Die Hunte ist ein bundesweit eher wenig bekannter Nebenfluss der Weser, der hauptsächlich in der norddeutschen Tiefebene Moore, Geest und Marsch durchfließt. Als beschaulich würden die Bürger Oldenburgs ihr Heimat-Gewässer im Ammerland bezeichnen. Unter normalen Umständen. Doch im ganzen Nordwesten Niedersachsens ist von der Weser bis hinüber zur Emsmündung derzeit nichts mehr normal. Von einer Katastrophe wie im Ahrtal im Juli 2021 kann zwar keine Rede sein, aber nur wenige haben hier jemals ähnliches erlebt. Zum Glück sind die Menschen der Region für ihre stoische Gelassenheit bekannt, auch wenn sich vor ihren Augen die Schäden auftürmen.
Auch nach mehr als einer Woche des Dauerregens bleibt die Hochwasserlage in einigen Regionen Niedersachsens angespannt. Die Pegelstände mehrerer Flüsse liegen über der höchsten Warnstufe. Laut Lagebericht des niedersächsischen Landesbetriebes für Wasserwirtschaft, Küsten und Naturschutz müsse sogar mit noch höheren Ständen gerechnet werden. Es drohten Überschwemmungen einzelner Grundstücke, Straßen und Keller. Von den in Seen verwandelten Wiesen und Landwirtschaftsflächen ganz zu schweigen.
Wenn das Grundwasser im Keller steht
Tausende Hilfskräfte sind weiterhin im Dauereinsatz, um Uferböschungen und Deiche zu sichern, die Flussläufe abzufahren, zu kontrollieren und nach gefährlichen Durchweichungen abzusuchen. Mobile Deichsysteme wie man sie in Frankreich nutzt, sind ins Land transportiert worden, um sie wie im Ort Winsen an der Aller bei Brüchen zu nutzen. Auch andere Nachbarländer wie Dänemark, die Niederlande, Österreich, Schweden, die Slowakei und Ungarn haben Hilfe angeboten und Solidarität versprochen.
Menschen, die wie in Lilienthal bei Bremen aus ihren Häusern evakuiert worden sind bzw. ihre Häuser präventiv verlassen haben, gibt es zwar nur vereinzelt. Doch wer nicht nach Hause zurück kann, hilft die Erkenntnis, es könnte alles noch schlimmer sein, herzlich wenig. Wenn zum Beispiel die Heizung im Keller ausgetauscht werden muss, weil das Grundwasser im Haus hoch gedrückt und für Schäden gesorgt hat. Oder falls die Kanalisation das Regenwasser ins Haus zurückfließt, weil ein Rückflussventil fehlt. Dann gilt es, die Versicherungspolice genauer zu studieren und zu hoffen, dass die Versicherung für entstandene Schäden tatsächlich eintritt.
Kanzler Olaf Scholz (SPD), der zusammen mit Bundes-Umweltministerin Steffi Lemke von den Grünen in Sangerhausen durch das Hochwasser der Helme in Sachsen-Anhalt gestiefelt ist und aus einem Helikopter die neue Seenlandschaft am Unterharz von oben inspizierte, wird in der Wesermarsch erst einmal nicht erwartet. Hier kann er kaum Punkte sammeln, die Bürger helfen sich lieber selbst, so gut sie können. Noch gibt es keinen Ruf nach Entschädigung, nur die Politik gefällt sich wohlfeil in ihrer Betriebsamkeit bei selbst nur vermeintlichen Krisen. Wohlgemerkt, die Flut durch das Ahrtal hat 135 Menschen das Leben gekostet. Im Saarland , wo die Pegel gestern fielen und weitere Gefahren deshalb erst einmal gebannt scheinen, wird hingegen mit einer gewissen Erleichterung Bilanz gezogen.
Mit Geldscheinen den Keller trockenlegen
So kommt es, dass kaum jemand man im ländlichen Niedersachsen die jüngsten Gedankenspiele im fernen Berlin verstehen kann, wo die SPD und Grünen ihre Bundesregierung bereits wieder zum Schuldenmachen nötigen wollen. Die berüchtigte Lockerung der Schuldenbremse geistert hier als Phantom durch die Moorlandschaft, als ob frische Geldscheine jeglichen Niederschlag in Deutschlands Niederungen aufsaugen könnten.
Die Rufe nach dem Aussetzen der Schuldenbremse werden trotzdem immer lauter. „Diese Katastrophe wird den Staat voraussichtlich einen erheblichen Milliardenbetrag kosten, der nicht aus den laufenden Haushalten gedeckt werden kann", glaubt der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, zu wissen. Er ruft in letzter Zeit immer häufiger nach Geld, so scheint es, und hält die verfassungsgemäße Ausnahme von der Schuldenbremse immer wieder als gegeben. Sowohl Bund als auch einige Länder wie Niedersachsen bräuchten dringend finanzielle Hilfen.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund sieht das interessanterweise ganz anders. Vor Ort hält man nichts von einem Aussetzen der Schuldenbremse wegen der Hochwasserlage und wundert sich wieder einmal über die Professoren mit ihrem makro-ökonomischen Befund vom Schreibtisch aus. „Dazu die Schuldenbremse zu lockern, da sehe ich aktuell überhaupt keinen Anlass", sagte der Präsident des kommunalen Spitzenverbands, Uwe Brandl. Er rate zu mehr Gelassenheit und Zurückhaltung. „Wir werden alle fünf Minuten irgendeine andere schwierige Situation vorfinden, die einen Rechtfertigungstatbestand dafür liefern könnte, die Schuldenbremse zu lockern."
