Politik

Bundestag: Gereizte Stimmung - Ordnungsrufe nehmen stark zu

Gegen lebhafte Debatten im Bundestag hat niemand etwas einzuwenden - gegen ungebührliches Verhalten schon. Dann setzt es vom Präsidium einen Ordnungsruf. Das geschieht derzeit ziemlich oft. Vizepräsident Kubicki mahnt eine „Rückkehr zum gegenseitigen Respekt“ an. Doch danach sieht es nicht aus!
21.01.2024 11:35
Lesezeit: 2 min
Bundestag: Gereizte Stimmung - Ordnungsrufe nehmen stark zu
Blick in das Plenum des Bundestags kurz vor Beginn einer Sitzung: Ordnungsrufe nehmen stark zu (Foto: dpa) Foto: Kay Nietfeld

Mehrheit der Ordnungsrufe ging an die AfD

Die Stimmung im Land wird gereizter - und im Bundestag werden die Debatten hitziger. Die Folge: Die Zahl der an Abgeordnete erteilten Ordnungsrufe hat stark zugenommen. Im vergangenen Jahr griff das Parlamentspräsidium 51 Mal zu diesem Mittel, um verbale Entgleisungen und andere Verfehlungen zu ahnden. Das war öfter als in der gesamten vorherigen Wahlperiode von 2017 bis 2021, in der nach einer Übersicht des Deutschen Bundestags 49 Ordnungsrufe erteilt worden waren. Allein 30 der 51 Ordnungsrufe im vergangenen Jahr gingen an die AfD, deren Abgeordnete Beatrix von Storch (8) und Stephan Brandner (6) die ersten Plätze einnahmen.

Von Storch war auch eine von zwei Abgeordneten, die ein Ordnungsgeld von 1000 Euro aufgebrummt bekamen - die Steigerung des Ordnungsrufes. Der andere Abgeordnete war Michael Schrodi von der SPD.

Mit Blick auf diese Entwicklung mahnt Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki „eine Rückkehr zum gegenseitigen Respekt und zur Achtung der anderen Position“ an. Es müsse „weniger Hysterie und politische Ausgrenzung“ geben, sagte der stellvertretende FDP-Vorsitzende der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Allen sollte wieder klarer werden, dass in einer funktionierenden Demokratie bloße Ausgrenzung das bessere Argument niemals ersetzen darf.“

Er sei sehr dafür, die parlamentarische Debattenkultur wieder zu beleben. „Aber man kann den politischen Mitbewerber auch intelligent, humorvoll und mit Respekt beleidigen, ohne dass man die Grenze des Anstands oder des Rechts übertreten muss“, sagte Kubicki.

Ordnungsmaßnahmen: Im Abgeordnetengesetz geregelt

Solche Appelle zur Mäßigung gab es bereits früher - sie verhallten aber ungehört. „Jede und jeder Einzelne von uns sollte sich bewusst machen, welche Vorbildfunktion uns als Mitgliedern dieses Hauses zukommt“, sagte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD), als sie im vergangenen September die erste Sitzung nach der Sommerpause eröffnete. Die Menschen nähmen wahr, wie Politikerinnen und Politiker miteinander umgingen. „Wie wir miteinander diskutieren, beeinflusst unsere demokratische Kultur.“

Geregelt sind Ordnungsmaßnahmen im Abgeordnetengesetz sowie in Paragraf 36 der Geschäftsordnung des Bundestags. Dort ist festgelegt, dass der Präsident „Mitglieder des Bundestages, wenn sie die Ordnung oder die Würde des Bundestages verletzen, mit Nennung des Namens zur Ordnung rufen“ kann.

