Weltwirtschaft

Kann Deutschland 2040 ein Technologie-Vorreiter sein?

Lesezeit: 4 min
17.01.2024 17:02
Um die ambitionierten politischen Ziele zu erreichen, steht Deutschland vor gewaltigen Herausforderungen. Das birgt Risiken, aber auch große Chancen. Der deutsche Tüftlergeist ist gefragt.

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Kann Deutschland in 20 Jahren eine führende Rolle in Schlüsseltechnologien einnehmen? Für viele mag das nach einer technologischen Utopie klingen. Tech-Experten wie der ehemalige Manager und FDP-Politiker Thomas Sattelberg schlagen jedenfalls Alarm.

„Wir lieben unsere alten Konzerne, auch wenn sie margen- und innovationsarm dahinvegetieren. Wir können uns eigentlich eine neue Ökonomie nicht vorstellen“, meint Sattelberger im Interview mit dem Fachmagazin 1E9. Er sieht Deutschland in eine große Krise rutschen und einen „schmerzlichen Transformationsprozess“ kommen, der 10 bis 15 Jahre dauern würde.

Zugleich sieht Sattelberger darin auch etwas Positives. „Die Krise dieses Landes wird uns die Chance geben, uns zu erneuern.“ In diesem Artikel wird es mal nicht nur um strukturelle Probleme gehen. Stattdessen wollen wir vor allem erörtern, wo es vorangeht, welche Unternehmen Innovation fördern und somit dazu beitragen könnten, dass Deutschland 2040 tatsächlich ein Technologie-Vorreiter sein kann.

Nachhaltige Infrastruktur

Im Jahr 2040 könnten sich deutsche Städte signifikant verändert haben. Schon heute gibt es Konzepte für intelligente Großstädte („Smart Cities“), etwa in Hamburg, wobei KI-Technologien hier eine große Rolle spielen würden.

Konkreter sind da die Ziele der mitunter etwas unrealistischen Mobilitäts- und Heizwende. Wenn es nach der aktuellen Bundesregierung geht, soll perspektivisch der gesamte Transport- und PKW-Sektor auf CO2-Emissionen verzichten und sämtliche Häuser netto keinerlei Emissionen mehr verursachen. Demnach soll ein dichtes Netz von Elektroautos und autonomen Fahrzeugen die Straßen dominieren und Solardächer und Wärmepumpen das architektonische Stadtbild prägen.

Bis 2040 kommen in diesem Kontext viele konkrete Ziele zusammen beziehungsweise nähern sich ihrem Enddatum. Ab 2035 dürfen keine Verbrennerautos mehr zugelassen werden. 2044 enden die Übergangsfristen für fossile Heizsysteme in Rahmen des Gebäude-Energie-Gesetzes. Bis 2050 müssen gemäß der EU-Gebäuderichtlinie sämtliche Gebäude klimaneutrale Passivhäuser sein.

Vorherrschaft der grünen Energie

Damit die grüne Transformation und Elektrifizierung Deutschlands funktioniert, sind gewaltige Mengen an relativ günstigem Strom unabdingbar. Genau hier hapert es aber.

Deutschland ist weltweit ein Vorreiter im Bereich der erneuerbaren Energien.

Solar- und Windparks bedecken weite Teile der Landschaft und sind mittlerweile gemeinsam mit der spätestens 2038 abgeschalteten Kohlekraft die bedeutendsten Stromquellen, können aber je nach Wetterlage nicht ausreichend Energie bereitstellen. Unter anderem deshalb ist Strom hierzulande so teuer.

Bei den DWN haben wir die Energiewende oft genug kritisiert. Die Zukunft mag sich zurzeit zwar trüb darstellen, aber vielleicht sieht es ja schon in 10 Jahren mit einer neuen Regierungskonstellation und sinnvollen Strukturreformen wieder ganz anders aus.

