wollen. Nach dem Motto: Was schert mich mein Geschwätz von gestern, soll zehn Jahre später plötzlich alles anders kommen.

Es geht nicht um das Ob, sondern das Wie

Vor allem die schon seit Jahrzehnten in Berlin für das Bauen verantwortlichen Sozialdemokraten nehmen es ihren Wahlbürgern bis heute übel, dass sie offenkundig ganz eigene Vorstellungen von Stadtentwicklung haben und diesen mit der Volksabstimmung auch lauthals Gehör verschafften. Insbesondere der ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), unter seinem Parteifreund Klaus Wowereit lange Jahre bereits zuständiger Bausenator Berlins, sieht sich bis heute als Don Quijote über die weiten Wiesen des alten Airports reiten in seinem immerwährenden Kampf gegen Windmühlen.

Sein früherer Staatssekretär Klaus Gaebler, Gefolgsmann und nicht nur Parteifreund, soll es nun richten als neuer Bausenator des schwarz-roten Berliner Senats. In großer Koalition ist auf sein Geheiß hin im Dezember sang- und klanglos beschlossen worden, einen internationalen Ideenwettbewerb zur Bebauung des Tempelhofer Feldes zu starten. Ziel sei es, sich mit einer stadtweiten Debatte einer Neubewertung des Tempelhofer Feldes und einer möglichen Änderung des Tempelhof-Gesetzes anzunähern. Gaebler schwebt eine „behutsame Randbebauung" des Flughafengeländes vor, wie er nach einer Senatssitzung Anfang Dezember sagte. Wobei es im Verfahren „nicht auf das Ob, sondern das Wie ankommt", fügte der Bausenator patzig hinzu.

500 ausgewählte Berliner sollen sich beteiligen

Die Wut-Bürger vom 25. Mai 2014, jenem denkwürdigen Wahlsonntag, können sich nur verdutzt die Augen reiben. Ist es nicht geltendes Recht, dass das Flughafenareal freibleibt und eben nicht mit Wohnungen bebaut werden soll - egal ob nur ein Randstreifen, in Gänze oder überhaupt? Wie lange wird abgestimmt, bis es passt?

Fakt ist, dass am Rande des alten Terminals bereits jetzt eine Flüchtlingsstadt auf dem alten Flughafengelände in Tempelhof entstanden ist , wie auf der Luftaufnahme dieses Artikels bestens zu erkennen ist. Nun gut, sagen nicht wenige besorgte Bürger, es handelt sich um eine Notlage, und irgendwo müssen die Container-Unterkünfte ja hin. Dass nun aber, quasi durch die kalte Küche, gleich das gesamte, mühsam auf der Straße durchgeboxte Tempelhof-Gesetz ausgehebelt werden soll, fuchst schon viele Bürger - egal welcher Couleur oder parteipolitischen Präferenz.

Im Gesetzestext. in Kraft getreten am 15. Juni 2014, heißt es: „Ziel des Gesetzes ist es, die wertvollen Eigenschaften des Tempelhofer Feldes (...) dauerhaft zu erhalten und vor Eingriffen, welche sie gefährden oder verändern können, zu schützen." Wie um Himmels Willen wird man so ein Gesetz nur wieder los, darüber scheint man sich im Roten Rathaus und dem Berliner Abgeordnetenhaus schon lange den Kopf zermartert zu haben. So einfach mit Mehrheitsbeschluss des Parlaments Volkes Wille zu überstimmen, könnte schlecht ankommen beim Wahlvolk. Eine neue Volksabstimmung indessen erschien selbst den mutigsten Abgeordneten als zu absurd. „Mein Eindruck ist, dass die Beteiligten schon der Meinung sind, es muss irgendeine Form der Abstimmung geben", gab der Bausenator zu bedenken, die Entscheidung vorwegnehmen, gehöre sich nicht.