Eine Übersicht der Bundestagsverwaltung über die in jeder Wahlperiode verhängten Ordnungsmaßnahmen zeigt klar: Mit dem Einzug der AfD ins Parlament bei der Bundestagswahl 2017 wurde es dort ruppiger. So wurden unmittelbar davor in der gesamten 18. Wahlperiode (2013 bis 2017) gerade einmal zwei Ordnungsrufe erteilt, in der 17. Wahlperiode war es sogar nur einer gewesen, in der 16. ebenfalls zwei. Allerdings sind die aktuellen Zahlen auch kein Unikum. Besonders hoch her ging es gleich in der ersten Legislaturperiode mit 156 und dann in der 10. (1983 bis 1987) mit 132 Ordnungsrufen.

Kubicki: Ausdruck der aktuellen Zeit

Die starke Zunahme jetzt hält Vizepräsident Kubicki auch für einen „Ausdruck unserer aktuellen Zeit“. Viele Reden - vor allem der AfD - seien darauf ausgerichtet, „im Netz gut anzukommen, um die eigene Blase zu unterhalten“, sagte er. Deshalb werde noch einmal deutlich zugespitzter formuliert. „Generell besorgt mich aber, dass die politischen Fronten immer unversöhnlicher werden. Ein wirklicher Austausch mit Argumenten findet oftmals nicht statt. Viele Abgeordnete verschanzen sich hinter einer ‚Haltung‘, die eher kommunikative Brücken abreißt, als dass sie sie baut.“

Fataler Nebeneffekt aus Kubickis Sicht: Viele Parlamentsreden würden berechenbarer und taugten damit für die Bürgerinnen und Bürger immer weniger als wirkliche politische Entscheidungshilfe. „Ich befürchte, vielen Parlamentariern ist nicht klar, dass sie selbst eine Vorbildfunktion für die Debattenkultur im Land haben.“ (dpa)

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Gasimporte aus Russland: EU-Kommission plant komplettes Aus – welche Folgen das hat
18.06.2025

Russisches Gas fließt trotz Sanktionen weiterhin nach Europa – doch die EU-Kommission will das ändern. Ab 2028 sollen Gasimporte aus...

DWN
Politik
Politik Trump will "echtes Ende": Diplomatie oder einen Kriegseintritt der USA?
17.06.2025

Trumps vorzeitiges Verlassen des G7 Gipfels in Kanada hat viele Fragen offen gelassen. Reporter die Trump auf seiner Rückreise begleitet...

DWN
Politik
Politik Kriegswaffe Hunger? Israel greift erneut Menge bei Gaza-Hilfszentrum an
17.06.2025

Das israelische Militär hat erneut wartende Menschen in der Nähe eines Verteilzentrums für humanitäre Hilfsgüter im Gazastreifen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Slowenien verliert Glanz: Deutsche Firmen zweifeln am Standort
17.06.2025

Deutschlands Wirtschaft verliert das Vertrauen in Slowenien: Hohe Kosten, politische Unsicherheit und Reformstau treiben Firmen in Richtung...

DWN
Technologie
Technologie Starlink gegen den Rest der Welt: Wem gehört der Orbit?
17.06.2025

Während Elon Musk mit Starlink das All kolonisiert, stolpern Amazon, China und Europa hinterher. Geht es im neuen Weltraumrennen wirklich...

DWN
Finanzen
Finanzen Silberpreis bricht aus: Folgt nun eine Rallye bis 50 US-Dollar?
17.06.2025

Anfang Juni hat der Silberpreis die magische Marke von 35 US-Dollar pro Unze geknackt und hält sich seitdem beständig darüber. Damit ist...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Aus Alt wird Auto: EU will Rohstoffe besser nutzen- Mehr Recycling im Auto
17.06.2025

Autos bestehen aus wertvollen Rohstoffen – und viele davon lassen sich wiederverwenden. Damit in Europa künftig mehr Recyclingmaterial...

DWN
Finanzen
Finanzen Goldpreis vor dem Absturz? Citi warnt vor Ende der Rekordrally
17.06.2025

Der Goldpreis steht auf wackligen Füßen: Nach einem Höhenflug von über 30 % warnt Citigroup vor dem Absturz – kommt jetzt der...