Stattdessen sollte darüber nachgedacht werden, so die Meinung in Städten und Gemeinden, wie mit den vorhandenen finanziellen Ressourcen möglichst effizient umgegangen werden könne. „Momentan würde ich für eine Priorisierung, für eine strikte Ausgabenpolitik plädieren", sagte Brandl. Für Marcel Fratzscher hingegen ist das genau der falsche Weg. Als Wirtschaftswissenschaftler sieht er alternativ nur einen härteren Sparkurs der Bundesregierung. Der aber würde die deutsche Wirtschaft in schwieriger Lage weiter schwächen und dem Land seinen Wohlstand kosten.
In der SPD scheinen viele jede Notlage nutzen zu wollen, um sie für finanzielle Spielräume zu nutzen. SPD-Vizefraktionschef Dirk Wiese plädiert - pro domo - gleichfalls für ein Aussetzen der Schuldenbremse, falls der Bund bei der Bewältigung der Hochwasser-Folgen einspringen müsste. Derlei Stimmen ließen sich fortsetzen.
Noch gibt es keine Schadensbilanz
Die Bundesregierung hält dagegen den Zeitpunkt für noch nicht gekommen, um über einen solchen Schritt überhaupt zu beraten. Regierungssprecher Steffen Hebestreit machte deutlich, dass die Krise noch andauert und das Ausmaß der Schäden gar nicht absehbar sei. Erst nach der Akutphase könnten Bund, Länder und Kommunen ermessen, wie groß das Schadensbild sei und wie damit umgegangen werden muss. „Wenn dann eine so hohe Schadenssumme zusammenkommen sollte, was wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht unterstellen, dann kann auch der Bund handeln", sagte Hebestreit unter Verweis auf das Grundgesetz. Dieses sieht vor, dass die Schuldenbremse im Falle von Naturkatastrophen ausgesetzt werden kann.
Dabei dürften die wahren Probleme die Bürger zuhause treffen. Wenn bestehende Gas- oder Ölheizungen kaputt sind und nun ganz unerwartet die Frage nach Ersatz ansteht. Immerhin gilt seit Januar 2024 das neue Gebäude-Energiegesetz. Und das macht umweltfreundliche Neugeräte erforderlich. Wie gestreng wird damit in dieser Hochwasser-Lage verfahren? Gut möglich, dass nur deshalb, weil die Wärmeplanung in den jeweiligen Kommunen noch fehlt, keine Sanktionen drohen. Die klimagerechte Optimierung der Heizung wird aber hinter der Wiederherstellung der Wärmeversorgung hinten anstehen müssen. Diese Lehre dürfte hoffentlich auch die Ministerialbürokratie im Hause des grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck beherzigen.
Installateure können nicht auf Förderbescheide warten
Denn Installateure können nicht abwarten, bis endlich bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) Förderanträge gestellt werden können - das dürfen private Hauseigentümer nämlich erst Ende Februar. Härtefall-Regelungen sieht Habecks Gesetz durchaus vor, ob die Hochwasser-Lage in diese Kategorie fällt, ist freilich nicht ausgemacht. Genauso wenig ist klar, wie sich die Versicherungen verhalten. Wohngebäude-Versicherungen und auch Hausrat-Versicherungen sind oft sehr unterschiedlich ausgestaltet. Experten warnen vor versteckten Spitzfindigkeiten angesichts der aktuellen Hochwasserlage.
So sind Naturgefahren häufig nicht im Versicherungsumfang mit eingeschlossen. Zumeist wäre eine Zusatz-Police für Elementarschäden erforderlich. Tatsächlich sind vielerorts auch gar nicht die Häuser überflutet worden, sondern könnte der angestiegene Grundwasserpegel Ursache für irreparable Schäden an Einrichtung oder gar Fundament des Hauses. Grund- und Schichtenwasser gilt oft aber gar nicht als Überflutung. Oder der Starkregen hat einen Rückstau in der Abwasserentsorgung verursacht. Dann kommt es darauf an, ob der Versicherer im Vertrag eine Rückstauklappe eingefordert hat. Die Fallstricke verstecken sich wie so oft im Kleingedruckten.
Streit um Pflichtversicherung bei Elementarschäden
Kein Wunder, dass Grünen-Chefin Ricarda Lang bei ihrem Ausflug ins matschige Krisengebiet wieder mal „dauerhaften Versicherungsschutz" eingefordert hat und die Kosten für derlei Elementarschäden der Allgemeinheit aufbürden möchte. Lukas Benner, der grüne Rechtspolitiker, hat die gewünschte Versicherungspflicht bei Justizminister Marco Buschmann (FDP) in Form eines „sozialverträglichen Konzepts" eingefordert. Was der liberale Hüter des Rechtsstaates postwendend abgelehnt hat. Nach Berechnungen der Versicherungsbranche kämen je nach Haus-Größe 100 bis 2000 Euro jährlich auf Hauseigentümer zu, erinnerte eine Sprecherin. Das mache das Wohnen nur „unnötig teuer", so Buschmann. Die Bundesregierung soll von den Vorschlägen „Abstand nehmen". Worauf der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Johannes Fechner, Buschmann vorwarf, „die geschädigten Immobilien-Eigentümer im Stich zu lassen".
Tatsächlich hat in der Vergangenheit die Ministerpräsidenten-Konferenz den breiter aufgestellten Versicherungsschutz für die Folgen von Naturgewalten wie im Ahrtal befürwortet. Was fehlt, ist weiterhin ein Konzept, welches der Versicherungsbranche gefällt. Dabei geht es vor allem um die Frage, wie der Staat quasi als Rückversicherer agieren könnte für den nächsten Fall der Fälle. Staatshaftung, wenn es wieder mal in Kübeln vom Himmel prasselt.