Volksbefragung von oben

Deshalb soll stattdessen nun der Öffentlichkeit ein bisschen Bürgernähe vorgegaukelt werden: Ein sogenannte „Bürger-Werkstatt" mit 500 repräsentativ ausgewählten Tribunen bzw. ehrenamtlichen Bauexperten sollen als Feigenblatt herhalten, wenn es dann anno 2025 heißen wird: Alle Experten sind sich endlich einig und zutiefst der Überzeugung, dass die Bebauung des beliebten Parkgeländes das Beste für die Stadt ist. Die Partei des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner (CDU) nennt das Vorhaben prompt eine „Volksbefragung von oben". Der baupolitische Sprecher der Berliner Union, Christian Gräff, wird nicht müde, dies der Lokalpresse zu verklickern. Als Vertreter der Immobilienwirtschaft kennt Gräff das optimale Procedere am Bau. Parallel sollen jedenfalls schon einmal Stadtplaner und Architekten ihre Vorstellungen per Ideenwettbewerb einreichen können.

CDU und SPD so einig wie lange nicht

So viel Gemeinsinn war zwischen CDU und SPD schon lange nicht mehr. Dass die Grünen prompt scharfe Kritik üben und die Naturschützer Protest ankündigen, ist über die Feiertage der Harmonie dabei fast untergegangen. Werner Graf, Fraktions-Vorsitzender Grünen amüsierte sich lediglich über die vom Senat für das Frühjahr geplanten „Ablenkungswettbewerbe". Tilmann Heuser, Landesgeschäftsführer des Bund Berlin, nannte das Manöver der Regierung durchschaubar und eine „gesteuerte Veranstaltung". So richtig scheinen beide Tempelhof-Schützer noch nicht erkannt zu haben, dass der Senat über die Phase der Versuchsanordnung längst hinaus ist. Wettbewerbe sind schließlich keine wissenschaftliche Studien, sondern Kundenaufträge.

Und auch die repräsentativ ausgewählten Bürgervertreter werden sich wohl kaum durch Widerstand auszeichnen. Wie erklärte doch Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt die Spielregeln bereits im Sommer so schön? „Das genaue Verfahren wird senatsintern abgestimmt." Es gelte die Bedarfe zu ermitteln, auch bei Wohnraum, Büro- und Gewerbeflächen, nicht nur an Grün- und Erholungsflächen. „Dann soll geschaut werden, inwieweit Teile dieser Bedarfe an den Rändern des Tempelhofer Feldes sehr verträglich geplant und realisiert werden können", diktierte Kahlfeldt der Presse. So soll es jetzt auch ablaufen. Dass die Bauverwaltung andernorts teilweise schon seit Jahrzehnten nicht aus dem Knick kommt, weil es üblicherweise ohne B-Planverfahren, Umweltverträglichkeitsprüfungen und vor allem Bürgerbeteiligung nicht mehr geht. Geschenkt, ein ehemaliger Flughafen ist kein schützenswerter Wald, sondern kann wie eine schnöde aufgegebene Gewerbefläche behandelt und neu gewidmet werden. Tempelhof-Gesetz hin oder her.

Blaupause für andere Städte und Bundesländer

Insofern können jetzt auch andere Bundesländer oder Kommunen auf eine ganz neuartige Blaupause aus der Hauptstadt zurückgreifen. Einfach mal die Zeit zurückdrehen in die Zeit des Absolutismus. Wie also wäre es, wenn die Bürgermeister in Eigenmacht wieder verstärkt dazu übergeben, am Stadtrand der Städte oder auch Dörfer auf Ackerflächen mir nichts, Dir nichts neues Bauland auszuweisen? Flächenfraß ist zwar inzwischen eine feste gesetzliche Größe, selbst auf EU-Ebene und nicht für Bund und Länder. Aber wenn es denn dem allgemeinen Gemeinwohl dient? Und wo liegen die besten Lagen für die Immobilienwirtschaft brach? In den Labyrinthen der Laubenpieper, wie sie in Berlin heißen. Also könnten die großen Städte demnächst einfach der Dekret die wenig effizienten Kleingarten-Kolonien auflösen und aufwerten lassen. Warum also erst mühsam Dächer aufstocken und nach Baulücken suchen?

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Peter Schubert

                                                                            ***

Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.

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