Politik

Die Zweifel am Sinn des Bürgergelds wachsen

Was als großer Wurf geplant war, entwickelt sich zunehmend zu einer Dauerbaustelle. Das Bürgergeld steht massiv in der Kritik.
07.01.2024 15:16
Lesezeit: 3 min
Die Zweifel am Sinn des Bürgergelds wachsen
Die Zweifel am Bürgergeld wachsen: Arbeitsminister Hubertus Heil. (Foto: dpa) Foto: Bernd von Jutrczenka

Es sollte ein großer Wurf werden und Hartz IV ablösen. „Das Bürgergeld ist die größte Sozialreform seit Jahrzehnten“, sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil vor einem Jahr. Zwölf Monate und eine Haushaltskrise später steht das Bürgergeld unter Beschuss von Kritikern - und der SPD-Arbeitsminister hat Pläne für Verschärfungen in die Gesetzespipeline der Ampel-Regierung gegeben.

Die sogenannte Gerechtigkeitslücke

Die Union trommelt seit Wochen gegen die Grundsicherung in geltender Fassung. So kündigte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann an, seine Partei werde das Bürgergeld in jetziger Form abschaffen. Denn der Hartz-IV-Nachfolger öffne eine „Gerechtigkeitslücke“: Es gebe Fälle, in denen Arbeitnehmer am Monatsende weniger Geld hätten als Bürgergeldempfänger. CSU-Chef Markus Söder erklärte: „Wer arbeitet, muss erkennbar mehr bekommen als jemand, der nicht arbeitet.“ Laut einer Forsa-Umfrage fürchten 64 Prozent der Bevölkerung, wegen der Erhöhung des Bürgergeldes um zwölf Prozent zum 1. Januar könnten sich Beziehende gegen reguläre Jobs entscheiden.

Für Alleinstehende stieg der Satz um 61 auf 563 Euro im Monat. Erst vor wenigen Tagen sagte Finanzminister Christian Lindner (FDP) in einem Interview, die Berechnungsmethode müsse überprüft werden, „damit die Inflation nicht überschätzt wird“.

Doch die Entwicklung der Regelsätze dürfte Anfang kommenden Jahres auch ohne solche Eingriffe viele Betroffene enttäuschen. „Nächstes Jahr könnte es eine Nullrunde geben“, sagt Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. Denn seit der Bürgergeld-Reform wird der Regelsatz in zwei Schritten erhöht. Es gibt die Basis-Fortschreibung - sie orientiert sich zu 70 Prozent an der Inflation und zu 30 Prozent an den Lohnsteigerungen der Vorjahre. Dazu kam vergangenes Jahr nun eine ergänzende Fortschreibung anhand der starken Inflation im zweiten Quartal 2023. Doch dieser zweite Posten fällt bei der Berechnung der nächsten Anpassung der Regelsätze für Anfang 2025 wieder weg. Zwar wird die Anpassung für 2025 erneut in zwei Schritten berechnet - aber die dann maßgebliche Inflation sinkt aktuell. „Es ist absehbar, dass die ergänzende Fortschreibung stark schrumpfen und die Basisfortschreibung fast auffressen wird“, sagt Weber. Die Höhe des Bürgergelds dürfte 2025 stagnieren. Auch Weber macht sich deshalb für Änderungen bei der Berechnung der Sätze stark - allerdings nicht für eine Dämpfung von Steigerungen, sondern für mehr Gleichmäßigkeit. „Sonst gibt es wieder öffentliche Auseinandersetzungen, das Hin und Her ist aber gar nicht nötig“, sagt der Forscher. Abhilfe könnte laut dem Experten schaffen, das Bürgergeld künftig stärker von der jeweils aktuellen Inflations- und Lohn-Entwicklung abhängig zu machen - in einem Schritt. Doch es ist nicht die einzige Reform-Idee, um das Bürgergeld besser zu machen.