Grüne Technologien können auch ein Wachstumstreiber sein. Die Begeisterung der Deutschen für die Lösung komplizierter technischer Herausforderungen und ihr Anspruch auf exzellente Qualität sind weltweit anerkannt und entscheidend für Deutschlands viele Jahrzehnte lang erfolgreiches Wirtschaftsmodell als Veredler von Rohstoffen aus dem Ausland.

Lösungsansätze für das Energieproblem

Neuartige Energiespeichertechnologien könnten eine stabilere Energieversorgung gewährleisten. Start-ups wie CMBlu Energy mit ihrem „Solid-Flow-Akku“ und Kraftblock mit seinen Konzepten zur Wiederverwertung, Speicherung und Transport der an die Umwelt abgegebenen Wärmeenergie von Industrieprozessen arbeiten an exakt solchen fortschrittlichen Batteriesystemen. Man kann sich auch vorstellen, dass 2040 deutsche Unternehmen globale Standards im Recycling von Elektroauto-Batterien und Solarpanelen setzen.

In diesem Kontext ist es sehr interessant, dass in Deutschland momentan eine Lithium-Industrie entsteht. 2021 wurde das interdisziplinäre Lithium-Institut ITEL gegründet – unter anderem, um den Aufbau von deutschen Lithium-Raffinerien zu begleiten. Im Oberrheingraben im pfälzischen Landau liegt indes wahrscheinlich das größte Vorkommen des wichtigsten Batteriemetalls in ganz Europa. 40 Prozent des europäischen Bedarfs an Lithium und bis zu 100 Prozent des deutschen Verbrauchs sollen hier schlummern.

Die australisch-deutsche Rohstofffirma Vulcan Energy will jetzt eine große Bergbau-Anlage errichten, die übrigens komplett ohne fossile Brennstoffe auskommen und nur mit der unterirdisch gespeicherten Wärme angetrieben werden soll. Die gesamten Investitionskosten für die erste Projektphase inklusive Bohrungen werden mit rund 1,4 Milliarden Euro beziffert.

Der deutsche Tüftlergeist ist auch bei der Kernfusion gefragt. Diese Energieform soll atomare Fusionsvorgänge innerhalb der Sonne replizieren. Das Potenzial ist gigantisch, die Umsetzung scheitert bis jetzt vordergründig an der riesigen Energiemenge, die in die experimentellen Kernfusionsreaktoren gespeist werden muss, bevor man überhaupt Energie zurückbekommt.

In den USA hat im Dezember 2022 die National Ignition Facility (NIF) bei einem Versuch einen kleinen Energie-Überschuss erzielt und damit die Möglichkeit einer Lösung des Problems demonstriert. Ende 2023 wurde in Japan der weltweit größte Kernfusion-Versuchsreaktor „JT-0SA“ eröffnet. Auch China will in großem Stil Kernfusion nutzen. Als Treibstoff für Fusionsreaktoren ist Helium nötig. Auf der Erde ist dieses Element kaum vorhanden, dafür aber in großer Menge auf dem Mond.

Deutsche Ingenieurskunst kann hier mit Sicherheit einen Beitrag leisten, auch wenn Deutschland im globalen Wettlauf um die Besiedlung des Mondes derzeit keine große Rolle spielt. Das erst im Januar 2023 gegründete Start-up „Proxima Fusion“, eine Ausgründung des Max-Planck-Institutes für Plasmaphysik, beweist dies.

An Bord sind unter anderem ehemalige Forscher von Google, Tesla, MIT und Harvard. Finanziert wird Proxima von namhaften Risikokapitalgebern und Industriekonzernen, darunter Bosch. Bis 2030 soll ein Experiment mit Netto-Energiegewinn gelingen.

Kernfusion, falls sie denn jemals praktikabel sein wird, liegt jedoch viele Jahrzehnte in der Zukunft, weit über 2040 hinaus. Kommt es also doch noch zu einer Rückbesinnung auf die Atomkraft, wie sie global abgesehen von Deutschland stattfindet? Es würde nicht viel Zeit erfordern, die abgeschalteten Atommeiler wieder ans Netz zu nehmen und bis 2040 könnte es angesichts des massiv wachsenden Strombedarfs schlichtweg alternativlos sein.

