Das Kutscherhaus am Berliner Kurfürstendamm war voll bis auf den letzten Platz. Der Andrang und die volle Aufmerksamkeit (aber auch Neugier) der hauptstädtischen Stadtplaner und Architektenschaft galt dem bayerischen Holzbau-Spezialisten Prof. Florian Nagler von der TU München. „Einfach (um)bauen“ lautete das Motto seines Vortrages beim Architekturpreis Berlin e.V. - man wünschte sich, die Bauexperten des Deutschen Bundestages und der 16 Landes-Parlamente hätte allesamt zuhören können.
Mehr als 20.000 Bau-Vorschriften gibt es nach Angaben des Zentralen Immobilienausschusses, der die Interessen großer Immobilien-Unternehmen und Fachverbände vertritt. Das seien viermal so viele wie noch anno 1990. Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) hat sich zwar vorgenommen, den bürokratischen Wahnsinn zu stoppen. Wie das ausgehen wird, kann man sich vorstellen. Bauen ist Sache der Länder, und die Bau-Dezernenten in Städten und Kommunen agieren wie kleine Könige in ihrem jeweiligen Reich.
„Regeln haben immer das Potenzial, Bauen zu verteuern, weil sie die Handlungsfreiheiten der Unternehmen reduzieren", sagt Tobias Just, Professor für Immobilienwirtschaft an der International Real Estate Business School der Universität Regensburg. Allerdings seien viele der Regeln nicht willkürlicher Selbstzweck, sondern Ergebnis demokratischer Entscheidungsprozesse - Verschlimmbesserungen, aber mit den besten Absichten sozusagen. Just hat wohl Recht, wenn er daran erinnert: „Bei Brandschutz geht es um das hohe Gut Sicherheit. Bei Umweltauflagen um die Nachhaltigkeit unser Lebensumgebung und selbst bei Denkmalschutz geht es um Wichtiges, nämlich um unser kulturelles Erbe.“
All das hat freilich auch Prof. Florian Nagler im Blick und im Herzen, wenn er versucht, günstiger und vor allem schneller zu bauen. Ein Haus zu errichten, das geht ganz schnell, weiß der Lehrstuhl-Inhaber für das Entwerfen und Konstruieren an der TU München. Doch die notwendigen Genehmigungen einzusammeln, das sei die wahre Sisyphusarbeit. „Ich beachte alle Regeln am Bau“, sagte Nagler unter lautem Gelächter in Berlin. Zumindest „alle, die er kennt“ , von über 5000 Regeln allein in seiner oberbayrischen Heimat.
Als gelernter Zimmermann scheint er einen anderen Zugang zu haben zum modernen Bauwesen. Als er mal eine 200 Jahre alte Tenne demontierte, um die Holzbretter beim Neubau einer Scheune in seiner Heimat wieder zu verwenden, „wusste ich noch gar nicht, dass das Re-Use am Bau heißt“, gesteht er. Die Nachhaltigkeit sei seiner Erfahrung nach „einfach sinnvoll“.
„Ein Gebäude ist nun mal kein Iphone.“ Er sei überhaupt nicht technikfeindlich eingestellt, versichert Nagler. Doch solle man „Technik bitte gefälligst dort einsetzen, wofür sie etwas taugt“. Als Professor einer deutschen Hochschule genießt er den Vorzug, immer wieder auch wissenschaftlich hinterfragen zu dürfen, was der Laie bereits ahnt und als Bauherr in spe skeptisch hinterfragt. Sind zum Beispiel aufwendige Lüftungsanlagen, die zum Beispiel in Schulneubauten ein halbes Kellergeschoss mit technischen Anlagen verstellen, wirklich effektiver als gute Belüftung durch optimales Raummaß und per Hand zu öffnende Fenster?
Ein weiterer Vergleich ist ihm gelungen bei Zwillings-Wohnbauten einer Münchner Genossenschaft, wo das eine Haus mit 170 Wohnungen mit normalen Fenstern gebaut wurde und das andere eine Entlüftungsanlage erhielt. Ergebnis: Beim Heizen lagen die Unterschiede bei weniger als zwei Prozente, während der Stromverbrauch um 63 Prozent erhöht war. Banale Erkenntnis des Problems: „Die Mieter lüften trotzdem, wie sie wollen!“
„Den ganzen Klimbim, den wir so einbauen, in neuen Häusern sollten wir hinterfragen“, ist Naglers Auswertung seiner (über ein ganzes Referenz-Jahr gesammelten Werten) in drei identischen Gebäuden in Bad Aibling, die er mit Unterstützung des Bauunternehmers Ernst Böhm und seiner B&O-Gruppe mit Holz, in Beton und mit herkömmlicher Bausteinen errichten konnte. Es gebe beim Vergleich keinen klaren Gewinner, weder bei den Kosten noch den messbaren Werten. Der Unterschied liegt vor allem im ökologischen Nutzen althergebrachter Baustoffe wie Holz und Lehm, die für Nachhaltigkeit und Wiederverwendbarkeit stehen, während Beton und Zement, der übliche Trockenbau aus Rigips-Elementen und die nun verbreiteten Dämmplatten zur Gebäude-Isolierung den „Sondermüll der kommenden 50 Jahre“ produzieren.
Nagler ist voller Zuversicht, dass sich gerade vieles ändert. Die Studenten an seiner Fakultät seien mitunter entsetzt, wenn sie in Vorlesungen erfahren, wie große Baumeister brutalistische doppelte Betondecken verbaut haben, ihn auch nur drüber nachzudenken, was das in punkto Umweltverträglichkeit bedeutet. Auch seine Mitarbeiter lernten allmählich, dass es zwar schneller geht, hinter sich im Regal nach dem Knauf-Ordner zu greifen, bei dem alles bereits industriell vorgerechnet ist und deshalb von den Behörden abnahmebereit. Zufriedenstellend werde es nämlich erst, wenn man als Architekt so lange tüftelt und ein Fachwerk im Schongauer Sägewerk auf Millimeter präzise vorfertigen lässt, dass fünf Balken zu einer stabilen Konstruktion zusammengefügt werden, ohne dass dafür Leim benötigt wird.
Der Holzbaumeister verweist auf die (mittlerweile auch von der Ampel bundesweit unterstützte) Einführung des Gebäude-Typs E. Um Bau- und Planungsprozesse günstiger und schneller zu machen, sollen Bauherren in diesem Rahmen von vielen gängigen Standards der Bauordnung abweichen dürfen. Initiiert wurde der Gebäudetyp E durch die Bayerische Architektenkammer. „Da bewegt sich was“, gibt sich Nagler überzeugt.
Er macht den Zuhörern zugleich Mut, wenn er von Kieswerken in Bayern erzählt, die längst auch die veränderten Zeiten erkennen würden und nun mit Lehm-Hybrid-Stoffen experimentieren, die schon bald wirtschaftlich gegen herkömmliche Trockenbau-Elemente bestehen könnten. „Der Lehm muss aus der Nische raus“, ermutigt Nagler die Berliner Architektenschaft zum Nachahmen auf. Am Flughafen Tegel, wo schon bald ein Stadtteil mit 5000 Wohnungen in Holzbauweise entstehen soll, möchte er aber dann doch lieber nicht mit bauen. „Viel weiter als bis nach Fürstenfeldbruck möchte ich dann doch nicht mehr zur Baustelle anreisen.“ Auch das ist Umweltbewusstsein!