Forscher: Arbeit lohnt nicht immer

Forscher geben der Opposition teils recht bei der Kritik, dass sich ein Arbeitseinkommen für Beziehende von Leistungen nicht immer lohnt. Der Arbeitsmarktexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft IW, Holger Schäfer, erläutert: „Bei großen Bedarfsgemeinschaften mit Erwerbseinkommen besteht oft ein Anspruch auf ergänzende Leistungen: Bürgergeld, Kinderzuschlag oder Wohngeld.“ In der Summe habe ein Erwerbstätiger zwar immer mehr Geld zur Verfügung als ein Bürgergeld-Empfänger, der nicht arbeitet. „Das heißt aber nicht unbedingt, dass sich arbeiten für jeden auch lohnt.“ IAB-Forscher Weber sagt: „Fehlanreize gibt es für den, der eine bestehende Beschäftigung ausweitet und in einem größeren Haushalt lebt.“

Ein Beispiel eines Gutachtens der Institute ifo (München) und ZEW (Leipzig) im Auftrag von Heils Ministerium zeigt den geringen finanziellen Vorteil von Mehrarbeit für den Fall einer alleinerziehenden Mutter mit zwei Kindern. Ohne Arbeitseinkommen fließen demnach 2169 Euro Sozialleistungen, bei einem Minijob-Lohn von 520 Euro bleiben 2353 Euro auf dem Konto, bei 1000 Euro insgesamt 2823 Euro, aber bei 1500 Euro Arbeitseinkommen brutto nur wenig mehr - nämlich 2907 Euro. „Es existieren also nach wie vor Einkommensbereiche“, so die Studie, „in denen sich zusätzliches Bruttoerwerbseinkommen kaum und mitunter sogar negativ auf das verfügbare Einkommen auswirkt.“ IAB-Forscher Weber erläutert, mit dem Bürgergeld seien Anreize zum Arbeiten zwar etwas verbessert worden. Doch es bleibe kompliziert - Leistungen werden je nach Einkommen zu verschiedenen Anteilen gekürzt. Weber schlägt vor: Sozialleistungen zu bündeln - einheitlich 30 Prozent sollten anrechnungsfrei bleiben.

Zweifel an Heils Sanktionsverschärfung

Sanktionsmöglichkeiten beim Bürgergeld sind im Vergleich zu früheren Hartz-IV-Zeiten moderat: Zehn Prozent bei versäumten Terminen, bis zu 30 Prozent bei absprachewidrig unterlassenen Bewerbungen oder Kursteilnahmen. „Im Ergebnis werden derzeit weit weniger Sanktionen verhängt als vor der Covid-Pandemie“, sagt IW-Forscher Schäfer. Dabei gelte: „Eine Sanktion erhöht die Wahrscheinlichkeit, in Arbeit zu gehen.“ Heil hat nun eine gesetzliche Regelung auf den Weg gebracht, die einen kompletten Wegfall der Leistungen für bis zu zwei Monaten ermöglichen soll, wenn Beziehende „zumutbare Arbeitsaufnahmen beharrlich verweigern“. Doch IAB-Experte Weber bezweifelt, dass „schwarze Schafe“ stets eindeutig auszumachen seien. So sänken mit steigendem Alter oft Chancen und Hoffnungen. „Werden durch Totalsanktionen nicht auch Menschen in prekäre Jobs hineingezogen, bei denen einfach vieles zusammenkommt?“

Der Wechsel von Arbeitslosigkeit in Arbeit ist im Vergleich zur Zeit vor Corona laut Weber gesunken - seit Mitte 2022 vor allem deutlich im Grundsicherungsbereich. „Die Verfestigung der Arbeitslosigkeit läuft weiter.“ Grund sei vor allem der jüngste Wirtschaftsabschwung. Das Bürgergeld soll Betroffenen zu guten Stellen verhelfen - durch Coaching, Weiterbildung und das Aus für den früheren Vorrang in die Vermittlung auch in Helferjobs. Wieder abschaffen will Heil unter aktuellem Spardruck nun den Bürgergeldbonus von 75 Euro pro Monat für Weiterbildungen, die nicht auf einen Berufsabschluss abzielen. Weiterbildungen für einen Abschluss werden weiter mit monatlich 150 Euro unterstützt. Für bestandene Prüfungen fließen Prämien. Doch Geduld ist gefragt, wie Schäfer sagt: „Qualifizierungsmaßnahmen dauern mitunter mehrere Jahre.“

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