Der Hauptnachteil von Kernkraft gegenüber der Fusionsenergie ist die Entstehung von radioaktiven Brennstoffabfällen. Abhilfe schaffen könnten Dual-Fluid-Reaktoren, die solche Abfälle direkt energetisch nutzbar machen. Ein spannendes Feld sind auch die kleiner dimensionierten Mini-Nuklearreaktoren.

Unterdessen forscht China intensiv an sogenannten „Salzschmelz-Reaktoren“, die mit Thorium statt Uran betrieben wurden. Solche Reaktoren, bei denen der Kernbrennstoff in geschmolzenen Salzen gelöst ist, gelten als sicherer und effizienter und produzieren weniger Abfall als herkömmliche wassergekühlte Reaktoren. China plant ihren Einsatz auch für Containerschiffe mit Nuklearantrieb.

Bei AKW-Technologien der nächsten Generation könnte Deutschland eigentlich vorne mitmischen. Bestehende deutsche Kern- und Kohlekraftwerke waren beziehungsweise sind weltweit führend, auch was Schadstoff- und CO2-Minimierung angeht.

Fachkräftemangel, KI und Industrie 4.0

Allein der deutsche Tüftlergeist wird nicht ausreichen, um die ambitionierten „grünen“ Ziele zu erreichen. Wir sind eine überalterte Gesellschaft mit einem Fachkräftemangel, der in technischen und mechanischen Berufen besonders akut ist.

Künstliche Intelligenz verspricht, hier der Heilsbringer zu sein. KI-Technologien und das „Internet der Dinge“ (IoT), also die Vernetzung von (intelligenten) Maschinen, soll massive Effizienzsteigerungen bringen und damit Arbeitsplätze, die in Zukunft immer schwerer zu besetzen wären, überflüssig machen. Schätzungen der Beratungsfirma McKinsey zufolge dürfte grob die Hälfte der heutigen Arbeitstätigkeiten zwischen 2030 und 2060 automatisiert werden. KI-Systeme erhöhen die Arbeitsproduktivität enorm und ermöglichen Mitarbeitern sich im Arbeitsalltag auf produktive(re) Tätigkeiten zu fokussieren.

Gerade Deutschland mit seiner rezessiven Wirtschaft inklusive stagnierender, zuletzt sogar rückläufiger Produktivität könnte einen KI-induzierten Wirtschaftsaufschwung gut gebrauchen. Ebenso könnte KI im strauchelnden Bildungswesen helfen, durch eine generelle Steigerung der Effizienz und zum Beispiel personalisierte Lernplattformen. Gut ausgebildete Arbeitskräfte – insbesondere im MINT-Bereich – sind entscheidend für die Zukunft.

Laut dem Münchner „AppliedAI Institute for Europe“ entwickeln mehr als 500 Start-ups in Deutschland künstliche Intelligenz. Von klassischen Sprachbots über Gesichtserkennung bis hin zu medizinischen Algorithmen und Datenanalyse-Software für militärische Anwendungen.

Hoffnung für die Zukunft macht auch unsere Rolle in der additiven Fertigung, bekannt als 3D-Druck. Laut europäischem Patentamt liegt Deutschland hinter den USA und Japan auf Platz Drei bei den Patentanmeldungen in diesem Schlüsselsegment. 3D-Druck spielt eine bedeutende Rolle in der Automatisierung von Herstellungsprozessen und deutsche Unternehmen wie Siemens sind sehr gut positioniert, um vom Automatisierungs- und Digitalisierungstrend zu profitieren.

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Jakob Schmidt ist studierter Volkswirt und schreibt vor allem über Wirtschaft, Finanzen, Geldanlage und Edelmetalle.


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